| # taz.de -- Stadtentwicklung: Baden für den Führer | |
| > Das einstige SS-Bad in Lichterfelde wird saniert. 2013 kann dort die | |
| > Öffentlichkeit baden. Die Schwimmhalle bleibt auch nach dem Umbau ein | |
| > unbequemes Denkmal. | |
| Bild: Präsente Geschichte: NS-Relief am Schwimmbad-Eingang | |
| Um die roten Backsteingebäude an der Finckensteinallee in Lichterfelde | |
| ranken sich unschöne Geschichten. Von Beginn an wurden die Bauten als | |
| Drillakademie genutzt. Ab 1871 mussten in der „Hauptkadettenanstalt“ junge | |
| preußische Militärs stramm stehen, 1933 zog dann die Waffen-SS in die | |
| Kaserne ein. Untergebracht hatte die NS-Führung dort auch die „1. | |
| SS-Standarte Adolf Hitler“, die ab 1936 in „Leibstandarte Adolf Hitler“ | |
| (LAH) umbenannt wurde. | |
| Der „Führer“ selbst, SS-Chef Heinrich Himmler und andere NS-Bonzen waren | |
| oft zu Gast bei dem Hitler persönlich unterstellten Truppenverband – einer | |
| Mörderbande, die im Zweiten Weltkrieg an Kriegsverbrechen und Ermordungen | |
| von Juden in Italien beteiligt war und nach 1945 vom Internationalen | |
| Militärgerichtshof als „Zugehörige einer verbrecherischen Organisation“ | |
| eingestuft wurde. | |
| Bei so viel Nazivergangenheit mutet es schon fast wohltuend an, dass nach | |
| 1945 die amerikanischen Alliierten das große Gelände mit den Wachhäusern, | |
| Schulen, Wirtschafts- und Truppenunterkünften, einer Kirche und einem | |
| Schwimmbad übernahmen. Nach dem Abzug der US-Soldaten übertrug der Bund | |
| 1994 die Immobilien an das Land Berlin. Danach zogen das Bundesarchiv und | |
| Abteilungen des Bezirks Steglitz in das Ensemble ein. Ein echtes | |
| öffentliches Quartier im Südwesten Berlins aber war das Kasernengelände bis | |
| dato nie. | |
| Neben dem Erweiterungswürfel von Wolfgang Braunfels (München) für das | |
| Bundesarchiv 2009 ist die Sanierung des riesigen Hallenbades der Berliner | |
| Architekten Andreas Veauthier und Nils Meyer (av-a) derzeit das zweite | |
| Umbauprojekt auf dem historisch kontaminierten Gelände. „Aus dem | |
| Prestigebau der Nazis machen wir ein Bad für die Öffentlichkeit. 2013 soll | |
| es für die Allgemeinheit nutzbar sein“, sagt Matthias Oloew von den | |
| Berliner Bäderbetrieben (BBB). Er stapft zwischen Schuttbergen rund um die | |
| fünf Meter tiefe Beckenwanne, die wie ein Krater unter ihm liegt. Von der | |
| Gartenseite fällt Licht durch die fast 15 Meter aufragenden Fensterfronten | |
| in die Grube. Die Kacheln sind herausgerissen, die Randsteine ebenso, die | |
| Wanne soll angehoben werden. Es dröhnt vor Baulärm in dem weiten Raum, das | |
| einstmals größte Hallenbad Europas aus den Jahren 1937/1938 gleicht einer | |
| Kathedrale im Rohbau. | |
| Die Berliner Bäderbetriebe sind doppelt stolz auf das Bauvorhaben, das | |
| gerade zur Hälfte über die Runden gebracht ist. „Der Rückbau des alten | |
| Beckens, der Abriss des Sprungturms und der Technikräume ist abgeschlossen. | |
| Die Firmen beginnen nun quasi mit dem Neubau“, sagt Oloew. | |
| Insgesamt 11,3 Millionen Euro stecken die Berliner Bäderbetriebe in ihr | |
| aktuelles „Renommierprojekt“. Für die BBB bedeutet das teure Bad eine | |
| „Zukunftsinvestition in Sport und Freizeit“, besitzt doch Berlin mit der | |
| Halle und ihrem 50 mal 25 Meter großen Becken neben der Europahalle an der | |
| Landsberger Allee nun ein zweites derart großes Becken. | |
| Mehr noch als auf die Renovierung verweist Oloew auf den sich verändernden | |
| Charakter des Bades. Die Schwimmhalle für die Männer der SS-Division „wird | |
| nach der Sanierung und der Eröffnung 2013 erstmals für Männer, Frauen und | |
| Kinder, Vereine und Schulen zugänglich sein“. Dies bedeute zugleich, dass | |
| die historische hermetische Rolle des Geländes samt Badeanstalt sich | |
| wandeln und Teil der Normalität werde. Vom SS-Bad zum städtischen, | |
| öffentlichen Schwimmbad, sagt Oloew. 2013, 75 Jahre nach der | |
| Fertigstellung, werde ein Paradigmenwechsel an der Finckensteinallee | |
| vollzogen. Viel zu spät, monieren jedoch viele Lichterfelder, habe das Land | |
| die Sanierung angeschoben. Der Bezirk Steglitz-Zehlendorf sei für die | |
| Wasserratten eine Schwachstelle in der Berliner Bäderlandschaft. | |
| Dass das neue Hallenbad einmal keine Merkmale eines Erlebnisbades – | |
| Whirlpool, Lernbecken, Rutschen, Wasserspielen und Ruhezonen, Bar und Sauna | |
| – ausweist, ficht weder die Bäderbetriebe noch die Architekten an. Die | |
| Schwimmhalle an der Finckensteinallee werde „kein Spaßbad“, sondern ein | |
| „Angebot an die Schwimmer auf 50 mal 25 Meter sein“, sagt etwas trocken der | |
| BBB-Sprecher. Die Sanierung konzentriere sich auf die bestehende Struktur | |
| und beinhalte zugleich eine „zeitgemäße Weiterschreibung“ des | |
| Schwimmhallenkonzepts, wie Architekt Andreas Veauthier erklärt. | |
| Sicher, man hätte sich auch eine Alternative zum SS-Schwimmbad vorstellen | |
| können – etwa wie beim Schöneberger Bad, wo als Kontrast zur historischen | |
| Hülle ein neues Bad entstand. Angesichts der harten Erinnerungsstrategien | |
| der Berliner Denkmalämter haben die Architekten mit der behutsamen | |
| Erneuerung der historischen Bausubstanz – wie etwa beim Olympiastadion – | |
| dennoch einen akzeptablen Kompromiss mit dem sperrigen Bad-Denkmal | |
| gefunden: Nach den Plänen von Karl Reichle und Karl Badberger waren nach | |
| 1936 an der Finckensteinallee erst die Kasernen um- und neu gestaltet | |
| worden. Es entstand eine monumentale Backsteinanlage mit wuchtigen | |
| neoklassizistischen Portalen und Plastiken in der Architektursprache der | |
| NS-Zeit. | |
| Die westlich gelegene langrechteckige Schwimmhalle (1937/38) wurde durch | |
| eine Pfeilerhalle erschlossen, die Zugänge flankierten Granitreliefs | |
| überlebensgroßer nackter Krieger und Badenixen. „Die Leibstandarte SS Adolf | |
| Hitler erhielt daher auf Befehl des Führers (…) ein bei den übrigen Truppen | |
| nicht übliches eigenes Schwimmbad von besonders großem Ausmaß“, schrieb | |
| 1939 das Zentralblatt der Bauverwaltung über das SS-Bad. Reichle | |
| konzipierte eine lichte Halle mit Glasdach in den gewaltigen Ausmaßen von | |
| 15 Meter Höhe und 35 mal 60 Meter Länge mal Breite für das große Becken mit | |
| dem 10-Meter-Sprungturm. An den beiden Stirnseiten dockte er Umkleiden und | |
| offene Duschen. Die Wände waren in Putz, Marmor und Muschelkalk gearbeitet, | |
| Mosaike, Fahnenstangen und Schalenleuchter zierten sparsam die Wände mit | |
| Nazi-Design. Eine an drei Seiten umlaufende Tribüne rahmte den Raum auf | |
| halber Höhe. Es war ein Bad der Strenge und Kühle, „das zwar ein bauliches | |
| Zeugnis des Dritten Reiches ist, aber auch noch in der Tradition der | |
| modernen Architektur der 20er und 30er Jahre steht“, so Nils Meyer, der zum | |
| Vergleich an das Stadtbad Mitte von 1930 erinnert. | |
| Die Konzeption der soldatischen Trainings- und Schwimmerlandschaft in der | |
| Ästhetik nationalsozialistischer Architektur wurde durch die US-Nutzer | |
| verändert. Die Glasdecke wurde geschlossen, Fenster neu gestaltet, Emporen | |
| umgenutzt und das Nazi-Design zum Teil überformt, ausgetauscht und | |
| abgewandelt. Teile der Inneneinrichtung wurden abgerissen. | |
| Diese Abschleifungen durch die Nachkriegsgeschichte respektieren die | |
| Architekten bei der 8.100 Quadratmeter umfassenden Sanierung. Eine | |
| Rekonstruktion des Denkmals ist für sie ausgeschlossen, geht es | |
| Veauthier/Meyer doch um die Auseinandersetzung mit dem historischen | |
| Zeugnis, seiner Bedeutung und um einen „sensiblen, modernen | |
| architektonischen Eingriff in das Bad“. Es geht also um Distanz. | |
| So werden zwar etwa die alten Schwimmbad-Strukturen des Baus, die | |
| Beckenausmaße und Raumproportionen, Natursteinverkleidungen und | |
| Beckenkopfsteine, die historischen Fahnenstangen, Fußwannen und Reliefs, | |
| bewahrt. Die alte Deckenform wird mit Kassetten nachgezeichnet. Damit soll | |
| das unbequeme bauliche Dokument seinen Charakter behalten, denn dies mache | |
| auch seinen Stellenwert aus, betont Veauthier. | |
| Doch wer 2013 das Bad betritt, trifft ebenso auf ein modernes Sport- und | |
| Schwimmbad und bemerkt die Distanzen zur NS-Ästhetik. Durch die neue | |
| Kassenhalle führen die Wege in die neuen Umkleiden für die Badegäste | |
| beziehungsweise in jene der Vereine. Die auffälligste architektonische | |
| Veränderung spiegelt sich in der fast neutral wirkenden großen lichten | |
| Halle wider, die von der riesigen Wasserfläche dominiert wird. Die Wanne | |
| wurde auf zwei Meter Tiefe zurückgebaut, neue „Duschboxen“ sind frei in den | |
| Sanitärbereich eingebaut. Es sind frische Farben und eine Schnittigkeit, | |
| welche die Architekten aus dem alten Bad herausgearbeitet haben und die | |
| mehr an das moderne Vorbild der Weimarer Zeit als an den NS-Brutalismus | |
| erinnern soll. | |
| Man könnte sogar einwenden: zu viel Moderne. Während Berlins | |
| Landeskonservator Jörg Haspel nicht müde wird, die Architektur des | |
| Nationalsozialismus als Symbol des Zivilisationsbruchs und ihre heutige | |
| Bedeutung als Chiffre für den kritischen Umgang mit jener Epoche | |
| herauszustellen, haben die Denkmalschützer diesen Aufklärungsaspekt im Bad | |
| an der Finckensteinallee wohl zeitweise vergessen. Denn es bleibt beim | |
| Abriss des 10-Meter-Sprungturms. Die angeblichen Risiken waren wohl zu | |
| groß, einen Turm über einer Zwei-Meter-Tiefe-Wanne wieder zu errichten. Den | |
| BBB erschien eine Beckenabsenkung an dieser Stelle zu teuer. „Wir haben | |
| alles versucht, den wichtigen Turm zu halten“, räumt Veauthier das Vakuum | |
| ein. Symbolisierte doch der Turm das ideologisch-bauliche Programm der | |
| Nazis par excellence. Das Gebäude feierte einst den Schwimmsport, so die | |
| Architekten. Mit dem „Sprungturm als Altarersatz“ sollte der Innenraum wie | |
| ein Sakralraum für den NS-Körperkult wirken. Diese Spur in die | |
| Vergangenheit ist verwischt – nicht alle werden das bedauern. | |
| 7 Mar 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Rolf Lautenschläger | |
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