# taz.de -- Deutsch-türkische Kulturolympiade: Flaggenwedeln fürs Miteinander | |
> Beim Berliner Vorentscheid der "Deutsch-Türkischen Kulturolympiade" | |
> machen sich deutsche Muttersprachler um türkisches Liedgut verdient - und | |
> umgekehrt. | |
"Hier trifft Brauchtum auf Moderne", verspricht das Video-Intro. Gezeigt | |
wird nicht nur die Größe der türkischen Kultur, man sieht auch deutschen | |
Karneval, gemeinsames Public Viewing zur WM und deutschtürkische | |
Jugendliche, die in der Heidelberger Altstadt Cello und türkische Gitarre | |
spielen. Die Botschaft ist klar: Beim Berliner Vorentscheid zur | |
"Deutsch-Türkischen Kulturolympiade" im Audimax der TU geht es am | |
Samstagabend ums Miteinander, um Völkerverständigung und um das Bewahren | |
von Traditionen. In den Disziplinen "Gesang", "Gedicht" und "Volkstanz" | |
treten Schüler von 12 bis 16 Jahren gegeneinander an. | |
Um ein Zeichen für Integration zu setzen und weil die Veranstalter | |
festgestellt haben, das in Deutschland Brauchtum immer weniger gepflegt | |
wird, ist die einstmals Türkische Kulturolympiade vor zwei Jahren zur | |
Deutsch-Türkischen geworden. Und deswegen singen und rezitieren dieser Tage | |
auch türkische Muttersprachler auf Deutsch und deutsche Muttersprachler auf | |
Türkisch in bundesweit 14 Vorentscheiden um die Wette. | |
Das Audimax ist voll, rund 1.000 Zuschauer sind gekommen zum bilingualen | |
Contest. Mit weiß-roten und schwarz-rot-goldenen Luftballongirlanden vor, | |
neben und auf der Bühne haben die Organisatoren versucht, dem schlichten | |
Saal eine festliche Deko zu verpassen. In der Themenwahl traditionell, in | |
der Inszenierung modern erscheint die Deutsch-Türkische Kulturolympiade mit | |
dem rot-blau funkelnden Scheinwerferlicht, einer aufwendig animierten | |
Präsentation und immer wieder eingespielten Jingles wie eine | |
interkulturelle Version von "Deutschland sucht den Superstar". | |
"Der schönste Beweis, dass die deutsch-türkische Freundschaft lebt", | |
schließt das Video, danach begrüßt Schauspieler und Moderator Patrick | |
Diemling das Publikum. "Teekkür ederim", bedankt er sich für seinen ersten | |
Applaus - was den Beifall noch anschwellen lässt. Das Publikum ist | |
überwiegend migrantisch und im feinen Zwirn erschienen. Ginge es nach dem | |
Anteil der erschienenen Biodeutschen, ist das deutsche Brauchtum wohl | |
verloren. | |
"Wer hat denn alles eine Flagge? Einmal wedeln bitte", feuert Moderator | |
Diemling das Publikum zur Unterstützung an. Dann beginnt der Wettbewerb. | |
Zuerst rappen zwei junge Deutschtürken in ihrem Song "Seine Geschichte" | |
über die Probleme des Erwachsenwerdens in Berlin. In der Mehrheit aber sind | |
die dargebotenen Gedichte und Lieder traditionelle türkische Folklore, die | |
die große Liebe, das Verlangen nach dem Geliebten und das innige Verhältnis | |
zu Vater und Mutter besingen, also vermutlich das, was die versammelte | |
Elternschaft hören will. In der Kategorie "Volkstanz" tanzt eine Gruppe | |
junger Mädchen mit schwarzen Zöpfen eine "Holsteiner Dreitour". Sie tragen | |
schwarze Kleider mit rosa und lila Schürzen. | |
## Lässig statt zackig | |
Die zweite Volkstanzgruppe tanzt den türkischen "Seymenli". Die jungen | |
Herren tragen traditionelle Gewänder aus der Region um Ankara, doch ihre | |
eher lässigen statt zackigen Bewegungen verraten, dass sie in ihrer | |
Freizeit vermutlich zu anderen Rhythmen tanzen. In der Umbaupause singt der | |
Kinderchor der türkischen Tüdesb-Privatschule "Mein kleiner grüner Kaktus". | |
Poppiger ist der Auftritt von Emily Leberecht. Sie tritt mit dem türkischen | |
Song "Hayde" an und hat offensichtlich ihren Fanclub mitgebracht. Mehrmals | |
wird ihr Auftritt vom kreischenden Szenenapplaus junger Mädchen auf den | |
Rängen unterbrochen. Während Emily singt, tanzt hinter ihr eine Gruppe | |
junger Mädchen mit bunten Hüfttüchern und zartem Hüftschwung - einige mit, | |
andere ohne Kopftuch. | |
Ebenfalls poppiger ist der Auftritt der Siebtklässlerin Melissa Isik. Die | |
türkische Muttersprachlerin singt im blauen Kleid mit zuerst etwas | |
brüchiger Stimme, dann zunehmend mutiger den Song "Der beste Moment". Kurz | |
danach tritt ihre Freundin und deutsche Muttersprachlerin Nina Karohs mit | |
dem türkischen Song "Es regnet auf einen Stein" an. Ermuntert durch das | |
Klatschen des Publikums schnippt die 12-Jährige mit den langen blonden | |
Haaren mit den Fingern und wiegt langsam von einem Bein aufs andere. | |
Überhaupt: Die TeilnehmerInnen sind in der Mehrheit weiblich. | |
Bevor die achtköpfige deutsch-türkische Jury die Gewinner bekannt gibt, | |
dürfen die Kultur-Olympioniken am Ende der Veranstaltung noch den Auftritt | |
eines Profis bewundern. Der nach eigenen Angaben der türkischen Musik "seit | |
langem verfallene" Deutschitaliener und Hamburger Mario Rispo spielt mit | |
seiner Band Lieder aus seinem aktuellen Programm "Istanbul - Lieder der | |
Sehnsucht". Nach der perfekten Showeinlage gibt es bei der Präsentation der | |
SiegerInnen Pannen in der Präsentation. Trotzdem werden nach kurzem | |
Durcheinander die Gewinner präsentiert. Die Freundinnen Melissa und Nina | |
sind nicht darunter. Trotzdem fühlen sich die beiden Siebtklässlerinnen vom | |
Fontane-Gymnasium in Rangsdorf nach ihren Aufritten "richtig gut", wie Nina | |
es ausdrückt. Sie lernt erst seit einem Monat Türkisch. "Angefangen hab ich | |
wegen Melissa, ich hab oft bei ihr übernachtet, und dann hat sie mich | |
überredet" erzählt die 12-jährige Berlinerin. | |
## Finale in Paderborn | |
Während Melissa und Nina in Berlin bleiben müssen, fahren die Gewinner im | |
April zum Deutschland-Finale in Paderborn. Wer sich dort durchsetzt, darf | |
im Juni zum Weltfinale in die Türkei fahren. Aus allen Ländern der Welt, in | |
denen Türken leben oder in denen Türkisch gelehrt wird, reisen dann | |
Delegationen in die Türkei. Letztes Jahr nahmen Teilnehmer aus 130 Ländern | |
am Weltfinale teil. "In der Türkei ist die Kulturolympiade ein großes | |
Medienereignis", erzählt Süleyman Bag, Berliner Büroleiter der | |
auflagenstärksten türkischen Tageszeitung Zaman. | |
Der Vorentscheid in Berlin fällt dagegen doch recht bescheiden aus. In | |
einigen Kategorien haben sich nicht genug BewerberInnen gefunden. Deswegen | |
ist der Berliner Bastian Lübke automatisch beim Deutschland-Finale mit | |
dabei. Er wird in Paderborn in der Kategorie "Vortrag" über die anatolische | |
Stadt Urfa referieren. "Der Großteil meiner Freunde sind Türken", erzählt | |
der Berliner. Seit 8 Jahren fliegt er mit seinem Freund Volkan in die | |
Türkei. Dort hat er auch gelernt, was eine echte Metropole ist: Im | |
Vergleich zu Berlin sei Istanbul noch mal "ne Nummer größer", erzählt er | |
begeistert. | |
26 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Moritz Wichmann | |
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