# taz.de -- Zwangsheirat vor Gericht: Eine Familie auf der Anklagebank | |
> Ein junger Mann soll zum Sex genötigt und später zur Heirat gezwungen | |
> worden sein. | |
"Es fing alles ganz harmlos an." Mit fester Stimme erzählt Ali A. im | |
Zeugenstand seine Geschichte. Er sei gerade 13 gewesen, als die drei Jahre | |
ältere Zeynep T. ihn zum Telefonsex gezwungen habe. Vier Jahre später war | |
er ein verheirateter Mann. Ein zwangsverheirateter Mann, wie er sagt. | |
Darüber hatte das Kriminalgericht Moabit am Mittwoch zu befinden. | |
Eine ganze Familie saß auf der Anklagebank, sie alle sollen Ali A. zur | |
Heirat genötigt haben. Ganz vorne sitzt der Vater von Zeynep T., ein vor | |
über 20 Jahren eingewanderter türkischer Grieche. Dahinter sitzen ihr | |
Bruder und ihr Schwager, die Ali A. etwa mit einem Schlagring misshandelt | |
haben sollen. Dann kommen die Mutter, Zeynep T. selbst und ganz hinten in | |
der Reihe die fast 70-jährige Großmutter. | |
Ali A. erzählt die Geschichte so: 2006, als 13-Jähriger, habe er "diese | |
Person" in einem Chat kennengelernt. Wenig später habe ihn die damals | |
17-Jährige zum Telefonsex und, als er sie zwei Jahre später wiedertraf, zum | |
Sex genötigt. "Normalerweise sieht man das nicht einmal in Filmen, dass ein | |
Mann zum Sex gezwungen wird, sonst ist es doch immer andersrum", sagt Ali | |
A. Eine der Verteidigerinnen will Details. Zeyneps Oma und Mutter haben | |
sich längst abgewandt, verbergen die Gesichter im Schatten ihrer | |
Kopftücher. Für ihn sei es das erste Mal gewesen, für seine spätere Frau | |
nicht, ist sich Ali A. ganz sicher. "Ich sollte ihre Sünden reinwaschen", | |
erklärt er sich den Terror, mit dem ihn die Familie schließlich zur Heirat | |
in Griechenland gezwungen habe. | |
Zeynep T. erzählt die Geschichte anders: Sie hätten sich wirklich geliebt | |
und sogar gegen den Willen ihrer Eltern geheiratet. Nach der Hochzeit habe | |
Ali A. sie geschlagen und eingesperrt, sie auf 30 Kilo abmagern lassen. | |
Ein Arztbericht aus dieser Zeit sagt anderes. Doch am Ende ist es, als | |
sitze der inzwischen geschiedene Zeuge Ali A. auf der Anklagebank. Die | |
Stimmung kippt, als er erzählt, dass seine Schwester, die im selben Zimmer | |
schlief, nichts vom nächtlichen Telefonsex mitbekommen haben soll. | |
In ihrem Schlussplädoyer spricht dann sogar die Staatsanwältin | |
versehentlich vom Angeklagten Ali A. und beantragt Freispruch für Zeynep T. | |
und ihre Familienangehörigen. Mancher Zuschauer hätte gern noch den | |
Kriminalbeamten gehört, der die Drohungen mitbekommen haben soll. Oder Ali | |
A.s Schwester, die nach seiner Aussage im vergangenen Jahr vergewaltigt | |
worden sein soll - als Drohung. Aber der Richter schließt sich der | |
Staatsanwältin an, und am Ende bleibt das schale Gefühl, dass die Wahrheit | |
trotz sieben Stunden Verhandlung im Verborgenen geblieben ist. | |
16 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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