# taz.de -- Die Logik der Lohnhierarchie: Passiv trägt Weiß | |
> Obwohl alle wissen, wie wichtig Pflege ist, wird sie nicht anständig | |
> bezahlt. Und daran wird sich auch in der laufenden Tarifrunde nichts | |
> ändern. Warum eigentlich? | |
Bild: Bei einem Mindestlohn liegt von 8,75 Euro im Westen für Altenpflegerinne… | |
Wer leistet mehr, ein Bankangestellter, ein Chemiearbeiter oder eine | |
Krankenschwester? Diese Frage wird nie offensiv diskutiert, aber trotzdem | |
täglich beantwortet. In der Lohnhierarchie finden sich die Angestellten der | |
Chemiebranche ganz oben – und die Pflegeberufe weit unten. Es scheint also | |
klar, wer viel „wert“ ist: Es ist der Industriearbeiter, nicht die | |
Krankenschwester. | |
Diese Lohnhierarchie hat ihre eigene Logik: Gezahlt wird nach | |
Produktivität. In hochtechnisierten Branchen, wo nur noch wenige | |
Mitarbeiter einen riesigen Maschinenpark steuern, sind die Löhne am | |
höchsten. Also in der Chemie und in der Metallindustrie. Relative Verlierer | |
sind hingegen die Mitarbeiter der sozialen Branchen, die sich kaum | |
rationalisieren lassen, weil sie unmittelbar dem Menschen dienen. Gute | |
Pflege benötigt genauso viel Zeit wie vor fünfzig Jahren. Eine | |
„Effizienzrevolution“ wie in der Automobilindustrie ist dort weder möglich | |
noch zu wünschen. | |
Lange Zeit wurde diese Logik der Produktivität klaglos hingenommen. Es war | |
allgemein akzeptiert, dass die Löhne gespreizt sind und die PflegerInnen am | |
wenigsten erhalten. Zumal diese Anordnung auch den Geschlechterrollen | |
entsprach: In der Industrie arbeiten vor allem Männer, die Pflegeberufe | |
hingegen sind vorwiegend weiblich. Und für Frauen gilt bis heute, dass ihre | |
Arbeit oft behandelt wird, als würden sie freiwillig ein Ehrenamt ausüben, | |
das eine Bezahlung kaum erfordert. | |
Diese Logik der Produktivität und der Geschlechterrollen zeigt sich auch | |
bei den derzeit laufenden Tarifverhandlungen. Schon jetzt ist klar, dass | |
die pflegenden Berufe weiterhin zu den Verlierern gehören werden. In harten | |
Zahlen: Öffentlich angestellte Krankenschwestern erhalten momentan maximal | |
2.801 Euro brutto im Monat – wenn sie mindestens 15 Jahre berufstätig | |
waren. ErzieherInnen kommen auf 2.864 Euro. Bei AltenpflegerInnen sieht es | |
noch schlechter aus. Ihr Mindestlohn liegt im Westen bei 8,75 Euro pro | |
Stunde, im Osten bei 7,75 Euro. | |
## Der Maschine dienen ist mehr wert | |
Gerade bei der Pflege handelt es sich um Schwerstarbeit, körperlich und | |
mental, wie die meisten Bürger bestens wissen, schließlich haben sie fast | |
alle Angehörige, die pflegebedürftig sind. Da stößt es auf, dass 200 | |
Vorfeldlotsen in Frankfurt den Flugverkehr weiträumig lahmlegen, um ihr | |
Gehalt um bis zu 70 Prozent zu steigern – während sich die Pfleger | |
weiterhin mit Mickerlöhnen begnügen sollen. | |
Es erscheint wie eine verkehrte Welt: Bei den Vorfeldlotsen versteht | |
jenseits der Beteiligten niemand, warum sie so üppig verdienen müssen – | |
aber bei den PflegerInnen wäre die Gesellschaft längst bereit, ihnen einen | |
Aufschlag von mindestens 20 Prozent beim Lohn zu gewähren. Eigentlich | |
warten alle nur darauf, dass die PflegerInnen in den empörten | |
Massenausstand treten. Selbst das Streikchaos in den Altersheimen – mit | |
überforderten Verwandten als Pflege-Ersatz – würde wahrscheinlich | |
toleriert. Gute Betreuung ist nicht umsonst zu haben, das hat fast jeder | |
begriffen. | |
Aber es tut sich nichts. Für Eliten wie Ärzte oder Piloten ist es völlig | |
selbstverständlich, sich in Spartengewerkschaften zu verabschieden und | |
maximale Lohnforderungen zu stellen. Am unteren Ende der Lohnskala scheint | |
dieser Gedanke derzeit undenkbar. Die öffentlichen Tarifverhandlungen | |
laufen zwar noch, aber es ist bereits entschieden, dass die PflegerInnen | |
nicht gesondert berücksichtigt werden. Am Ende wird bei ihnen, wie bei | |
allen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, eine 3 vor dem Komma stehen. | |
Dieser kleine Zugewinn wird höchstens die Inflation ausgleichen – und | |
ändert nichts an der strukturellen Benachteiligung. Die Lohnskala wird | |
weiterhin signalisieren, dass Pfleger fast nichts wert sind und weit hinter | |
Chemiearbeitern rangieren – weil sie dem Menschen dienen, nicht einer | |
Maschine. | |
13 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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