# taz.de -- Debatte Finanzcasino: Das war kein Zufall | |
> Als England im 17. Jahrhundert klamm war, erfand es die Banknote und | |
> wurde zur Weltmacht. Die Geschichte einer großen Zentralbank. | |
Bild: Ein Vorbild: die Bank of England in London. | |
Warum gibt es Zentralbanken? Das erklärt sich historisch nicht von selbst. | |
Schon vor 5.000 Jahren kannten die Babylonier Geld und Kredit - später | |
entwickelten sie dann auch finanztechnische Instrumente wie Anleihen, | |
Schecks und Wechsel. | |
In den nächsten zwei Jahrtausenden wurde das Bankwesen immer diffiziler und | |
ausgereifter. Die Medici in Florenz finanzierten Könige, Kriege, Päpste und | |
Handelsgeschäfte; die Holländer gründeten die ersten Aktiengesellschaften - | |
aber eine Zentralbank war weiterhin nicht in Sicht. | |
Die erste Zentralbank, die bis heute existiert, ist 1694 in London | |
entstanden. Zur Ironie dieser Geschichte gehört, dass die Bank of England | |
überhaupt nur gegründet wurde, um etwas zu tun, wovor heutigen | |
Bundesbankern wie Jens Weidmann graut: Sie finanzierte die englische Krone. | |
Sie monetarisierte die Staatsschulden im wahrsten Sinne des Wortes, denn | |
aus den Schulden wurden - Banknoten. | |
Der Trick war so simpel wie genial: Der englische König benötigte dringend | |
Geld. 1,2 Millionen Pfund, um genau zu sein. Diese Summe wurde ihm von | |
britischen Kaufleuten geliehen, die dafür das Privileg erhielten, Banknoten | |
für 1,2 Millionen Pfund auszugeben. Zur Abwicklung dieses Geschäfts | |
entstand die Bank of England. | |
## Papiergeld war einfach praktischer | |
Eigentlich war schon bei der Ausgabe der Banknoten klar, dass der König | |
seine Schulden niemals tilgen würde. Denn dann hätte man die Banknoten ja | |
wieder einziehen müssen. Das Papiergeld wurde aber benötigt, um den | |
Warenverkehr in Großbritannien zu organisieren. Die Banknoten waren so viel | |
praktischer als Gold und Silber, die beide chronisch knapp waren. Faktisch | |
also bekam der König das Geld umsonst - wenn man einmal von den 8 Prozent | |
Zinsen absieht, die er anfangs jährlich an die Bank of England zahlen | |
musste, die als Privatgesellschaft organisiert war. | |
Geschichte verläuft niemals zwangsläufig, und trotzdem war es kein Zufall, | |
dass den Engländern ausgerechnet 1694 einfiel, Papiergeld einzuführen, das | |
durch das hypothetische Versprechen des Staates gedeckt war, seine Schulden | |
zurückzahlen. | |
Denn die Lage war verzweifelt. 1690 hatten die Engländer eine entscheidende | |
Seeschlacht gegen die Franzosen verloren. Die Navy war versenkt, und es | |
mussten sofort neue Schiffe gebaut werden, wenn nicht der Erzfeind die | |
Weltmeere erobern sollte. Also mussten 1,2 Millionen Pfund aufgetrieben | |
werden - und sie ließen sich nur durch Geldschöpfung aufbringen. | |
## Gegen die Massenpanik | |
Geschichte ist niemals monokausal. Trotzdem ist es wohl nicht übertrieben, | |
dass die Bank of England dazu führte, dass Großbritannien zur | |
unumstrittenen Weltmacht und zur ersten Industrienation aufsteigen konnte. | |
Denn das Schiffbauprogramm, das mit den neuen Banknoten finanziert wurde, | |
erwies sich als gigantisches Konjunktur- und Innovationsprogramm. Alle | |
Wirtschaftszweige profitierten von dem Bauboom, nicht nur die englische | |
Kriegsmarine, die fortan fast alle Seeschlachten gewann. | |
Der Aufstieg Englands geschah wider alle Wahrscheinlichkeit. Denn | |
Frankreich war damals reicher, besser entwickelt und hatte doppelt so viele | |
Einwohner. Aber den Franzosen fehlte bis 1800 eine verlässliche | |
Möglichkeit, expansiv Geld zu schöpfen. (Was auch daran lag, dass die erste | |
Variante einer französischen Zentralbank 1720 in einer Spekulationsblase | |
unterging.) | |
Den Briten fiel schon früh auf, was sie mit ihrer Bank of England | |
eigentlich geschaffen hatten - nämlich einen "lender of last resort", einen | |
Kreditgeber der letzten Instanz. Also eine Institution, die eine | |
Massenpanik unter Bankkunden beenden kann. | |
Dies war eine finanztechnische Revolution. Denn um eine Bank zu ruinieren, | |
reicht ein Gerücht. Sobald die Sparer glauben, ihr Geld sei nicht mehr | |
sicher, stürmen sie die Schalter. Selbst gesunde Banken können niemals | |
genug Geld lockermachen, um alle Einlagen auszuzahlen. Wenn es nicht | |
periodisch zum Crash kommen soll, muss es eine Instanz geben, die so lange | |
Liquidität nachschießen kann, bis sich die Bankkunden wieder beruhigen. Und | |
das ist die Zentralbank. | |
## Darf die Bank den Staat retten? | |
Dass es ohne einen "lender of last resort" nicht geht, mussten auch die USA | |
feststellen, die ihre Notenbank Fed erst 1913 gegründet haben. Denn die | |
"Panik von 1907" wollten sie nicht noch einmal erleben. Damals waren erst | |
die Aktienkurse an der New Yorker Börse um 50 Prozent eingebrochen - und | |
dann hatten die Kunden die Banken gestürmt. Ein Crash wurde nur vermieden, | |
weil ein Finanzier namens J. P. Morgan bereit war, mit seinem immensen | |
Vermögen für das Banksystem zu haften. Aber ein zweites Mal wollten sich | |
die USA nicht auf das Charisma eines Einzelnen verlassen. | |
Der Weg zu einer Zentralbank verlief in jedem Land anders und in vielen | |
Ländern holprig. Und diese Entwicklung ist nicht abgeschlossen. Zwar ist | |
inzwischen unstrittig, dass die Zentralbanken die Geldmenge kontrollieren | |
und "lender of last resort" für die Banken sind. Aber eine letzte Frage | |
wird kontrovers diskutiert: Darf eine Zentralbank den eigenen Staat retten? | |
Für die Deutschen und ihre Bundesbank ist dies ein Tabu, denn sie fürchten | |
eine Inflation. Zwei Weltkriege haben ein Trauma hinterlassen. Also | |
bestehen die Deutschen darauf, dass die Europäische Zentralbank (EZB) nicht | |
die Staatsanleihen der Euroländer aufkaufen darf. Da sind die Bank of | |
England oder die Fed viel hemmungsloser. Sie erwerben eigene | |
Staatsanleihen, um Krisen zu verkürzen. Und bisher geben ihnen die | |
Statistiken recht: Die Inflation in den USA und in Großbritannien ist zu | |
vernachlässigen. | |
Die EZB hingegen ist zu einem teuren Umweg gezwungen: Sie flutet die Banken | |
mit Geld - damit diese dann die Staatsanleihen von Italien oder Spanien | |
aufkaufen. Die Profiteure dieser Umständlichkeit sind die Banken: Sie | |
leihen sich das Geld für ein Prozent bei der EZB, um es dann mit einer | |
dicken Marge an die Eurostaaten weiterzureichen. Die Steuerzahler | |
finanzieren also die Gewinne der Banken. | |
Aber wer weiß: Vielleicht sehen die Deutschen ein, dass die Bank of England | |
ein Vorbild war und ist. | |
10 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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