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# taz.de -- Waisenhaus-Finanzierung: Die Spur der Spenden
> Bremens frühere Gefängnisdirektorin Silke Nagel führt die Geschäfte einer
> thailändischen Schule für Tsunami-Waisen, die einst der Reeder Niels
> Stolberg finanzierte.
Bild: Streitobjekt: Schule für Tsunami-Waisen
HAMBURG taz | Silke Nagel arbeitet in der noblen Hamburger
Rothenbaumchaussee, ihr eigentliches Aufgabenfeld liegt aber in Thailand:
Dort leben die 135 SchülerInnen der „Hanseatic School for Life“ (HSFL). Die
hieß bis Herbst 2011 „Beluga School for Life“ und war 2005 vom Bremer
Reeder Niels Stolberg als Hilfsprojekt für Tsunami-Waisen gegründet worden.
Frau Nagel hieß, als sie noch in Bremen wohnte, Silke Hoppe und war
Gefängnisdirektorin. Nun hat die 40-jährige Juristin einen neuen Beruf:
Seit vergangenem Sommer ist sie Geschäftsführerin der so genannten
„Waisenschule“. Gut, dass sie die von Hamburg aus managen kann – so konnte
sie ihrem Mann folgen, dem ehemaligen Bremer Wirtschafts-, Häfen- und
Justizsenator Ralf Nagel. Der Sozialdemokrat hatte die Politik aufgegeben
und beim Verband deutscher Reeder an der Elbe angeheuert, als
Geschäftsführer.
Die Räumlichkeiten an der Hamburger Top-Adresse seien ihr und ihren zwei
Mitarbeiterinnen kostenlos zur Verfügung gestellt worden, betont Silke
Nagel. Seit der Pleite der Beluga-Reederei im Frühjahr 2011 fehlt der
Schule der Hauptsponsor, sie muss Spenden sammeln: Die Schule bekommt jeden
Monat 45.000 Euro. Nach Presserberichten ist damit der Unterhalt bis 2013
gesichert. Dafür sorgen je zwei Großspender aus Hamburg und Bremen.
Im Juli 2011 war ein Jahresetat von 700.000 Euro errechnet worden, um das
Projekt auf thailändischer und deutscher Seite zu finanzieren. „Ein maßlos
überzogenes Budget“, sagen Kritiker. Das durchschnittliche Monatseinkommen
liegt in Thailand bei 3.800 Baht, das sind 95 Euro. Für 45.000 Euro könnte
man dort „die Kinder, ihre Geschwister und Freunde an etablierten
Eliteschulen unterbringen“.
In der Tat kommen in Thailand Projekte mit weniger als der Hälfte zurecht.
Möglicherweise liegt das am ungewöhnlichen Betreuungsschlüssel der HSFL: 70
Angestellte sorgen für 135 Kinder. Den Begriff „Tsunami-Waisen“, der in der
Presse noch oft benutzt wird, halten einige Ex-Mitarbeiter für
Etikettenschwindel, „um auf die Tränendrüse zu drücken“.
Beim Bau der Anlage war aufs Tsunami-Etikett großen Wert gelegt worden. Ein
Museum erinnert an die Katastrophe, am Eingang der Anlage weist eine große
Übersichtstafel darauf hin. Die kann man schon mal übersehen: Bevor sie
Geschäftsführerin wurde, war Nagel laut HSFL-Homepage „acht Wochen
ehrenamtlich im Projekt vor Ort“, in der Urlaubsregion Khao Lak. Das Museum
ist ihr nicht aufgefallen. „Wir haben gar kein Tsunami-Museum“, sagt sie am
Telefon.
Im Tsunami-Museum hängen beeindruckende Fotos von Überlebenden, doch die
Infotafeln sind ausgeblichen. Das Gebäude dient offenbar zugleich als
Abstellraum: Ein Fahrrad lehnt an der Wand, in einer Ecke stehen Basteleien
von Kindern, pastellfarbene Plastik-Blümchen, aus Weichspülerflaschen
geschnitten. Eine Video-Doku über die Katastrophe kann man nicht mehr
anschauen: Der teure Flachbildschirm ist weg.
Hartwig Henke, der ehemalige Leiter der Hermann-Lietz-Schule auf
Spiekeroog, ärgert sich über den leichtfertigen Umgang mit Spenden in
Thailand: 600 Euro hatten seine AbiturientInnen im Sommer 2008 gesammelt.
Mit dem Geld von der ostfriesischen Ferieninsel wurden in Thailand zwei
Wasserbüffel angeschafft, als Teil des landwirtschaftlichen Konzepts der
Schule. Einer trottet noch immer durchs Werbefilmchen auf der HSFL-Hompage.
Die beiden Tiere wurden sang- und klanglos verkauft. Henke hat nur per
Zufall davon erfahren. Die Einnahmen seien den Kindern zugute gekommen,
versichert die Schule. Auch die Felder, auf denen die Wasserbüffel
eingesetzt wurden, sollen verkauft werden, heißt es, der ganze
landwirtschaftliche Bereich steht vor der Schließung. Dabei galt das
Organic Farming als wesentlicher Teil des Schulkonzepts: Der biologische
Anbau von Obst und Gemüse sollte die laufenden Kosten senken und den
SchülerInnen Know-how vermitteln, damit sie sich später eine eigene
Existenz im Land aufbauten.
Es trifft nicht nur die Landwirtschaft. Auch der Gästebereich der HSFL, 18
Rundbungalows und ein Pool, wird wohl dichtgemacht – als Rettungsmaßnahme,
sagt die deutsche Geschäftsführung: Die Einrichtungen trügen sich nicht.
Beim Rundgang über das Schulgelände herrscht gespenstische Stille. Das
Theater, eine Freilichtbühne, ist schwer heruntergekommen, der Rasen ist
vertrocknet. Das Netz im Fußballtor auf dem Bolzplatz ist zerrissen, von
den Pfosten blättert die Farbe. Ein paar Kinder in blauen Trainingshosen
üben Kurzsprints in der Mittagshitze, die meisten verlieren sich in dem
großen Schulgebäude, das aus Geldern des RTL-Spendenmarathons 2009 gebaut
wurde. Hier hätte eine weiterführende Schule entstehen sollen. Bis heute
ist die notwendige Lizenz nicht beantragt.
Gegen Schulgründer Niels Stolberg ermittelt nach wie vor die Bremer
Staatsanwaltschaft: Seine Beluga-Reederei gibt’s nicht mehr, Stolberg wird
des Betrugs, der Bilanzfälschung und auch der Veruntreuung von
Spendengeldern verdächtigt. Der RTL-Spendenmarathon hatte im Dezember 2009
mehr als eine Million Euro für die School for Life gesammelt. Einen Tag,
nachdem RTL die erste Rate von 500.000 Euro aufs Schul-Konto überwiesen
hatte, wurde das Geld zurückgebucht – auf ein Konto der Reederei.
Ein Entlastungsgutachten kommt aus Frankfurt, vom Wirtschaftsprüfer Hendrik
J. Ansink. Er ist neben den Eheleuten Nagel einziger Gesellschafter der
HSFL Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt). Die wiederum ist die
einzige Gesellschafterin der HSFL GmbH. Ansink und Ralf Nagel hatten schon
miteinander zu tun, als der SPD-Mann Staatssekretär im
Bundesverkehrsministerium war: Das vertraute der Bearingpoint
Unternehmensberatung das Projektmanagement beim LKW-Maut-Konsortium Toll
Collect an. Chef von Bearingpoint war Ansink.
Als Nagel später in Bremen Senator war, bekam Ansinks Frankfurter Consul
Group dort wichtige Aufträge: Den Flughafen musste der Wirtschaftsprüfer
durchleuchten, als dessen damaliger Geschäftsführer unter
Korruptionsverdacht geriet. Ansink fand nichts. Auch als kurz danach beim
Bremerhavener Stadtentwicklungsprojekt „Havenwelten“ die Kosten
explodierten, berief Nagel Ansink. Der „Sonderermittler“ ermittelte als
Schuldigen – den gestiegenen Stahlpreis.
Im Frühjahr 2011 verfasste Ansinks Kanzlei ein Gutachten, um Stolberg zu
entlasten. Beauftragt hatten ihn Ralf Nagel, dessen künftige Frau sowie
Willi Lemke, UN-Sonderberater für Sport und Vorsitzender des Werder
Bremen-Aufsichtsrats. Dem hatte auch Stolberg bis Anfang März 2011
angehört.
Als Ansink den Auftrag erhielt, arbeitete in seiner Kanzlei Lemkes Sohn
Tim. Und wurde spontan nach Thailand beordert. Wirtschaftsprüfer Ansink kam
zum Ergebnis, es habe keine Verfehlungen bei der Verwendung von
Spendengeldern geben. Auch RTL sieht kein Problem in der Umbuchung. Man
habe sich anhand des Ansink-Berichts davon „überzeugt, dass das Procedere
mit den Umbuchungen rechtlich korrekt ist“, heißt es in einer Mail des
Senders.
Darüber kann sich der Bremer Wirtschaftsjurist Jens-Peter Gieschen nur
wundern. Das Ansink-Gutachten sei „unseriös“, verrechne „Geld aus einem
alten Sponsoringvertrag mit der abgebuchten RTL-Spende“, sagt er. „Das ist
unzulässig.“ Auch die Bremer Staatsanwaltschaft prüfte das Gutachten – und
leitete dann das Ermittlungsverfahren gegen Stolberg ein.
Aufmerksam geworden ist auch das Deutschen Zentralinstitut für Soziale
Fragen, das das Deutsche Spendensiegel vergibt. Es prüft, ob die
RTL-Stiftung ihr Siegel weiter tragen darf. Bei der HSFL stellt sich die
Frage nicht: Zwar hatte Silke Nagel im vergangenen Juli angekündigt, sie
wolle das Siegel beantragen. Aber daraus ist nichts geworden.
Stattdessen wird auf der Homepage damit geworben, man sei eine
Unesco-Projektschule. „Unterstützen Sie uns mit Ihrer Spende“ steht da, und
„Jetzt spenden“ in weiß auf einem hellgrünen Button. Und direkt darunter
„Wir sind eine Unesco Projektschule.“
Bei der Unesco ist man überrascht. Ihr Zeichen in dieser Weise zu
verwenden, sei unüblich, hier sogar verboten. „Die dürfen das Logo nicht
verwenden“, sagt Volker Hörold, Koordinator des Unesco-Schulnetzwerks. Die
HSFLsei „nicht Mitglied des Netzwerks“, schreibt er. Man werde dafür
sorgen, dass der Hinweis von der Website verschwindet.
14 Mar 2012
## AUTOREN
Christina Gerlach
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