# taz.de -- Arbeitsbedingungen auf Kreuzfahrtschiffen: "Das Gesetz macht die Ge… | |
> Die Journalistin Melissa Monteiro arbeitete als Kellnerin undercover auf | |
> einem Kreuzfahrtschiff. Darüber hat sie eine kritische TV-Reportage | |
> gedreht. | |
Bild: In den Seilen hängt so mancher Beschäftige auf einem Kreuzfahrtschiff. | |
taz: Warum verschweigen Sie in Ihrem Film, auf welchem Schiff und für | |
welche Reederei Sie undercover als Kellnerin gearbeitet haben? | |
Melissa Monteiro: Ich wollte ganz allgemein über das Leben unter Deck | |
erzählen. Mich interessierten die Leute, nicht die | |
Kreuzfahrtgesellschaften. Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt, unter | |
diesen Bedingungen zu arbeiten und zu leben. Ich habe nicht diese oder jene | |
Gesellschaft ausgewählt, denn nachdem ich bei der Vorrecherche verschiedene | |
Crew-Mitglieder interviewt hatte, wurde mir klar, dass sich die | |
Arbeitsbedingungen bei allen Gesellschaften sehr ähneln. Ein weiterer | |
Punkt: Wenn man einen Job auf See möchte, muss man sich bei | |
Vermittlungsagenturen für Kreuzfahrtschiffe bewerben. Man weiß zunächst | |
nicht, für welche Gesellschaft man arbeiten wird, vor allem dann nicht, | |
wenn man vorher noch keine Joberfahrung in dieser Branche hatte. Wie das | |
bei mir der Fall war. | |
Vor Arbeitsbeginn mussten Sie in Vorleistung gehen: 150 Euro für | |
Arbeitskleidung, 250 Euro Provision für die Vertragsunterzeichnung, 1.000 | |
Euro für Trainingskurse wie Bedienen, Leben an Bord, Sicherheit. Ist das | |
normal, wenn man auf einem Kreuzfahrtschiff anheuern will? | |
Soviel muss man mindestens aufwenden, wenn man sich bei einer Reederei | |
bewirbt und eingestellt werden will. Einige Gesellschaften verlangen, dass | |
die Angestellten den Flug im Voraus bezahlen, um zum Schiff zu stoßen, egal | |
wo es auf der Welt gerade kreuzt. Noch ein Beispiel: Arbeitskräfte aus | |
Indien zahlen sieben oder achte Monatslöhne an Dritte, an | |
Vermittlungsagenturen, die ihnen "helfen" den Job zu kommen. Zahlen sie | |
nicht, bekommen sie den Job nicht. | |
Wie viel haben Sie als Kellnerin verdient? | |
Etwa 1.000 Euro im Monat. Das hing ab von der Höhe der Trinkgelder und der | |
Provision für verkaufte Cocktails. Ich habe sieben Tage die Woche | |
gearbeitet, 12 bis 14 Stunden täglich. Macht etwa 2,50 Euro die Stunde. | |
Beim Servicepersonal ist das einer der bestbezahlten Jobs an Bord. | |
Schildern Sie mal Ihren Tagesablauf. | |
Eine typische Tagesschicht sah so aus: 8 bis 13 Uhr Arbeit, 13 bis 16 Uhr | |
Pause, 16 bis 19 Uhr Arbeit, eine Stunde Pause, Arbeit von 20 bis 1 oder 2 | |
Uhr in der Nacht, bis die Bar schließt. Also zwei Stunden Schlaf tagsüber | |
und vier Stunden nachts - aber ich brauchte auch Zeit, um mich zu duschen, | |
zu essen, meine Kabine und Kleidung zu säubern. Schlaf- und Ruhephasen | |
waren also sehr kurz. Die Zeit war kostbar. | |
Wie sah Ihre Kabine aus? | |
Meine Kabine, die ich mit einer anderen Kellnerin teilte, war klitzeklein. | |
Wir mussten sie selber sauber halten. Ein, zwei Mal pro Woche wurden wir | |
kontrolliert, ob alles in Ordnung war. Außerdem suchten Aufseher nach | |
verbotenem Essen und Getränken, denn Alkohol und rohe Lebensmittel sind in | |
der Kabine nicht erlaubt. | |
In Ihrem Film prangern Sie die ausbeuterischen Löhne an. Aber es gibt ja | |
nicht nur die Geringstverdiener unter Deck, sondern auch die Deck-Crew der | |
Offiziere und das Service-Personal im Hotelbereich. | |
Offiziere sind die Ausnahme: sie haben bessere Kabinen auf den Decks sieben | |
bis zehn, also weit weg vom Maschinenraum. Sie haben bessere Gehälter, | |
werden in Euro oder US-Dollar bezahlt, je nach der Herkunft der Reederei | |
des Schiffs. Sie haben eine Sozialversicherung in ihren Ländern, einen | |
Acht-Stunden-Tag und Arbeitsplatzsicherheit. Außerdem können sie sich auf | |
dem Schiff frei bewegen und dieselben Restaurants und Shops besuchen wie | |
die Passagiere auch. Dagegen haben die übrigen Besatzungsmitglieder keine | |
Sozialversicherung. Die Löhne variieren zwischen 400 und 1.500 US-Dollar, | |
sie werden nur in US-Dollar bezahlt, egal wo die Reederei ihren Sitz hat. | |
Die Crew-Mitglieder müssen sich eine Kabine auf dem dritten oder vierten | |
Deck teilen und in ihren Pausen auf dem dritten oder vierten Deck bleiben. | |
Sie leben in einer eigenen Welt. | |
Für Hilfskräfte aus Entwicklungsländern, zum Beispiel einen Tellerwäscher | |
aus Indonesien, ist ein 400-Dollar-Job doch attraktiv, oder? | |
Ja, 400 US-Dollar sind in einigen Entwicklungsländern in Asien, Afrika und | |
Südamerika eine Menge Geld. Deshalb lassen sich Menschen aus diesen Ländern | |
auch auf die knochenharten Bedingungen an Bord ein. Sie machen das 10 bis | |
15 Jahre, verdienen in dieser Zeit soviel Geld, dass sie sich zu Hause ein | |
angenehmes Leben aufbauen können. Aber sie opfern sich auf, geben ihr Leben | |
her, ihre Kinder wachsen ohne sie auf und sie sehen ihre Familien nur einen | |
Monat im Jahr. Sie sparen alles Geld, sie machen nichts anderes als | |
arbeiten, essen und schlafen. Das ist eine Lebensentscheidung, aber das ist | |
kein Leben. | |
In Ihrer Dokumentation zeigen Sie aber auch, dass sich die Besatzung unter | |
Deck in einer Parallelwelt eingerichtet hat. Viele machen heimlich einen | |
zweiten Job: sie schneiden Haare, geben Massagen, stechen Tattoos, reinigen | |
die Kabinen. Wie haben Sie Ihre "Kollegen" erlebt? | |
Die meisten Crew-Mitglieder, die ich getroffen habe, waren tough drauf und | |
hatten ein klares Ziel vor Augen: mit dem Ersparten später zu Hause ihren | |
Familien ein besseres Leben zu ermöglichen. Es gab auch andere, die | |
unglücklich waren und sich ständig beklagten. Und es gab solche, die nicht | |
unbedingt einen Zweitjob brauchten, die aber mal etwas Neues, Anderes | |
ausprobieren wollten. | |
Warum ist es so schwierig, bessere Arbeitsbedingungen und Löhne auf See | |
durchzusetzen? Weil die Reedereien in einem gnadenlosem Konkurrenzkampf | |
stehen? | |
Zunächst einmal, weil sich niemand drum kümmert, weil es keine | |
internationale Übereinkunft gibt. .Für die Crew-Mitglieder gelten an Bord | |
nicht die Gesetze ihrer Heimatländer. Es gibt kein Gesetz - das "Gesetz" | |
macht die Gesellschaft.. Um Kosten zu sparen, fahren die meisten Schiffe | |
unter der Flagge von Steuerparadiesen wie zum Beispiel Panama. Daher ist es | |
fast unmöglich, für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Dazu | |
kommt natürlich das andere "Gesetz": das von Angebot und Nachfrage: Es gibt | |
viel mehr Menschen, die für die Kreuzfahrtunternehmen arbeiten wollen, als | |
freie Stellen. Ein weiteres Symptom der weltweiten Armut, Ungleichheit der | |
Gesundheitsversorgung, und Globalisierung von Arbeitskräften. | |
Häufig kommen die Besatzungsmitglieder aus 50 oder 60 Nationen und gehören | |
verschiedenen Kulturkreisen an. Sind da Konflikte vorprogrammiert? | |
Nein, ich habe keine Konflikte erlebt. Es ist ein großer melting pot der | |
Kulturen, die Menschen lernen eine Menge voneinander, das ist die gute | |
Seite der Arbeit an Bord. Aber es gibt eine andere Art von Konflikten, die | |
auf der Macht und Stellung der Offiziere beruht. Viele Crew-Mitglieder | |
leben ständig mit der Angst, bestraft zu werden. Nach drei schriftlichen | |
Verwarnungen wegen der Nichtbeachtung der Regeln können sie gefeuert werden | |
und bekommen nie wieder einen Job bei der Gesellschaft. Wegen der Angst, | |
ihren Job zu verlieren, schlucken sie auch verbale Demütigungen. | |
Haben Sie vor Arbeitsbeginn ein Sicherheitstraining erhalten? Hätten Sie im | |
Fall einer Havarie wie bei der Costa Concordia gewusst, was sie zu tun | |
gehabt hätten? | |
Ja, um überhaupt eingestellt zu werden, muss man das STCW-Zertifikat | |
(International Convention on Standard of Training) haben. Im ersten Monat | |
hatten wir Trainingskurse, wie man mit Situationen wie Feuer, Panik und | |
terroristischen Bombendrohungen umgeht. Einmal pro Woche simulierten wir | |
mit Passagieren eine Notfallsituation. Jeder weiß, wohin er gehen und was | |
er im Notfall tun muss. Aber alles hängt von der Entscheidung des Kapitäns | |
ab, von seinen Worten und Taten. Ohne seine präzise und schnelle Ansage | |
sind alle anderen Schritte unnütz. | |
Sie hatten einen Vertrag für neun Monate, mussten ihren Job als Kellnerin | |
aber nach fünf Monaten wegen einer Sehnenscheidenentzündung aufgeben. Wie | |
sieht Ihr Fazit als Crew-Mitglied eines Kreuzfahrtschiffs aus? | |
Ich vergleiche es gern mit Reality Shows, wo Leute eingesperrt sind und den | |
Kontakt mit der Außenwelt verlieren. Oder mit der Situation im Gefängnis. | |
Es ist ein Mikrokosmos, wo man gezwungen ist, sehr schnell zu lernen, wie | |
man sich einrichtet und überlebt, weil alles Wichtige im Leben so | |
unerreichbar und weit entfernt ist. Die Menschen geben sich so, wie sie | |
wirklich sind, weil sie keine andere Wahl haben. Alle großen Gefühle kommen | |
raus: Heimweh, Trauer, Tränen, Ängste. Da ist kein Platz für Fake. Man | |
lernt, wie man fast mit nichts leben kann und erkennt den wahren Wert der | |
Dinge, die man zu Hause lassen musste. | |
25 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Günter Ermlich | |
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