| # taz.de -- Psychoanalyse: Freud hat noch eine Couch in Berlin | |
| > Das Verhältnis Berlins zu Sigmund Freud ist gespalten. Eine private | |
| > Hochschule in Berlin-Moabit will der Psychoanalyse mehr Bedeutung | |
| > einräumen als staatliche Unis. | |
| Bild: Sigmund Freuds Psychoanalyse-Couch im Freud-Museum in London. | |
| Bei Sigmund Freud war es gemütlicher. Der Meister der Psychoanalyse bettete | |
| seine Patienten auf der Couch mit Orientdecke, in einem Zimmer voll antiker | |
| Möbel, schwerer Teppiche, frivoler Skulpturen und Zigarrenqualm. Der jüngst | |
| eröffnete Therapieraum der International Psychoanalytic University (IPU) | |
| fällt weit nüchterner aus: weiße Wände, ein Tisch, zwei Stühle und ein | |
| Beobachtungsspiegel für den Nachbarraum, wie man ihn aus dem Fernsehkrimi | |
| kennt. Es herrscht Rauchverbot. Aber die Couch, die ist auch 70 Jahre nach | |
| dem Wirken Freuds noch da. "Manche Dinge kann man nur im Liegen | |
| aussprechen", sagt Heinrich Deserno, Professor an Deutschlands einziger | |
| Hochschule für Psychoanalyse. | |
| Auf den Spuren Freuds hat sich die private Hochschule 2009 in Moabit | |
| gegründet. Dem voraus ging eine tiefe, eine hundert Jahre alte Frustration. | |
| Anfang des 20. Jahrhunderts warnte Freud seine Studenten, der | |
| Psychoanalytiker werde sich "in einer Gesellschaft finden, welche seine | |
| Bestrebungen nicht versteht, ihn misstrauisch und feindselig betrachtet". | |
| Tatsächlich wurde der Kampf zum Wegbegleiter der Psychoanalyse: Nach außen | |
| ringt sie um Anerkennung, im Innern tobt der Streit um Methoden. | |
| Mit Berlin ist diese Geschichte aufs Engste verquickt. "Berlin ist ein | |
| schwieriger, aber bedeutungsvoller Boden", schrieb Freud 1908 an den ersten | |
| Berufsanalytiker Deutschlands, Karl Abraham. Im selben Jahr gründete | |
| Abraham die Berliner Psychoanalytische Gesellschaft. 1920 öffnete in der | |
| Potsdamer Straße das Psychoanalytische Institut, das einzige außerhalb | |
| Österreichs. In der angeschlossenen Poliklinik legten sich erstmals nicht | |
| nur die Privilegierten des Bürgertums, sondern auch die Ärmsten auf die | |
| Couch. Ernst Simmel gründete ein paar Jahre später in Tegel ein luxuriöses | |
| Sanatorium fürs Seelenheil der Bourgeoisie. In dieser Zeit infizierte die | |
| Idee vom Unbewussten auch die Künste - Malerei, Film, Literatur. Alfred | |
| Döblin war selbst Psychoanalytiker, Thomas Mann ein Bewunderer. Viele | |
| Psychoanalytiker zog es aus Wien an die Spree, denn im Berlin der 1920er | |
| Jahre fand sich auch Platz für linksrevolutionäre Ideen einer marxistisch | |
| geprägten Psychoanalyse. Der Meister selbst verbrachte regelmäßig Zeit in | |
| Berlin, er hatte hier Familie, spazierte gern und viel durch die | |
| Jungfernheide. Diese Jahre waren wohl die besten der Berliner | |
| Psychoanalyse. | |
| Im Berlin der 30er Jahre wurden Freuds Bücher verbrannt. Die | |
| Psychoanalytische Gesellschaft verstieß drei Viertel ihrer Mitglieder. Die | |
| Lehre des Juden Freud wurde überschrieben von einer deutschen | |
| Seelenheilkunde, die Homosexuelle durch Zwangsbeischlaf kurieren wollte. | |
| Die meisten Berliner Verwandten Freuds starben im Konzentrationslager. Dies | |
| war die Bürde, von der sich die psychoanalytische Szene des | |
| Nachkriegsberlin erholen musste. Erst mit der Studentenbewegung wurde Freud | |
| wieder zur Ikone. Seine Idee von der Arbeit am Ich erwies sich als äußerst | |
| kompatibel mit der Utopie von einer neuen Welt ohne Tabus und | |
| Verklemmtheit. Sogar die gesetzlichen Versicherer zogen mit: 1967 erkannten | |
| die AOK und andere Kassen die Psychoanalyse und die verwandte | |
| tiefenpsychologische Therapie als erste psychotherapeutische | |
| Behandlungsformen überhaupt an. Bis heute machen beide rund die Hälfte | |
| aller Therapien in Deutschland aus. | |
| ## Nur noch ein Wahlfach | |
| Trotz dieser praktischen Bedeutung: Die Lehre Freuds wird zwar an den | |
| privaten Ausbildungsinstituten gepflegt, die alle angehenden | |
| Psychotherapeuten nach dem Studium durchlaufen müssen, aber an den | |
| Universitäten ist keine Handvoll der Professuren für klinische Psychologie | |
| und Psychotherapie mit Psychoanalytikern besetzt. Christa Rohde-Dachser war | |
| lange Zeit eine der wenigen Ausnahmen. In Frankfurt am Main hatte sie 1987 | |
| den Lehrstuhl übernommen, der einst für den Psychoanalyse-Guru der | |
| Siebziger, Alexander Mitscherlich, eingerichtet worden war. Rohde-Dachsers | |
| Veröffentlichungen zum Borderline-Syndrom und ihr feministischer Blick auf | |
| das Unbewusste bewegten die Fachwelt der Psychotherapeuten. Aber die | |
| akademische Psychologie hatte mit der naturwissenschaftlich geprägten | |
| Verhaltenstherapie ihr Lieblingskind gefunden. Als Rohde-Dachser | |
| Professorin wurde, war Psychoanalyse Prüfungsfach in Frankfurt. Inzwischen | |
| ist es nur noch Wahlfach. "Wo soll der Nachwuchs an psychoanalytischen | |
| Professoren und Forschern da herkommen?", beschreibt Rohde-Dachser den | |
| Teufelskreis. Nach 13 Jahren im akademischen Lehrbetrieb zog sie einen | |
| radikalen Schluss: Die Unternehmererbin gründete mit 6 Millionen Euro | |
| Stiftungskapital eine eigene Hochschule für Psychoanalyse. | |
| Ein Mix aus Altbau und schmucklosem Neubau in der Moabiter Turmstraße ist | |
| zur Herberge dieser Idee geworden und der einstige FU-Professor Jürgen | |
| Körner zu Rohde-Dachsers Kompagnon. Seit 2009 werden an der privaten | |
| Hochschule nicht nur Psychologen ausgebildet, sondern auch | |
| Erziehungswissenschaftler und ab April erstmals psychoanalytische | |
| Kulturwissenschaftler. Ein Kleinod der Psychoanalyse soll sie also werden, | |
| ein Ausweg aus der stiefmütterlichen Behandlung an den staatlichen | |
| Universitäten. Was sich schon an den Räumen der Hochschulambulanz zeigt, | |
| gilt auch für Lehre und Forschung. "Freud ist wichtig, aber die | |
| Psychoanalyse hat sich weiterentwickelt", sagt Hochschullehrer Heinrich | |
| Deserno. Wissenschaftliche Erkenntnisse wie die der Neurowissenschaften | |
| seien eingeflossen, Freudsche Grundbegriffe wie der des Ödipuskomplexes in | |
| ihrer Bedeutung relativiert. Und in einem ist sich Deserno sicher: Bei | |
| Erkrankungen wie Borderline oder narzisstischer Persönlichkeitsstörung ist | |
| die lange und intensive Psychoanalyse allen Kurzverfahren überlegen. Wenn | |
| die Forschung dazu weitere Ergebnisse liefere, dann werde auch wieder eine | |
| Blütezeit kommen, prophezeit er. | |
| An der Freien Universität und an der Humboldt-Universität sieht man die | |
| private Konkurrenz gelassen. Im Jugendalter habe er selbst seine ersten | |
| Berührungen mit Psychologie durch Freud-Lektüre gehabt, erzählt Thomas | |
| Fydrich, Professor für Psychotherapie und Leiter der Hochschulambulanz an | |
| der HU. "Aber Psychoanalyse ist nun mal nicht Psychologie, sondern nur eine | |
| Theorie von vielen." Die Psychologie der staatlichen Universitäten sei sehr | |
| naturwissenschaftlich geprägt, denn "man muss wissen, wie der Mensch | |
| funktioniert, um ihn zu therapieren". Auf dieser Grundlage hat sich die an | |
| den Universitäten dominierendeVerhaltenstherapie entwickelt, bei der der | |
| Patient an Alternativen zu zwanghaftem Verhalten und Mustern arbeitet - im | |
| Sitzen. Laut Fydrich belegen Studien, dass die Psychoanalyse bestenfalls | |
| genauso gut wie die Verhaltenstherapie ist. "Dafür verschlingt sie aber | |
| eine Menge Ressourcen", sagt der Psychologe. Bis zu 300 Stunden werden für | |
| eine psychoanalytische Therapie veranschlagt, bei der Verhaltenstherapie | |
| sind es 80. Babette Renneberg, Fydrichs Kollegin von der FU, formuliert | |
| noch drastischer: Wer über die Behandlung der Symptome hinaus "die Kindheit | |
| aufarbeiten möchte, kann das im Rahmen einer Psychoanalyse tun - ob das | |
| unbedingt die Solidargemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten zahlen | |
| muss, ist eine andere Frage." | |
| Couch oder Stuhl, Liegen oder Sitzen, Selbsterkenntnis oder | |
| Selbstbeherrschung - 70 Jahre nach Freud hat der Kampf der Psychoanalyse um | |
| einen Platz in der akademischen Welt wieder Fahrt aufgenommen. Die | |
| eigentlichen Nutznießer dessen sind die ohnehin viel zu zahlreichen | |
| Studienbewerber. Zumindest wenn sie sich die happigen 600 Euro | |
| IPU-Studiengebühren pro Monat leisten können. "Ich will als | |
| Psychotherapeutin die Ursachen und nicht die Symptome behandeln", begründet | |
| eine Studentin ganz im Freudschen Sinne ihre Entscheidung für die private | |
| Hochschule. Aber bei vielen, so die 19-Jährige, habe auch schlicht der | |
| Notendurchschnitt nicht für die staatlichen Universitäten gereicht. | |
| 12 Feb 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Manuela Heim | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |