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# taz.de -- Filmkunst: Keine Angst vor Worst und Cäse
> Bremer Museum Weserburg und hannoversche Kestnergesellschaft zeigen die
> boshaft-witzigen Experimentalfilme des lange verkannten Briten John
> Smith.
Bild: Wird das Schlimmste eintreteten? Oder ist alles Käse?
Manche Künstler werden erst spät berühmt. Die Bildhauerin Louise Bourgeois
war 72 Jahre alt, als man begann, sie zu feiern, Vincent Van Gogh musste
vorher sterben. Der britische Experimentalfilmer John Smith feiert dieses
Jahr seinen 60. Geburtstag. Den Durchbruch erlebte er vor zwei Jahren, mit
seiner Teilnahme an der Berlin Biennale und einer großen Schau in London.
Nun wird er in Norddeutschland gleich mit zwei Ausstellungen geehrt: die
Bremer Weserburg und die Kestnergesellschaft Hannover zeigen mehrere
Arbeiten. Die Zusammenarbeit der Museen kam zufällig zustande: beide Häuser
planten unabhängig voneinander eine kleine Ausstellung und koordinierten
ihre Filmauswahl später, um Doppelungen zu vermeiden. "Wahrscheinlich wird
hier gerade ein Viertel seines Gesamtwerks gezeigt", schätzt Ingo Clauss,
Kurator der Weserburg.
Smith, 1952 in London geboren, studierte bei Experimentalfilmer Peter Gidal
am Royal College of Art. In den 70er Jahren begann er kurze Filme zu
drehen. Sieliefen zunächst im Fernsehen oder auf Festivals. In Galerien
wurden sie erst sehr viel später gezeigt. Bis Anfang der 90er waren Film-
und Kunstwelt scharf getrennte Bereiche - aufgrund der Technik: Erst durch
die Entwicklung handhabbarer Projektionsgeräte und digitaler Medienformate
wurden die Grenzen verwischt. Smiths Interesse galt dabei seit je der
Entmystifizierung des Mediums. "Ich verstehe meine Arbeit als Kritik an
Medien", erklärt Smith der taz. Er möchte entzaubern, die Mittel freilegen,
mit denen Illusionen erzeugt und Sinnzusammenhänge hergestellt werden.
Dies allein wäre ziemlich langweilig: Medienkritik ist heute ein
Gemeinplatz. Kaum ein Künstler, der sie nicht auf irgendeine Art betreibt:
Schon Bertolt Brecht betrieb Medienkritik, als er über der Bühne seines
Theaters am Schiffbauerdamm den Satz "Glotzt nicht so romantisch" anbringen
ließ. Auch mit der filmischen Realität ist das so eine Sache: den Glauben
an sie zu dekonstruieren hieße, dass man ihn vorher ausbuddeln müsste. Von
Jean-Luc Godard bis Harun Farocki haben ihr alle ein Schäufelchen Erde
hinterher gekippt. Dass Smiths Filme dennoch ungeheuren Spaß machen, liegt
an seinem spielerischen, manchmal auch etwas boshaften Umgang mit Material
und Mitteln.
Sein bekanntester Film ist "The Girl Chewing Gum" , 1976 auf 16 Milimeter
in Schwarz-Weiß gedreht. Er ist in der Weserburg zu sehen. Gezeigt wird
eine Straßenkreuzung in East-London. Man sieht Passanten und Autos ihrer
Wege ziehen. Am Rande des Bildes befindet sich ein Kino, im oberen Teil des
Gebäudes zeigt eine Uhr die Zeit an. Eine Stimme aus dem Off kommentiert
scheinbar das Geschehen. Nach einer Weile wird klar: sie kommentiert nicht,
sie führt Regie. Ein alter Mann wird angetrieben, schneller zu gehen, ein
anderer, nach vorne zu schauen: Sie leisten, scheinbar Folge.
Ein Mann in Trenchcoat betritt von links die Szene, Hände in den Taschen.
Aus dem Off erfahren wir, dass er eben eine Bank ausgeraubt hätte und in
der Manteltasche eine Pistole versteckt hielte. Wehren kann er sich gegen
diese Unterstellung nicht: Natürlich ist die Tonspur nachträglich
aufgenommen worden.
Die Zusammenführung von Ton und Bild mündet schließlich in der Implosion:
Der Sprecher fordert die Uhr überm Kino auf, näher zu rücken. Ein Zoom
setzt ein; die Uhr gehorcht. Das Prinzip ist einfach, der Film erfreut sich
großer Beliebtheit. Bei youtube finden sich zahlreiche Remakes. "Ich bin
darüber überhaupt nicht böse", so Smith zur taz. "Im Gegenteil, ich finde
es sehr interessant. Mir gefällt es, dass den Leuten meine Idee gefällt und
die sie auf ihre Weise weiter entwickeln." Letztes Jahr im Oktober hatte er
in London eigens eine Ausstellung organisiert, um seine Nachahmer zu
würdigen.
Viele seiner Filme spielen im städtischen Raum, die meisten im Osten
Londons. "Er beginnt mit seinem Bauchnabel und von dort startet er in die
Welt hinaus", so Ingo Clauss. Smith müsse für eine seiner Arbeiten nicht
weit fahren. "Sie entstehen zwar in Hotelräumen oder auf seinen Reisen,
meistens jedoch in seinem unmittelbaren Umfeld." Gerade deswegen seien es
auch immer wieder alltägliche Szenarien, die in den Arbeiten auftauchen."
Gleichzeitig ist John Smiths filmische Sprache sehr minimalistisch. "Wenn
ich einen Film beginne, dann starte ich mit einer Einstellung, und es gibt
keine zweite Einstellung, wenn sie nicht nötig ist", sagt er über seine
Arbeitsweise.
"Worst Case Szenario" (2001-03), auch in der Bremer Ausstellung, gehört zu
seinen merkwürdigsten Arbeiten. Der 18-Minüter wurde nicht gefilmt.
Stattdessen hat Smith hier eine Reihe Fotografien zu einem Film montiert.
Geknipst hat er die in der Wiener Berggasse, in der Sigmund Freud seine
Praxis hatte, aus einem Hotelzimmer heraus. Zu sehen ist eine Straße, davor
eine Tramhaltestelle, gegenüber dem Hotelfenster steht über einem
Ladenlokal "Wurst und Käse". Smith knipst jeweils ein paar Bilder von
Liebespaaren, von Hunden, Rentnern, Schülern und Eltern mit Kindern und
montiert sie zu kleinen sich wiederholenden Szenen, die in ihrer
Abgehacktheit an ein großes Gemetzel denken lassen.
Manchmal rasen die Bilder schnell, und es entstehen Lücken, Passanten
verschwinden zwischen den Fahrzeugen und tauchen nicht mehr auf. Verstärkt
wird der Eindruck auch hier nochdurch die Tonspur mit Verkehrslärm und dem
Knallen von Autotüren. Das "Worst Case Szenario" scheint unausweichlich,
bis man schließlich begreift, dass das "Wörst und Cäse"-Geschäft hier
namensgebend ist.
In Hannover ist ein weiterer Klassiker zu sehn: "The Black Tower"
(1985-87). Smith erzählt hier die Geschichte eines Mannes, der an einer
Straßenecke in London einen schwarzen Turm vorfindet, den er dort vorher
noch nie gesehen hat.
Im Laufe der nächsten Tage begegnet er diesem Turm an unterschiedlichen
Stellen der Stadt und wird ihn nicht mehr los. Auch der Zuschauer wird mit
dem schwarzen Turm konfrontiert, indem er das Bild verdunkelt.
Smiths Film wurde im britischen Fernsehen ausgestrahlt. Die Anrufe
besorgter Zuschauer, die zwar der Erzählerstimme folgen konnten, sich aber
einem schwarzen Bildschirm gegenüber sahen, waren zahlreich. Das schwarze
Quadrat als ultimative Einstellung war ihnen dann doch zu minimal.
## Worst Case Scenario: Weserburg, Bremen. Bis 25. 3. Bidldstörung:
Kestnergesellschaft, Hannover. Bis 29.4.
27 Feb 2012
## AUTOREN
Radek Krolczyk
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