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# taz.de -- Deutsche Kolonien werden vermisst
> GESCHICHTSSCHREIBUNG Eine Gruppe junger Wissenschaftlerinnen wirft dem
> Deutschen Historischen Museum vor, die koloniale Vergangenheit
> auszublenden – und bietet dafür einen alternativen Audioguide an
VON JANNIS HAGMANN
Von Ostpreußen über das heutige Polen bis ins Elsass. So zeigt die Karte in
der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums das Kaiserreich. So
kennt man es aus der Schule, das Deutsche Reich, 1871–1918, lange unter
Bismarck, später die wilhelminische Epoche.
Doch die Karte sei unvollständig, kritisieren fünf junge Historikerinnen,
die sich in der Initiative „Kolonialismus im Kasten?“ zusammengetan haben.
Denn: „Deutschland war Kolonialmacht.“ Auch Kamerun und Togo müsse das
Museum abbilden, ebenso Deutsch-Südwestafrika (Namibia) und
Deutsch-Ostafrika (Tansania, Ruanda, Burundi). Sogar das chinesische
Kiautschou und einige Inseln im Pazifik waren Ende des 19. Jahrhunderts in
deutscher Hand. Nicht nur auf der Karte, in der gesamten Ausstellung fänden
sich „kaum Hinweise auf Deutschlands Kolonialgeschichte“.
Am Samstag stellten die Historikerinnen in Berlin einen alternativen
eineinhalbstündigen Audioguide vor. Da er im Museum selbst nicht erhältlich
ist, können Besucher ihn auf der Website der Initiative kostenlos
herunterladen. Anhand der Ausstellungsgegenstände erzählen die Hörstücke
die Geschichte des Kaiserreichs, stellen stets jedoch die Verbindung zur
deutschen Kolonialpolitik her. Denn erst ganz am Ende des
Ausstellungsabschnitts 1890 bis 1914 findet sich ein Kasten, in dem einige
Objekte zum deutschen Kolonialismus zu sehen sind, die Büste eines
exotisierten Afrikaners etwa. Karten der deutschen Überseegebiete sind –
etwas versteckt – in Schubladen unter einer Treppe untergebracht.
Für diese stiefmütterliche Behandlung zeigen die Historikerinnen, die schon
in der Vergangenheit kritische, vom DHM unabhängige Museumsführungen
anboten, Unverständnis. 1884/85, lernt der Hörer des nun nachgelieferten
Audioguides, fand die Berliner Afrika-Konferenz statt. Unter der Leitung
Otto von Bismarcks bereiteten Europa, die USA und das Osmanische Reich die
fast komplette Aufteilung Afrikas in Kolonien vor. Zur selben Zeit erklärte
Bismarck Gebiete, die deutsche Privatleute und Handelsunternehmen zuvor in
Afrika erworben oder erobert hatten, zu „deutschen Schutzgebieten“. Mit
zwölf Millionen Einwohnern sei das Deutsche Reich die viertgrößte
Kolonialmacht der Welt gewesen.
Wie kommt es, dass im DHM weder die Berliner Konferenz noch die zentrale
Rolle Bismarcks erwähnt wird? Für die Historikerinnen von „Kolonialismus im
Kasten?“ haben die Auslassungen System. In der Geschichtswissenschaft hat
sich die Vorstellung durchgesetzt, dass Geschichte immer eine Erzählung,
eine Konstruktion aus der Sicht der Gegenwart ist. In Deutschland werde die
koloniale Vergangenheit in den Medien, Schulen und Museen auf eine
Randnotiz reduziert.
Das DHM sei kein Einzelfall, sondern nur ein Beispiel hierfür. Im DHM
verteidigt man die nebensächliche Darstellung der deutschen
Kolonialvergangenheit. „Zwar war das Thema ‚Deutsche Kolonien‘ im
Kaiserreich immer wieder Gegenstand politischer Diskussionen und
propagandistischer Entfaltung“, schreibt Arnulf Scriba, wissenschaftlicher
Mitarbeiter des Museums, in einer Stellungnahme für die taz, „im Vergleich
zu Großbritannien, Frankreich und auch Belgien war das Deutsche Reich
jedoch weit davon entfernt, eine wirkliche Kolonialmacht zu sein.“ Die
Geschichte anhand der Kolonialvergangenheit zu erzählen werde der Bedeutung
des Themas nicht gerecht. Dennoch werde man die Kritik als Anregung
aufnehmen, bei der geplanten Umgestaltung der Ausstellung auch den Bereich
zum Kaiserreich neu zu überdenken. Unabhängig davon gebe es die Überlegung,
dem deutschen Kolonialismus in den nächsten Jahren eine eigene Ausstellung
zu widmen.
Eine Sonderausstellung wiederum sehen die Historikerinnen kritisch. Die
Kolonialpolitik sei mit innenpolitischen Verhältnissen und der
Alltagskultur der Deutschen eng verwoben gewesen und könne nicht losgelöst
von nationaler Geschichte dargestellt werden. Wie präsent koloniale
Sehnsüchte und Exotismus im Alltag der Deutschen waren, veranschaulicht die
Initiative an dem im DHM ausgestellten „Kaiserpanorama“, einem Holzpavillon
zur öffentlichen Vorführung von Dias. Auf der Texttafel des Museums heißt
es, Kaiserpanoramen befriedigten „die Sehnsucht nach fernen Welten“. Zu
sehen sind Bilder von der Pariser Weltausstellung. Dass auf
Weltausstellungen regelmäßig „Völkerschauen“ veranstaltet wurden,
kritisiert der Audioguide, werde verschwiegen. Diese präsentierten
sogenannte Naturvölker im Gegensatz zur fortschrittlichen westlichen Welt.
Auch im Berliner Treptower Park seien im Rahmen einer Kolonialausstellung
„Eingeborenendörfer“ mit ausgestellten Kolonisierten aus deutschen
Überseegebieten errichtet worden. Ein Randthema, wie das DHM glauben mache,
seien die Kolonien nie gewesen.
■ Kolonialismus im Kasten: [1][www.kolonialismusimkasten.de]
4 Mar 2013
## LINKS
[1] http://www.kolonialismusimkasten.de
## AUTOREN
JANNIS HAGMANN
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