# taz.de -- Museum für Demenzkranke: Kunst, die Erinnerungen weckt | |
> In Bremen finden nach amerikanischem Vorbild Kunstgespräche mit | |
> Demenzkranken und ihren Angehörigen statt. In der Auseinandersetzung mit | |
> den Bildern findet so mancher seine Vergangenheit wieder. | |
Bild: Das Bild "Arme Kleine" und die Frage an die Demenzkranken: Worüber könn… | |
BREMEN taz | Es ist heute ein bisschen wie im Wohnzimmer, hier im Paula | |
Modersohn-Becker Museum in Bremen. Unter Oda Krohgs Bild „Arme Kleine“ | |
haben sie eine kleine Kommode aufstellt, davor ein paar Stühle. Vorsichtig | |
nehmen die Demenzkranken darauf Platz. | |
„Wir wollen die Menschen durch das Eintauchen in fremde Bilderwelten in | |
ihre eigene Lebenswelt zurückführen“, sagt die Kunstpädagogin Christine | |
Holzner-Rabe. Und das funktioniert eben nicht mit einer klassischen Führung | |
eines Kunstkenners in größerer Runde. Stattdessen findet jede dieser | |
Führungen für Demente im kleinen Kreis statt, zu sehen gibt es da nur ein, | |
zwei, maximal drei Bilder. | |
„Wir versuchen Erinnerungen zu wecken“, sagt Holzner-Rabe. Dialogische | |
Führungen nennen das die Veranstalter: Es werden Geschichten gesponnen, um | |
die Personen auf dem Gemälde, um die Malerin, Gefühle und Stimmungen werden | |
diskutiert. Dadurch kommen bei Demenz-PatientInnen Erinnerungen hoch, | |
Gefühle werden geweckt, schon vergessenes Wissen ist auf einmal wieder | |
zugänglich. Doch da das nicht mehr von ganz alleine passiert, bedarf es | |
kleiner Anregungen. | |
Bei dem Bild „Arme Kleine“ geht es um Fürsorge und Vertrauen, aber auch um | |
Kinder und Tiere. Holzner-Rabe fragt: Worüber könnten sich der alte Mann | |
und das Mädchen unterhalten? Wer ist das überhaupt? Ist das ein Vater oder | |
ein Opa? Und wo sind die beiden? Immer nur eine Frage zur Zeit, aber schon | |
sprudelt es aus einigen Zuhörern nur so raus. „Das ist ein Opa mit seiner | |
Enkelin“, ruft ein älterer Herr schnell. Die anderen Teilnehmer sind | |
einverstanden, doch Holzner-Rabe klärt auf: „Es ist Christian Krogh, der | |
Vater mit seiner Tochter.“ | |
Doch was machen die beiden gerade? „Was kann der Vater denn zu seiner | |
Tochter sagen? Tröstet er sie oder hat die Tochter vielleicht etwas | |
ausgefressen?“, fragt Holzner-Rabe. „Die hat was gemacht, was sie nicht | |
sollte und kriegt jetzt ’ne Moralpredigt.“ Der ältere Herr ist mit seiner | |
Antwort wieder am schnellsten. | |
Doch dieses Mal melden sich auch andere zu Wort. „Der Vater ist gar nicht | |
böse, der tröstet sie“, findet eine andere. „Das Mädchen ist gar nicht | |
traurig, die trotzt und zieht nen Flunsch“, sagt eine Dame mit langem | |
weißem Pferdeschwanz. Ihr Tonfall ist dabei sehr bestimmt. „Wie war das bei | |
Ihnen, habe Sie auch mal was angestellt? Oder Ihre Kinder oder | |
Enkelkinder?“, fragt Holzner-Rabe. Es wird noch lebhafter. Und viel | |
gelacht. | |
Nach dem kleinen Ausflug in die persönlichen Geschichten der Anwesenden | |
klärt die Kunstpädagogin über die wahren Umstände auf dem Bild auf: Das | |
Gemälde zeigt Nana, die Tochter von Oda und Christan Krogh. Christian Krogh | |
war bereits der zweite Ehemann der Malerin. Dass aus dieser Verbindung auch | |
noch eine Tochter entstand, war für die damaligen Gesellschaftsverhältnisse | |
etwas zu viel. „Die kleine Nana musste zu Pflegeeltern nach Brüssel und | |
wurde dann doch einige Jahre später von ihrem Vater zurück nach Norwegen | |
geholt. In eine für sie fremde Familie“, sagt Holzner-Rabe. | |
Das Schicksal des Mädchens berührt die Zuhörer. Was würden sie dem Mädchen | |
raten? „Bleib stark, das wird schon wieder“, schlägt eine Dame mit sehr | |
ernstem Gesicht vor. Zwar ist Demenzkranken der Zugriff auf früheres | |
Wissen, frühere Erlebnisse erschwert, manchmal auch gar nicht mehr möglich, | |
auch die Aufnahme von neuem Wissen ist nur noch eingeschränkt möglich. | |
Trotzdem wird während der Führungen immer auch neues Wissen über die | |
Künstler und ihre Kunstwerke vermittelt. | |
Seit eineinhalb Jahren finden solche Führungen für Demenzkranke durch | |
Bremer Museen statt. „Die Kunst zu leben – Aktiv mit Demenz“ heißt das | |
Projekt, eine Kooperation der Bremer Heimstiftung mit den Kunstsammlungen | |
Böttcherstraße. Ursprünglich kommt diese Idee aus New York, inzwischen gibt | |
es in ganz Deutschland ähnliche Aktionen. Gerade der regionale Bezug | |
solcher Gespräche zu Künstlern, Landschaften oder Themen sind für die | |
Demenzerkrankten wichtig. Im Bremer Programm stehen nicht nur | |
Museumsführungen, in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule werden immer | |
wieder auch Atelierkurse für eigenes kreatives Arbeiten angeboten. | |
Fester Bestandteil dieser Kunstführungen sind ausgewählte Requisiten, die | |
die TeilnehmerInnen selbst in die Hände nehmen können. „Es ist viel Arbeit, | |
die Requisiten vorzubereiten“, sagt Holzner-Rabe. „Und nicht immer klappt | |
es, damit Erinnerungen zu wecken.“ Vor dem Bild von Nana mit ihrem Vater | |
werden Ideen gesammelt: „Was könnte der Vater denn machen, um seine Tochter | |
zu trösten?“ „Wie wurden Sie früher getröstet?“ | |
Ratlose Gesichter blicken die Kunstpädagogin an. Dann holt Holzner-Rabe | |
eine Tüte Bonbons hervor, ein Bilderbuch, Pflaster, ein Taschentuch. | |
Zögerlich werden Geschichten erzählt. Die Requisiten werden auf der kleinen | |
Kommode, unter dem Bild aufgereiht, alle ZuhörerInnen dürfen ein | |
Trost-Bonbon probieren. Die Dame mit dem weißen Zopf ist sich sicher: „Das | |
Kind trotzt immer noch.“ | |
8 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Anissa Brinkhoff | |
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