# taz.de -- Streit um Mindestlöhne: Arm trotz Arbeit | |
> Viele haben eine Arbeit und sind dennoch so arm, dass sie | |
> Sozialleistungen bekommen. Das ändert sich erst bei einem Mindestlohn von | |
> 10 Euro, sagt die Linke. | |
Bild: Jedes dritte Kind in Bremen ist angewiesen auf Sozialleistungen. | |
Zum Jobcenter geht niemand gern. Das ist gewollt - Menschen aus dem | |
Leistungsbezug wieder loszuwerden, ist oberste Prämisse staatlicher | |
Sozialpolitik: "Ab jetzt haben Sie keine Wahl mehr, sie müssen jede Arbeit | |
annehmen", hören neue Hartz-IV-Bezieher auf der üblichen "Erst-Maßnahme", | |
die sie über ihre Rechte und vor allem Pflichten aufklärt. Von welcher | |
Summe an reicht die Arbeit in Bremen überhaupt zum Leben? Das hat die | |
Linkspartei den Senat gefragt. Die offizielle Antwort: 1.300 Euro brutto. | |
Alleinerziehende erreichen eine vollständige "Herauslösung aus dem | |
Hilfebezug" in Bremen erst bei einem Bruttolohn von 1.700 Euro. | |
Dass dies weit mehr ist, als bei Hartz-IV-Empfängern monatlich eingeht, | |
liegt an dem Freibetrag, der vom Einkommen nicht mit dem Geld vom Jobcenter | |
verrechnet wird. Neue LeistungsbezieherInnen lernen das auf ihrer | |
Fortbildung: Wer arbeitet, darf 100 Euro des Lohnes ganz behalten, von | |
jedem weiteren verdienten Euro dann 20 Prozent, von allem über 1.000 Euro | |
noch 10 Prozent. | |
"Aufstocken" heißt das im Jobcenter-Jargon. Im Jahr 2011 betraf das im Land | |
Bremen 18.749 Menschen. Tendenz - entgegen dem Bundestrend - steigend. Die | |
Arbeitnehmerkammer errechnete, dass die Städte Bremen und Bremerhaven | |
Erwerbstätige mit insgesamt 35 Millionen Euro im Jahr bei deren | |
Unterkunftskosten unterstützen. Und das ist aus Sicht der Linkspartei eine | |
"indirekte Subventionierung von Unternehmen, die Hungerlöhne zahlen". Peer | |
Rosenthal, Experte der Arbeitnehmerkammer, weiß: "Zwölf Prozent der | |
Leiharbeitnehmer müssen aufstocken." Auch im Gastgewerbe komme es ähnlich | |
häufig vor, dass selbst eine volle Stelle die Existenz nicht sichert. | |
Im Februar debattiert die Bürgerschaft über ein Landesmindestlohngesetz. | |
8,50 Euro in der Stunde sollen dann alle Firmen zahlen, die mit Bremen | |
zusammenarbeiten. Für die Linkspartei-Abgeordnete Claudia Bernhard ist das | |
zu wenig. Bei der Debatte um Aufstocker sagte Bernhard am Donnerstag in der | |
Bürgerschaft: Ein Alleinstehender benötige 9,50 Euro, wer ein Kind ernähren | |
wolle, brauche 10 Euro Mindestlohn. | |
Der Bremer SPD-Sozialpolitiker Klaus Möhle zu solchen Forderungen: "Ich bin | |
froh, wenn wir überhaupt einen Mindestlohn durchsetzen." Gleichzeitig geht | |
er davon aus, dass mancher, der Hilfeansprüche hätte, sich aus einem | |
"falsch verstandenen Schamgefühl" nicht bei der Arbeitsagentur meldet. | |
Bisher zahlt Bremen beinahe für jedes dritte Kind ergänzende | |
Sozialleistungen. Die Bundesagentur für Arbeit meldete jüngst einen | |
Rückgang bei Kindern unter 15 Jahren. In Bremen ging in den letzten fünf | |
Jahren die Zahl auf 24.368 Kinder zurück - um 11,3 Prozent. Paul Schröder | |
vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe weist | |
daraufhin, dass diese Zahlen täuschen, weil im gleichen Zeitraum auch die | |
Zahl der Kinder insgesamt zurückgegangen ist: Bei einer statistisch | |
bereinigten Quote komme man für die BRD daher auf nur auf einen Rückgang | |
von 7,9 Prozent, für Bremen auf 6,7 Prozent weniger Kinder. | |
29 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Jean-Philip Baeck | |
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