# taz.de -- Kreuzfahrten: Das Schiff ist das Ziel | |
> 111 Jahre ist die Kreuzfahrt inzwischen alt. Sind die heutigen | |
> Monsterkähne Superlative genialer Ingenieurskunst oder Ausdruck maritimen | |
> Irrsinns? | |
Bild: Ein Keuzfahrtschiff vor dem Auslaufen. Die Glanzstücke jeden Hafens. | |
Erwartungen fast vollständig erfüllt", postet Axel und bewertet seine | |
Kreuzfahrt auf der "Costa Concordia" mit der Gesamtnote 2,0. Zwar sei das | |
Schiff "etwas in die Jahre gekommen" und die "Ausstattung sehr bunt" und | |
"eher Geschmackssache", aber die "Kabinen sind immer sauber", "das Essen | |
war wirklich sehr gut", und "die Crew war außerordentlich freundlich". | |
Axel schreibt das am 12. Januar 2012 im Internetportal | |
[1][www.Kreuzfahrten.de]. Der letzte Eintrag, bevor einen Tag später die | |
"Costa Concordia" vor der italienischen Toskanainsel Giglio einen Felsen | |
rammt und kentert. Es war der 13. Januar, ein Freitag. | |
Ein maritimer GAU. Ein Warnschuss vor den Bug der Traumschiffindustrie. | |
Dieses bizarre Bild wird lange nachwirken: der vor der Küste wie ein | |
Pottwal gestrandete Schiffsgigant, der mit schwerer Schlagseite nun schon | |
seit Wochen regungslos im Wasser liegt. 25 Tote wurden geborgen, 7 Menschen | |
werden noch vermisst. Bergungsmannschaften pumpen jetzt 2.400 Tonnen | |
giftigen Schweröls aus den Tanks des Schiffswracks. | |
Während die Reederei Costa Crociere alle Passagiere mit je 11.000 Euro | |
entschädigen will, reichten 39 Einzelpersonen eine Sammelklage in Miami | |
ein, dem Hauptsitz der Muttergesellschaft der "Concordia"-Reederei, | |
Carnival Cruise Lines, und fordern 400 Millionen Euro Entschädigung und | |
Strafe. | |
## Der schöne Schein der weißen Traumschiffe | |
Trägt der "Chaos-Kapitän" der "Concordia" mit seinem waghalsigen | |
Grußmanöver die Alleinschuld? Oder sitzt die Reederei unter Umständen doch | |
mit im Anklageboot? Jenseits dieser juristischen Kardinalfrage steht die | |
gesamte Kreuzfahrtbranche auf dem Prüfstand: Im Schlepptau des | |
Giglio-Dramas geht es nicht nur um Sicherheitsstandards, Rettungsmittel und | |
Evakuierungsszenarien, sondern auch um Arbeitsbedingungen, die teilweise | |
ausbeuterischen Niedriglöhne und die Ausbildung des Personals. | |
Es geht um den schönen Schein der weißen Traumschiffe, die laut | |
Naturschutzbund Deutschland (Nabu) in Wahrheit "dreckige Rußschleudern" | |
seien, weil sie mit billigem giftigem Schweröl fahren und "einen deutlich | |
sichtbaren ökologischen Fußabdruck" hinterlassen. Und es geht um den Ruf | |
einer Freizeitindustrie, die auf Gigantomanie und ständige Expansion setzt, | |
um einen Massenmarkt mit Konkurrenzdruck und Kampfpreisen. | |
Die Havarie der "Costa Concordia" ist die folgenschwerste Katastrophe der | |
Kreuzfahrtgeschichte - nach dem mythenumrankten Untergang der "Titanic" mit | |
fast 1.500 Todesopfern. Die Vorbereitungen der Gedenkfeiern zum Untergang | |
der "Titanic", die vor 100 Jahren, am 14. April 1912, mit einem Eisberg | |
kollidierte, laufen auf Hochtouren. Höhepunkt wird die Memorial Cruise auf | |
der Azamara Journey über den Nordatlantik sein. | |
111 Jahre ist die Kreuzfahrt inzwischen alt. Und sie ist eine deutsche | |
Erfindung. Ihr Schöpfer war Albert Ballin, Direktor der | |
Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft, kurz Hapag. Weil | |
die Passagierdampfschiffe, die im Linienverkehr die Transatlantikroute | |
zwischen Europa und Nordamerika befuhren, im Winter kaum ausgelastet waren, | |
kam Ballin auf die bahnbrechende Idee, das Hapag-Flaggschiff, die erst zwei | |
Jahre alte "Auguste Victoria", für eine exklusive "Bildungs- und | |
Vergnügungsreise" einzusetzen. | |
Am 22. Januar 1891 gehen 240 Passagiere, darunter Gastgeber Ballin, an | |
Bord. Zwei Monate dampft das elegante Schiff kreuz und quer durchs | |
Mittelmeer, legt für organisierte Landausflüge ein paar Tage in Alexandria | |
(Tour zu den Pyramiden in Kairo), Jaffa, Beirut und Konstantinopel an, | |
sorgt überall für großes Hallo. Eine gelungene Premiere, die Geburtsstunde | |
des Seetourismus: die Kreuzfahrt als maritime Tour fürs reine Vergnügen. | |
## "Excursionen" | |
Was damals als luxuriöse "Excursion" begann, ist heute zum Funphänomen für | |
Urlaubermassen geworden. Gegenüber der "adeligen" "Auguste Victoria", die | |
mit ihren 240 Gästen gerade mal eine Dorfgemeinschaft hätte beherbergen | |
können, gleichen heutige Megaliner schwimmenden Kleinstädten. Die | |
weltgrößten Ozeanriesen, die fast baugleichen "Oasis of the Seas" und | |
"Allure of the Seas" der US-amerikanischen Reederei Royal Carribean | |
International, können über 6.000 Passagiere aufnehmen. Mithin so viel wie | |
die gesamte Bevölkerung von Ruhpolding in Bayern oder Bispingen in der | |
Lüneburger Heide. Dazu kommen noch einmal rund 2.300 Crewmitglieder. | |
Immer größer, gewaltiger, aufwendiger werden diese "Vergnügungsparks zur | |
See" (Der Spiegel). Zum Beispiel die milliardenschwere "Allure of the Seas" | |
(Verlockung der Meere): Mit 225 282 Bruttoregistertonnen ist die Tonnage | |
fünfmal so schwer wie die der "Titanic", mit 360 Metern ist sie länger als | |
jeder US-Flugzeugträger und mit 16 Decks so hoch wie 72 Meter hohe | |
Bürotürme. | |
Es gibt einen Central Park mit 12.000 Bäumen und Sträuchern, eine Kopie der | |
Fußgängerzone von South Beach in Miami, 37 Restaurants und Bars und | |
24-Stunden-Bespaßung mit einer unvorstellbaren Vielfalt von Freizeit-, | |
Wellness-, Sport- und Unterhaltungsangeboten. Einziger Nachteil: | |
Schönwetterschiffe wie die "Allure" oder die "Oasis" können nur in der | |
Karibik kreuzen. Das Schiff ist das Ziel, so lautet die Philosophie dieser | |
Event- und Spaßschiffe. All inclusive, alles an Bord, shoppen, golfen, | |
tanzen in der Disco. Der Meerblick ist garantiert, der Landgang eigentlich | |
überflüssig. | |
Die Kreuzfahrtbranche badet im Erfolg. Zweistellige Zuwachsraten von | |
Passagieren und Umsätzen sind seit Jahren die Regel. Laut Cruise Market | |
Watch buchten im vergangenen Jahr weltweit mehr als 19 Millionen Menschen | |
eine Hochseereise. Nach den USA/Kanada und Großbritannien belegt | |
Deutschland mit rund 1,3 Millionen Passagieren Platz drei bei den | |
Kreuzfahrern. Rund 350 Traumschiffe schippern zurzeit auf den Weltmeeren. | |
Reedereien lassen ständig neue Megaliner vom Stapel, allein im Jahr 2010 | |
kam ein Dutzend neuer schwimmender Hotels mit 27.000 Betten zur | |
Auslieferung. Eine Sättigung des Marktes scheint noch nicht in Sicht. | |
Michael Thamm, Chef von Aida Cruises, dem deutschen Marktführer, verweist | |
auf Studien, nach denen sich 12 Millionen Deutsche eine Kreuzfahrt für sich | |
vorstellen könnten. | |
## "Aldi"-Kreuzfahrt für 449 Euro | |
Früher war die klassische Kreuzfahrt ein exklusiver Luxus für die betuchte | |
Generation 60 plus. Vor allem Aida Cruises hat das Seniorenimage abgelegt. | |
Den Bug ihrer bisher acht Schiffe ziert ein roter Kussmund, mit dem Konzept | |
Cluburlaub auf See lockt man jüngere Paare und Familien, 42 Jahre ist das | |
Durchschnittsalter an Bord. In der einstigen Hochpreisbranche purzeln die | |
Preise, die Reisen werden als Schnäppchen verhökert. | |
Wie wäre es mit einer Kreuzfahrt bei dem Discounter Ihres Vertrauens? Kein | |
Problem! Aldi Süd verkauft eine Kreuzfahrt ins westliche Mittelmeer, im | |
Auftrag des Reiseveranstalters Berge & Meer, für 449 Euro. Discounterrivale | |
Lidl tritt ab diesem Jahr gleich selbst als Kreuzfahrtreiseveranstalter | |
auf. Eine zehntägige Karibikkreuzfahrt auf der "Freedom of the Seas" kostet | |
dann bei Lidl-Reisen 1.199 Euro. | |
Wie verkraftet die Branche die Havarie der "Costa Concordia"? Der | |
Branchenprimus Carnival, der US Konzern, zu dem auch die Costa Crociere | |
Reederei gehört, verzeichnet einen Umsatzrückgang von 15 Prozent im | |
Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Der Deutsche ReiseVerband (DRV) hingegen | |
hat keine Hinweise auf eine größere Stornowelle hierzulande. | |
"Kreuzfahrten werden trotz des tragischen Unglücks weitergehen", | |
prognostiziert eine Sprecherin des DRV und zitiert aus einer | |
Sicherheitsstatistik: "Seit 2005 gab es bei fast 100 Millionen beförderten | |
Kreuzfahrtpassagieren nur 16 Todesfälle zu beklagen." Die Hightechschiffe | |
gelten als praktisch unsinkbar, der Mensch allein bleibt ein | |
Unsicherheitsfaktor. Drei Viertel aller Havarien, heißt es in der Branche, | |
gehen auf menschliches Fehlverhalten zurück. | |
Wie sehen die Touristentanker von morgen aus? Die Grenze technischer | |
Machbarkeit scheint noch nicht erreicht. Fredrik Johansson, ein | |
schwedischer Schiffdesigner, hat ein 500 Meter langes Schiff am Computer | |
entworfen. Ein solcher Megaliner könnte inmitten reizvoller Archipele | |
ankern und die Passagiere anschließend in kleineren, in seinem Rumpf | |
mitgeführten Jachten oder in Wasserflugzeugen ausbooten und zu den | |
Ausflugszielen bringen. Noch ist das Zukunftsmusik, aber träumen wird die | |
Traumschiffbranche ja dürfen. Zumal die US Navy das Konzept "Schiff im | |
Schiff" bereits umgesetzt hat. | |
25 Feb 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.Kreuzfahrten.de | |
## AUTOREN | |
Günter Ermlich | |
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