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# taz.de -- Schriftstellerin Eileen Chang wiederentdeckt: Eine moderne Frau
> Eileen Changs Werke waren in ihrer chinesischen Heimat verfemt. Sie ging
> ins Exil. Ihre Erzählungen haben selten ein Happy End: Sie erzählen vom
> Krieg und der Liebe.
Bild: Die chinesische Schriftstellerin Eileen Chang lebte zurückgezogen im ame…
Am 8. September 1995 drangen US-amerikanische Polizeibeamte in das kleine
Apartment einer alten Chinesin in Los Angeles ein. Die Nachbarn der
zurückgezogen lebenden Frau hatten die Polizei gebeten, doch einmal nach
dem Rechten zu sehen. Man habe die Frau schon seit einiger Zeit nicht mehr
gesehen. Und tatsächlich: Die 74-Jährige lag tot in ihrer karg möblierten
Wohnung. Erst nach und nach kam heraus, dass es sich um Eileen Chang
handelte, eine der bedeutendsten Autorinnen der chinesischen Moderne.
Auf ihren Wunsch hin wurde ihr Leichnam verbrannt und die Asche über dem
Pazifik verstreut. Über jenem Ozean, der nicht nur die amerikanische
Ostküste, sondern auch Eileen Changs Heimatstädte Schanghai und Hongkong
berührt und die Insel Taiwan umspült, wo ihre Werke in all den Jahrzehnten
erschienen, in denen sie in der Volksrepublik verboten waren.
Eileen Chang wurde am 30. September 1920 geboren und wuchs größtenteils in
Schanghai auf. Zu diesem Zeitpunkt war die Qing-Dynastie bereits gestürzt
und die Republik China ausgerufen. Neue Ideen - Gleichheit und Demokratie -
und moderne Technologien - Fabriken, Dampfschiffe, Straßenbahnen - hatten
Einzug gehalten. Dieser enorme gesellschaftliche Bruch manifestierte sich
auch in Eileen Changs eigener Familie: Ihr Vater war ein Relikt des alten
China, in dem seine Familie einst einigen Einfluss gehabt hatte. Aufgrund
seiner klassischen Bildung verstand er viel von Kunst, war aber auch dem
Opium verfallen und brachte immer wieder Konkubinen ins Haus.
Dafür hatte Eileen Changs Mutter, eine moderne Frau, die in England
studierte und in der Schweiz Ski fuhr, wenig Verständnis. Die Ehe wurde
schließlich geschieden, und der Vater ließ seine Frustration an seiner
Tochter aus, die gerne bei der Mutter gewohnt hätte, aber vom Vater
misshandelt und zu Hause eingesperrt wurde. Schon früh erlebte Eileen
Chang, wie die gesellschaftlichen Veränderungen in China manch ein
Privatleben verwüsteten. In ihren Erzählungen sollten später vor allem die
Männer mit der neuen Zeit nicht zurechtkommen und nach traditionellen
Frauen suchen.
## Gefahr und Begierde
Zunächst aber wollte Eileen Chang studieren. Der immer stärkere Einfluss
der westlichen Mächte in China, der chinesisch-japanische Krieg, der Zweite
Weltkrieg und die Kämpfe zwischen Maoisten und Nationalisten beutelten
China zu jener Zeit schwer. Auch Schanghai war längst von den Japanern
besetzt, und so ging Eileen Chang zum Studium nach Hongkong.
Nachdem aber auch die britische Kronkolonie im Dezember 1941 an Japan
gefallen war, kehrte sie ohne Studienabschluss nach Schanghai zurück. Dort
erschienen bald ihre ersten Erzählungen, die auf Deutsch in den
Sammelbänden "Gefahr und Begierde" und "Das goldene Joch" vorliegen.
Innerhalb weniger Jahre wurde Eileen Chang aufgrund ihrer psychologisch
komplexen Texte zum Star der Schanghaier Literaturszene.
Ihre eigenen Erfahrungen spielen in vielen ihrer Texte eine Rolle: In der
Erzählung "Liebe in einer gefallenen Stadt" beschreibt sie die
Bombardierung Hongkongs, die sie selbst miterlebt hat. In dieser Geschichte
checkt die misstrauische junge Witwe Liusu den ledigen Auslandschinesen
Liuyuan ab, denn sie ist auf der Suche nach einem Ernährer. Erst die Bomben
auf Hongkong führen die beiden auf ganz schlichte und umso schönere Weise
zusammen. Ein bei Eileen Chang seltenes Happy End.
Die Erzählung "Gefahr und Begierde" ist ebenfalls eine Kriegsgeschichte;
sie wurde durch die preisgekrönte Verfilmung des taiwanischen Regisseurs
Ang Lee international bekannt (2007).
Darin wird die schöne Jiazhi als Lockvogel auf den Politiker Yi angesetzt,
der mit den Japanern kollaboriert. Als es ihr gelingt, Yi in ein
Juweliergeschäft zu schleusen, wollen ihre Kombattanten zuschlagen. Jiazhi
aber erkennt ihre Liebe zu Yi und warnt ihn im letzten Moment, sodass er
entkommen kann. Auch in diese Geschichte sind Changs eigene Erfahrungen
sicher eingeflossen, denn sie selbst war von 1943 bis 1947 - als ganz
Schanghai ihre Geschichten las - mit dem Kulturpolitiker und Kollaborateur
Hu Lancheng verheiratet.
Doch in "Gefahr und Begierde" ist nicht nur Jiazhis Verhältnis zu Yi
kompliziert, sondern auch das zu ihren Mitverschwörern; schließlich musste
einer der Männer sie eigens entjungfern, um sie auf ihren Job
vorzubereiten. Klar, dass ein solches Gewebe komplexer Gefühle plus Jiazhis
letztliches Einknicken später nicht zur Erziehung der kommunistischen
Massen taugte und deshalb bis in die achtziger Jahre - wie auch alle
anderen Texte von Eileen Chang - in der Volksrepublik verboten war.
Anders als viele ihrer Schriftstellerkollegen, die sich sehr für die
kommunistische Idee begeisterten, schuf Eileen Chang nie einen positiven
Helden mit aufgeräumtem Innenleben und einwandfreier politischer Haltung.
## Karikatur der Überzeugung
In ihrem in den fünfziger Jahren verfassten Roman "Das Reispflanzerlied"
karikiert sie diese gefährlich naive Haltung sogar. Darin schickt sie den
Schriftsteller Gu aufs Land, wo die Bauern hungern und revoltieren und sich
so gar nicht den Darstellungsformen fügen wollen, die staatliche
Literaturzeitschriften eigentlich für sie vorsehen. "Das Reispflanzerlied",
das nicht nur die kommunistische Literaturpolitik, sondern auch das
Auftreten von Provinzkadern kritisch beleuchtet, wurde übrigens in die
unlängst in der Volksrepublik erschienene Eileen-Chang-Gesamtausgabe nicht
aufgenommen.
Doch erschöpft sich der politische Gehalt von Eileen Changs Texten nicht in
solch vordergründig Szenerien. Meistens erzählt sie Liebes- und
Ehegeschichten, die allerdings durchtränkt sind von den gesellschaftlichen
Umständen ihrer Zeit. In der Erzählung "Das goldene Joch" etwa schildert
sie die zunehmende Verbitterung der schönen Qiqiao. Sie hat einen
schwerkranken Mann geheiratet, um dessen Erbe willen sie viele Jahre lang
das goldene Joch so vieler chinesischer Frauen der Oberschicht trägt. Als
sie bei der Verteilung des Erbes nicht angemessen bedacht wird, wird sie
auf eine Weise boshaft und intrigant, dass man sich unwillkürlich an böse
Königinnen und Stiefmütter in Märchen erinnert fühlt.
Eileen Chang gelingen diese frustrierten Frauen schockierend realistisch.
In fast jeder ihrer Geschichten stehen Frauen im Mittelpunkt, und in
ebenfalls fast jeder ihrer Geschichten kalkulieren diese ihr erotisches
Kapital knallhart. Herkunft, Schönheit, Mitgift und die Reihenfolge der
Einheirat in die Familie sind die Koordinaten, nach denen sich ihr Wert
bemisst. Und auch wenn diese Maßstäbe mit der neuen Zeit langsam obsolet
werden, so tauchen bald schon neue auf, etwa der Besuch einer Mittelschule.
Ob altes oder neues China: Der Materialismus, der selbst persönlichste
Beziehungen bestimmt, ist immens. Das betrifft die Frauen der Upperclass
ebenso wie das Hausmädchen Axiao in der Erzählung "Axiaos trauriger
Herbst", deren Wert wie bei allen Unterschichten dieser Welt von ihrer
Arbeitskraft abhängt.
Daran haben auch die Kommunisten nichts geändert. Nach deren Sieg über die
Nationalisten ging Eileen Chang 1952 zunächst nach Hongkong und 1955 weiter
in die USA. Ihre Gefühle bei der Ausreise mögen in die Erzählung
"Gischtblüten" eingeflossen sein, in der sie von einer jungen Chinesin
erzählt, die ihre Heimat verlässt und nach Japan auswandert.
Eileen Chang lebte 40 Jahre lang in den USA, reiste noch nach Taiwan, aber
nie mehr in die Volksrepublik. Bereits ein Jahr nach ihrer Ankunft in den
USA heiratete sie den fast dreißig Jahre älteren deutschstämmigen
Schriftsteller Ferdinand Reyher (1891-1967).
Chang arbeitete in den USA vor allem als Übersetzerin. Sie verfasste keine
bedeutenden eigenen Texte mehr und lebte so zurückgezogen, dass sich einmal
ein Journalist aus Taiwan in ihrer Nähe eingemietet hat, ihr
nachgeschlichen ist und in ihrem Müll herumgewühlt hat, um mehr über sie
herauszufinden. Viel hat das nicht gebracht, und ihre Nachbarn kannten
Eileen Changs Namen danach auch immer noch nicht.
23 Jan 2012
## AUTOREN
Katharina Borchardt
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