# taz.de -- Kommentar Urwahl bei den Grünen: Das Postengeschacher nervt | |
> Seit Wochen kann man die Grünen dabei beobachten, wie sie sich belauern | |
> und einen Machtkampf austragen. Die Debatte zeigt, dass die Grünen nicht | |
> nur über Inhalte diskutieren. | |
Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Über den Vorschlag der | |
Grünen-Spitze, der den Personalstreit entkrampfen soll, lässt sich viel | |
Gutes sagen. Eine Urwahl legitimiert die Mitglieder, über die Gesichter zu | |
entscheiden, die die Partei im Wahlkampf vertreten. Ein solch | |
basisdemokratisches Instrument ernst zu nehmen, steht den Grünen gut zu | |
Gesicht. Denn so predigen ihre mächtigsten Politiker direkte Demokratie | |
nicht nur, sie sind auch bereit, sich ihr zu unterwerfen. | |
Auch das zweite Signal, das der Vorstand setzt, ist richtig: Ein klug | |
abgestimmtes, gleichberechtigtes Duo – ein Mann neben einer Frau – | |
präsentiert die Partei besser als ein Mann allein. Fraktionschef Jürgen | |
Trittin wirkt auf viele Menschen unnahbar, er kann eine Ergänzung gut | |
gebrauchen. Beide Beschlüsse, Duo und Urwahl, transportieren zudem eine | |
wichtige Botschaft: Die Grünen werten die Flügelarithmetik ab. | |
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich die Parteivorsitzende Claudia Roth | |
und Trittin bei einer Urwahl als Tandem durchsetzen würden. Obwohl beide | |
formal den Parteilinken angehören. Für diesen Abschied ist es höchste Zeit. | |
Die Eitelkeiten der Flügel betonieren die Verhältnisse bei den Grünen viel | |
öfter, als dass sie zu inhaltlich produktiven Reibungen führen – denn da | |
liegen Linke und Realos nur noch bei wenigen Themen auseinander. | |
Doch trotz dieser sinnvollen Ansätze in dem Vorschlag verstärkt sich immer | |
mehr der Eindruck: Das Personalgehampel der Grünen-Spitzen nervt | |
fürchterlich. Seit Wochen kann man sie dabei beobachten, wie sie sich | |
eifersüchtig belauern und einen Machtkampf austragen, bei dem vor allem | |
Eitelkeiten eine Rolle spielen. Auch die jetzt präsentierte Lösung löst den | |
Konflikt nicht, sondern lässt ihn weiter köcheln. Denn wer tatsächlich ins | |
Spitzenteam will, verschweigen – Roth ausgenommen – alle Beteiligten | |
weiter. Wird's Trittin mit Roth? Traut sich Künast? Gibt es andere | |
Interessierte? Sicher ist nur, dass das muntere Rätselraten weitergehen | |
wird. | |
Dass die wichtigen Vier es nicht schaffen, diese Debatte zu unterbinden, | |
stellt ein Führungsversagen dar. Denn das Postengeschacher enttarnt, dass | |
in einer angeblich eng zusammenarbeitetenden Parteispitze Misstrauen | |
herrscht. Außerdem entlarvt die Debatte einen weiteren Mythos. Die Grünen | |
behaupten gerne von sich, ausschließlich und am leidenschaftlichsten über | |
Inhalte zu streiten. Sollte daran noch jemand geglaubt haben, wurde er in | |
den vergangenen Wochen eines besseren belehrt. | |
Bei den WählerInnen dürften die Berliner Spielchen schlecht ankommen, nicht | |
ohne Grund protestieren die wahlkämpfenden Landesverbände scharf gegen die | |
Debatte. Die Rezeption des Grünen-Klientels unterscheidet sich dabei | |
maßgeblich von der der Wählerschaft anderer Parteien. Bei einer SPD nehmen | |
die Menschen vielleicht noch als gegeben hin, dass mehrere Alphatiere um | |
Posten rangeln. Zumal es dort um eine Kanzlerkandidatur geht. | |
Bei den Grünen wenden sie sich im Zweifel enttäuscht ab, wenn wochenlang | |
darüber gestritten wird, wer seine Nase auf ein Wahlplakat drucken lassen | |
darf. Gerade weil dies das sorgfältig gepflegte Image der Programmpartei ad | |
absurdum führt. | |
19 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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