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# taz.de -- Schauspiel Köln: Das Treffen der Antipoden
> Herbert Fritsch gilt als der Regisseur mit der Narrenkappe, Laurent
> Chétouane als ein Sprachphilosoph. Gegensätzlicher kann Theater kaum
> sein.
Bild: Possenreißer im Anmarsch, das Kölner Ensemble in Herbert Fritschs "Herr…
Kölns Intendantin Karin Beier hat am vergangenen Wochenende wieder einmal
dem Prinzip Eklektizismus gefrönt. Ganz wie in ihren eigenen Inszenierungen
ist es das Eklektizistische, das zu einem wesentlichen Teil ihr Programm
bestimmt. Dabei versteht sie es, viel Qualität und wenig ästhetische
Doppelungen zu versammeln.
Größere Theaterantipoden als sie dieses Mal eingeladen hat, kann man sich
kaum vorstellen: Herbert Fritsch, der sich den Ruf als "Hanswurst" des
deutschen Theaters erworben hat, inszenierte Brechts "Herr Puntila und sein
Knecht Matti", Laurent Chétouane seine Version der Kleist-Novelle "Das
Erdbeben in Chili". Für beide Regisseure gilt, wie wohl für wenige andere,
unverwechselbar in ihrer Handschrift zu sein.
Bei Herbert Fritsch regiert die Feier des Schauspielers, weitgehend
losgelöst von der Rolle. Das gilt für seinen Kölner "Puntila" noch mehr als
etwa für seine beim Theatertreffen 2011 gefeierte "Nora". Fritsch fackelt
auch an diesem Abend ein knallbuntes Feuerwerk der Formen und Stile ab.
Einmal mehr bestätigt sich der Eindruck, dass Fritsch jedes Stück, das er
zwischen die Finger bekommt, mit denselben Mitteln aufbereitet.
Für Brecht macht der Regisseur da keine Ausnahme. Wo schon das Stück für
BB-Verhältnisse ungewohnt lustig und alkoholgetränkt daherkommt, lässt sich
Fritsch natürlich nicht lumpen.
Charly Hübners Puntila ist ein unter gymnastischen Verrenkungen durch den
Abend taumelnder Kotzbrocken. Seinen Widerpart, den Chauffeur Matti, legt
Fritsch grandios unerwartet an: Michael Wittenborn wächst als altmodischer
Zombie über sich hinaus, wenn er wie ferngesteuert mit ausgestreckten Armen
und steif gewordenem Restkörper in seiner roten Fahreruniform über die
Bühne stakst. Mit fistelnder Stimme und rollendem R scheint er ein älterer
Abkömmling von Hitchcocks Norman Bates, der wie Matti unter dem Überbild
seiner Mutter leidet.
## Libidinöse Aufladung
Doch das unterschiedliche Paar Matti/Puntila klebt aneinander, wie Fritsch
weidlich demonstriert, ohne daraus allerdings eine Lesart des Stücks zu
machen: Einmal lehnen sie dicht an dicht und pinkeln schwadronierend (der
Soundfetischist Fritsch lässt den Plätscherton quer durch den Saal
schwirren), ein anderes Mal küssen sie sich. Überhaupt ist dieser "Puntila"
schwer libidinös aufgeladen.
Die Bühne wird von riesigen weißen Palmen gerahmt, die sich gierig biegen,
wenn es unter ihnen hoch hergeht. Dort lässt Fritsch wenig Freudsche
Fehlleistungen aus. Der Attaché (Maik Solbach) redet als Diplomat vom
"Repräserentieren", und nicht nur Puntila wurstelt gerne unten bei sich
herum. Geraunzt und gestöhnt wird gerne im Chor des zwölfköpfigen und wie
entfesselt aufspielenden Ensembles. Fritsch gilt nicht umsonst als der
große Schauspielerbefreier.
Auch wenn der Spaß bei Brecht inhaltlich und formal – sein "Puntila" folgt
dem Muster des Volkstheaters – vorgezeichnet ist: Fritsch prügelt mit
seiner Show jede Interpretation aus dem Abend. Das alles erschöpft sich in
sich selbst, permanente Amplitude. Keine Stoßrichtung, außer im Unterleib.
Das ist große Klasse – und irgendwie doch ermüdend. Während Fritsch das
Literaturtheater mit durchgeknallter Amüsierlust torpediert, setzt der
Franzose Laurent Chétouane es wieder in sein Recht, auf sehr eigene Weise.
Chétouane ist so bekannt wie verschrien für seine "Hörspiele auf der
Bühne", seine "szenischen Lesungen" von Texten aus dem Kanon der deutschen
Klassiker: Hölderlin, Goethe, Büchner, Brecht, Müller. Seine Inszenierungen
sind singulär spröde, das Identifikationsangebot der Darsteller an die
Zuschauer ist gleich null. Das ist konsequent, geht es doch für ihn, wie er
sagt, im Theater nicht um den Schauspieler, "der vorgibt, etwas zu fühlen,
sondern (um) die Interaktion der Körper mit Raum und Zuschauer".
Selbstverständlich wendet Chétouane dieses Programm auch auf Kleists
Novelle an. Der Regisseur erstellt keine in Rollen aufgelöste Fassung, die
drei Akteure – Jan-Peter Kampwirth und Marie Rosa Tietjen aus dem Kölner
Ensemble sowie der Tänzer Philipp Gehmacher – präsentieren die Erzählung
so, wie sie bei Kleist steht. Die Bühne ist nur sparsam mit Requisiten
bestückt.
Im Hintergrund sieht man auf einer kleinen Leinwand die Spielfläche samt
der drei Spieler, aber in abstrahierter, miniaturisierter Form, sozusagen
die Reißbrettversion. Im Wechsel damit erscheinen historisierende
Naturbilder oder Menschen von heute auf der Straße, Gesichter, kurz mal
Autos, das alles verschwommen und nur in Umrissen kenntlich.
## Das hier ist ein Vorschlag
Wie das Spiel der Akteure dienen die Projektionen nur vereinzelt der
direkten Illustration der Kleistschen Handlung um das Paar Jeronimo und
Josephe. Die überleben wie durch ein Wunder das titelgebende Erdbeben, sind
für kurze Momente glücklich und in Gemeinschaft mit lauter durch das
Unglück gleich gewordenen Menschen, um am Ende doch vom Mob erschlagen zu
werden.
Die Videoversion des Geschehens wirkt wie ein Kommentar des Regisseur auf
seinen eigenen abstrakten Inszenierungsstil: Das hier ist nur eine
Möglichkeit von vielen, nichts Festgeschriebenes, sondern etwas Leichtes
und Unfertiges.
In diesem Sinne agieren auch die Spieler. Teilweise ist beglückend, wie die
drei es verstehen, die Qualitäten des Kleist-Textes im Raum beinahe
greifbar werden zu lassen. Chétouane gibt ihnen das, was dafür unabkömmlich
ist: Zeit.
Abwechselnd sprechen sie die Textpassagen und passen dabei ihre Sprech- und
dezente Spielweise dem Ton der Erzählung an. Kleists gnadenloser Wechsel
zwischen tiefem Ernst, Traurigkeit, Gewalt und heiter gelassener
"Seligkeit" kommt so zum Tragen. Das schafft kein Hörspiel.
Die Gleichberechtigung von Spielerkörper, Blick, Sprache und Raum macht
dieses Kleisttheater zur ganzheitlichen Erfahrung. Die Grenze zum
Esoterischen wird dabei allerdings überschritten. Dann kippt Chétouanes
Stil ins unfreiwillig Komische. Das häufige Armeheben Philipp Gehmachers
deutet die Verletzlichkeit, die Durchlässigkeit der Figuren an. Aber es
kann auch, zusammen mit dem bewussten Setzen der Sprache,
bedeutungsschwanger und manieriert wirken. Dieser Effekt unterläuft den
männlichen Spielern häufiger als Marie Rosa Tietjen.
Durchaus vorstellbar, dass dieser symptomatisch zwiespältige
Chétouane-Abend ohne eine leuchtende weibliche Darstellerin wie sie noch
problematischer ausgesehen hätte.
31 Jan 2012
## AUTOREN
Alexander Haas
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