# taz.de -- PLÄDOYER: Die Freiheit infrage gestellt | |
> Am Mittwoch entscheidet die Uni Bremen über die Zukunft der Zivilklausel | |
> - und damit auch über ihr Selbstverständnis. Ein Beitrag zur aktuellen | |
> Debatte | |
Bild: Für die Universität Bremen geht es 2012 um viel: um ihr Prestige - und … | |
Die Uni Bremen steht im 40. Jahr nach ihrer Gründung vor entscheidenden | |
Weichenstellungen. Zwei für ihre Zukunft und ihr Selbstverständnis zentrale | |
Entscheidungen werden noch im ersten Halbjahr getroffen. | |
Das betrifft einmal die finanzielle Ausstattung der Universität. Bei der im | |
Juni 2012 zur Entscheidung anstehenden Exzellenzinitiative von Bund und | |
Ländern geht es um das Prestige, eine "Exzellenzuniversität" zu sein, aber | |
auch um überlebenswichtige zehn Millionen Euro pro Jahr an Fördergeldern. | |
Neben der Exzellenzinitiative bildet die Debatte um die sogenannte | |
Zivilklausel die zweite Großdiskussion, die die Universität seit Monaten | |
beschäftigt. Am Mittwoch entscheidet der Akademische Senat über die Zukunft | |
dieser Klausel, in der sich die Uni 1986 selbstverpflichtet hat, "jede | |
Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. | |
Zielsetzung" abzulehnen. In zahlreichen Sitzungen und Diskussionen hat im | |
letzten Jahr ein Selbstvergewisserungsprozess stattgefunden, in dessen | |
Zentrum die Frage stand, ob diese Klausel noch aktuell ist. | |
Beide Entscheidungen werden die Zukunft der Universität Bremen maßgeblich | |
prägen. Die Exzellenzinitiative betrifft ihre finanzielle Unabhängigkeit. | |
Bei der Zivilklausel entscheidet die Universität über ihren Umgang mit | |
ihrer pazifistischen Tradition, aber mehr noch über ihr Selbstverständnis | |
als Wissenschaftsorganisation. In beiden Prozessen steht nichts Geringeres | |
auf dem Spiel als die Autonomie der Wissenschaft. | |
Als Reaktion auf ihre Finanzlage in Zeiten knapper öffentlicher Haushalte | |
sind die Universitäten gezwungen, in ihrer Mittelbeschaffung kreative Wege | |
zu gehen und gesellschaftliche Unterstützungsformen auszureizen. Die | |
Exzellenzinitiative ist hier ein zwar für die Universität kaum | |
vermeidbarer, letztlich aber nicht unproblematischer Finanzierungsweg, weil | |
er zu Vorfahrtsregeln im Forschungswettbewerb führt, in denen häufig | |
wissenschaftliche Großprojekte bevorzugt werden, deren gemeinsame | |
Fragestellungen dem Prinzip des "kleinsten gemeinsamen Nenners" | |
verpflichtet sind. Nicht die Förderung der Einheit von innovativer | |
Forschung und exzellenter Lehre, sondern drittmittelstrategische Erwägungen | |
stehen im modernen Wissenschaftsbusiness regelmäßig im Vordergrund. | |
Während die Exzellenzinitiative Forschungs- und Lehrexzellenz durch den | |
Einheitsbrei kollektiver Projektdesigns zu ersetzen droht, sind die | |
Drittmittelstrategien, die Finanzierungsmöglichkeiten außerhalb | |
öffentlicher Förderinstitutionen ausloten, häufig problematisch, weil sie | |
zu engen Interessensüberscheidungen von Wissenschaft mit Wirtschaft und | |
Politik führen. Es stellt sich die Frage, welchen Grenzen Verstrickungen | |
von Politik und Wirtschaft mit der Wissenschaft unterliegen. | |
Wie pragmatisch darf die moderne Wissenschaftsorganisation in ihrer | |
Finanzbeschaffung verfahren, ohne dass ihre Unabhängigkeit in Gefahr ist? | |
Ist es zu viel verlangt, wenn zum Beispiel der französische Philosoph | |
Jacques Derrida in seinem Buch "Die unbedingte Universität" von der | |
Universität fordert, dass sie nur in kritischer Distanz zur militärischen | |
Staatsmacht, zu ökonomischen Mächten, zu medialen, ideologischen, | |
religiösen und kulturellen Mächten ihrer gesellschaftlichen Aufgabe | |
nachkommen kann? | |
Die geltende Zivilklausel der Uni Bremen, über deren Zukunft am 25. Januar | |
diskutiert werden soll, setzt an dieser Stelle der Kolonialisierbarkeit der | |
Wissenschaft durch Politik und Wirtschaft eine klare Grenze: Die autonome | |
Universität, so das Bekenntnis der Zivilklausel, darf nicht in militärische | |
Interessen verstrickt werden. Diese Grenzziehung ist sinnvoll und wichtig, | |
weil sie die Friedenspflicht des Grundgesetzes, wie sie auch in den | |
Artikeln 1 und 26 des Grundgesetzes zum Ausdruck kommt, in den | |
wissenschaftlichen Alltag übersetzt. Dem Friedensauftrag des Grundgesetzes | |
in dieser Form nachzukommen, ist keine Beschränkung der | |
Wissenschaftsfreiheit, wie manche Gegner der Zivilklausel behaupten, | |
sondern befolgt im Gegenteil den Verfassungsauftrag, für eine "freie und | |
unabhängige" Wissenschaft zu sorgen. | |
Der Frankfurter Verfassungsrechtler Erhard Denninger hat die Kombination | |
von Grundsätzen der Wissenschaftsfreiheit und Friedenspflicht in Form der | |
Zivilklausel in einem Gutachten zu einer Zivilklausel am Karlsruher | |
Institut für Technologie daher zu Recht als grundgesetzkonform bezeichnet. | |
Es liegt in der Ironie der Debatte über die Zukunft der Zivilklausel an der | |
Universität Bremen, dass sie erst dadurch richtig in Schwung gekommen ist, | |
dass der Vorstandsvorsitzende der OHB, Marco Fuchs, im Juni letzten Jahres | |
im Zuge der Diskussionen um die Stiftungsprofessur seines Unternehmens die | |
Universität vor die Wahl gestellt hat, entweder die Zivilklausel zu ändern | |
oder auf die Professur zu verzichten. | |
Eine Uni, die ihren eigenen Freiheitsanspruch ernst nimmt, darf sich auf | |
eine solche Forderung nicht einlassen. Sie darf sich nicht darauf | |
einlassen, das Unantastbare durch den Arbeitsauftrag, die Klausel zu | |
"aktualisieren", antastbar zu machen. Wenn das Ergebnis der Debatte im | |
Akademischen Senat sein sollte, dass die Uni in eine Prüfung der | |
"Aktualität" der Klausel eintreten wird, hat die Wissenschaftsfreiheit | |
schon verloren. | |
Die Uni würde unter wirtschaftlichem Druck ihre Autonomie in doppelter | |
Hinsicht verraten: zum einen, weil sie die Grenzziehung zur | |
Militärforschung aufgäbe, zum andern aber, weil sie es trotz aller | |
gegenteiligen Beteuerungen zuließe, dass ein Drittmittelgeber die | |
Grundlagen der Forschungsfreiheit diktiert, indem er seine Förderung davon | |
abhängig macht, dass die Uni mit ihrer pazifistischen Tradition bricht. Wer | |
die Zivilklausel zur Disposition stellt, gibt dem Druck eines | |
Drittmittelgebers nach, verschiebt das Grundverständnis autonomer | |
Wissenschaft grundlegend. | |
Dabei gibt es im konkreten Fall keinerlei Gründe, sich von der Zivilklausel | |
loszusagen. Wenn es wirklich so ist, dass die Grundlagenforschung der durch | |
OHB geförderten Raumfahrtprofessur keine militärische Relevanz hat, wird es | |
ein Leichtes sein, schon jetzt den Stiftungsvertrag anzupassen und durch | |
einen Passus zu ergänzen, dass die Uni als Inhaberin der Rechte an den | |
Forschungsergebnissen einer militärischen Nutzung derselben nicht zustimmen | |
wird. Dem Ausschluss militärischer Nutzung durch einen modifizierten | |
Stiftungsvertrag kann man nicht entgegenhalten, dass eine Unterscheidung | |
von ziviler und militärischer Grundlagenforschung nicht möglich sei. | |
Was "militärische Nutzung" ausmacht, ist gesetzlich bestimmt. Im Rahmen der | |
Exportregulierung und des Völkerrechts gibt es langjährige | |
Abgrenzungspraktiken bei "dual use"-Gütern, die sowohl zivil als auch | |
militärisch genutzt werden können. An diesen Regelungen kann man sich | |
ausrichten, wenn man Orientierungshilfe sucht, wann eine militärische | |
Verwendung vorliegt und wann nicht. Die Zivilklausel bezieht sich | |
richtigerweise auf grundlagen- und anwendungsbezogene Forschung. Sie | |
schützt ohne Einschränkung die Freiheit der Wissenschaft vor | |
Kolonialisierung durch wirtschaftliche und militärische Interessen. Wer sie | |
"aktualisieren" möchte, passt nicht die Realität der Rechtsnorm, sondern | |
die Rechtsnorm der Realität an. Das stellt die Wissenschaftsfreiheit zur | |
Disposition. | |
Eine Gegenrede von Arnim von Gleich findet sich [1][hier] | |
## Andreas Fischer-Lescano | |
39, ist Professor für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der | |
Universität Bremen. Er ist geschäftsführender Direktor des Zentrums für | |
Europäische Rechtspolitik (ZERP). | |
## Sören Böhrnsen | |
26, studiert an der Universität Bremen Jura und arbeitet beim Allgemeinen | |
Studierendenausschuss (AStA) der Uni Bremen. | |
22 Jan 2012 | |
## LINKS | |
[1] /PLDOYER/!86294/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Fischer-Lescano | |
Sören Böhrnsen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |