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# taz.de -- Taiwan hat die niedrigste Geburtenrate der Welt: Tigerfrauen wollen…
> Weil immer mehr Taiwanerinnen spät oder gar nicht heiraten, kriegt jede
> Frau im Durchschnitt nur 1,1 Kinder. Gleichzeitig altert die Gesellschaft
> in Taiwan rapide.
Bild: Taiwanerinnen bekommen erklärt, wie glücksbringend ein Kind im Jahr des…
Wenn Hsiang-fen Chen lacht, strahlt sie über das ganze Gesicht. Die
Enddreißigerin mit Bubikopf lacht viel. Sie ist eine, die es geschafft hat.
Sie arbeitet in der Planungsabteilung des taiwanischen Arbeitsministeriums
– ein Job, von dem junge Frauen in Taiwan träumen. Wie viele berufstätige
Frauen lebt Hsiang-fen Chen allein – und ist nicht traurig darüber. "Ich
lebe mit einer Katze zusammen, das ist sehr angenehm", witzelt sie.
"Vor einigen Jahren habe ich die Beziehung zu meinem Freund beendet. Das
Leben als Single passt gut zu mir", sagt die Regierungsangestellte. Fast
alle ihre Freundinnen sind ebenfalls nicht verheiratet. "Wir treffen uns
zum Essen, schauen Filme an, manchmal gehen wir wandern oder machen eine
Radtour." Am Wochenende besucht sie ihre Mutter und die Familie ihres
Bruders. Und sie malt: gerne Katzen oder Selbstporträts mit Katze.
Weil immer mehr Taiwanerinnen spät oder gar nicht heiraten, hat das Land
inzwischen mit 1,1 Kindern pro Frau – gemeinsam mit dem Stadtstaat Singapur
– die niedrigste Geburtenrate der Welt. Zum Vergleich: In Deutschland liegt
die Rate bei 1,4. Gleichzeitig altert die Gesellschaft in Taiwan rapide.
Bereits heute ist ein Zehntel der Bevölkerung des 23-Millionen-Staats älter
als 65. Die Regierung ist alarmiert, denn der Wirtschaft werden bald
Fachkräfte fehlen – und Pflegekräfte, die sich um die vielen Alten kümmern.
## brisante Situation in den "Tigerstaaten"
Mit diesen Problemen kämpfen die meisten hoch entwickelten Länder von
Deutschland bis Japan. Doch in den sogenannten Tigerstaaten Taiwan,
Südkorea und Singapur ist die Situation wegen der rasanten wirtschaftlichen
Entwicklung in den vergangenen fünfzehn Jahren besonders brisant. Die
Geburtenrate ist nicht langsam zurückgegangen, sondern steil abgestürzt.
Noch Mitte der 80er Jahre hatten die meisten Familien in Taiwan drei oder
vier Kinder. Die Gesellschaft war sehr traditionell geprägt, viele Frauen
wollten vor allem gute Hausfrauen und Mütter sein.
Heute möchten die jungen, gut ausgebildeten Taiwanerinnen Karriere machen
und ihr eigenes Geld verdienen. Doch Beruf und Familie sind noch schwerer
zu vereinbaren als in Europa. Ein Grund sind die langen Arbeitszeiten: Wer
erfolgreich sein will, muss oft bis spätabends schuften. Zweiter Grund:
Männer, die sich an der Arbeit im Haushalt und an der Kindererziehung
beteiligen, sind rar.
Professor Ching-lung Tsay, Professor für Demografie in Taipeh, erläutert:
"Die jungen Frauen suchen eine gleichberechtigte Partnerschaft. Notfalls
bleiben sie lieber allein." Da es für Frauen einfacher geworden sei,
eigenes Geld zu verdienen, gebe es auch keine ökonomischen Gründe mehr für
eine Heirat. Der Professor versucht seinen männlichen Studenten
klarzumachen: "Ihr müsst eure Einstellung ändern, sonst findet ihr nie eine
Frau. Und ihr solltet bereit sein, die Hälfte der Hausarbeit zu
übernehmen."
## "Schwach und unselbstständig"
Seine Kollegin Jau-hwa Chen, eine Philosophie-Dozentin, ergänzt: "Viele
junge Männer sind schwach und unselbstständig. Sie sind sehr von ihren
traditionellen Müttern beeinflusst." Selbst wenn der Mann versuche, eine
gleichberechtigte Partnerschaft zu leben, dränge seine Mutter die
Schwiegertochter in ein traditionelles Rollenverhalten. "Viele
Wissenschaftlerinnen und andere gut ausgebildete Frauen leben deshalb
lieber alleine."
So wie die Regierungsangestellte Hsiang-fen Chen. Neben der fordernden
Arbeit und den vielen Hobbys ist in ihrem Leben kein Platz für einen
Ehemann. Sie organisiert im Ministerium Schulungen für Gewerkschaften und
Arbeitgeberverbände. "Ich bin nicht arbeitssüchtig", sagt sie, "aber ab und
zu muss ich schon Überstunden machen." Wenn sie abends nach Hause kommt,
macht sie es sich mit ihrer Katze gemütlich oder trifft sich mit
Freundinnen. Einige von ihnen haben die Suche nach einem Ehemann noch nicht
aufgegeben. "Sie erwarten von ihrem 'Mr. Right', dass er sie respektiert
und sich an der Hausarbeit beteiligt", sagt Hsiang-fen Chen. Aber nicht
jede, die einen Mann sucht, will auch Kinder bekommen: "Einige meiner
Freundinnen denken, unsere Gesellschaft bietet kein gutes Umfeld für
Kinder", sagt die Taiwanerin. "Gute Kindergärten, Schulen, Nachhilfekurse
und Universitäten kosten viel Geld."
## Gesetzgebung recht fortschrittlich
Während viele Männer und die ältere Frauengeneration in Taiwan noch an der
traditionellen Rollenverteilung festhalten, ist die taiwanische
Gesetzgebung in punkto Gleichberechtigung recht fortschrittlich. Mindestens
30 Prozent eines jeden Geschlechts müssen in allen staatlichen Gremien
vertreten sein. In der Privatwirtschaft gibt es keine Quoten, aber
erfolgreiche Unternehmerinnen und Managerinnen prägen das Geschäftsleben.
Allerdings: In den Führungspositionen der großen Konzerne und Behörden
sitzen – wie überall auf der Welt – fast nur Männer. Erfolgreiche Frauen
haben oft keine Kinder und keinen Mann, der ihnen den Rücken freihält. Je
mehr sie arbeiten, umso schwieriger ist es, Karriere und Familie unter
einen Hut zu bekommen.
Der Staat versucht die Rahmenbedingungen zu verbessern: Nach der Geburt
eines Kindes bekommen Väter und Mütter jeweils sechs Monate lang 60 Prozent
ihres Gehalts, wenn sie zu Hause bleiben. Doch nur wenige Frauen und Männer
nehmen die Erziehungszeit in Anspruch. Sogar mit einer Gebärprämie will der
Staat den Geburtenrückgang stoppen. Familien erhalten für jedes Neugeborene
umgerechnet mindestens 500 Euro – Gutverdiener sogar noch mehr. Doch auch
das hat nicht viel am Trend geändert.
Der Staat müsse das Kinderbetreuungssystem verbessern und
familienfreundliche Arbeitsbedingungen schaffen, verlangt Ling-hsiang
Huang, Vizedirektor des Taiwanese Womens Center. Als ihre Söhne klein
waren, kümmerte sich die Großmutter um sie. Mit drei kamen sie in einen
Kindergarten. "Das war sehr teuer, weil sie täglich neun Stunden dort
waren", berichtet Huang.
"So ein Leben kommt für mich nicht infrage", entgegnet ihr Chris Wen, die
bei einer Hilfsorganisation für Gewaltopfer arbeitet. Wen lebt allein, mit
drei Katzen und einem Hund. "Meine Arbeit ist so anstrengend, dass ich
keine Energie für eine Familie habe", sagt die Mittdreißigerin, die ihre
Tiere manchmal einfach ins Büro mitnimmt. Nicht selten sitze sie bis
Mitternacht am Schreibtisch. Zwei Wochen Urlaub stehen ihr im Jahr zu, die
lässt sie verfallen. "Es ist niemand da, der mich vertreten könnte", sagt
sie. In ihrer raren Freizeit trifft sie sich mit ihrem Freund, liest oder
hilft einer Freundin beim Gemüseanbau auf dem Land. Der Traum von einem
eigenen Haus mit Garten werde wohl nicht in Erfüllung gehen, seufzt sie.
"Meine Eltern sind alt, und ich muss mich um sie kümmern."
## Der Trend zur Ausländerin
Von Chris Wens ehemaligen Klassenkameradinnen ist etwa die Hälfte ledig.
Die Jungs hätten geheiratet – überwiegend jüngere oder ausländische Fraue…
Das ist der Trend: Wer keine taiwanische Frau findet, der sucht sich eine
Chinesin aus der Volksrepublik oder eine junge Frau aus Südostasien. Jeder
zehnte Taiwaner ist inzwischen mit einer Ausländerin verheiratet. Li-chung
Chuang, der eine Hilfsorganisation für ausländische Ehefrauen leitet,
berichtet: "Viele Männer suchen eine traditionelle Frau, nett und sanft.
Die Taiwanerinnen sind ihnen zu emanzipiert." Vor allem Farmer heirateten
oft ausländische Frauen. Doch auch die lassen sich auf Dauer nicht alles
gefallen. Nicht selten reichen sie die Scheidung ein und kehren in ihre
Heimat zurück.
Einen Lichtblick gibt es für die besorgte Regierung: 2012 ist das Jahr des
Drachen. Die Geburtenrate steigt in solchen Jahren deutlich an. Der Drache
gilt als Glückbringer.
Hsiang-fen Chen und Chris Wen werden sich davon nicht umstimmen lassen.
26 Feb 2012
## AUTOREN
Tina Stadlmayer
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