# taz.de -- Ausstellung in London: Eine Reise und ihre Bilder | |
> Die Londoner Ausstellung "Hajj - Journey to the heart of Islam" im | |
> British Museum gibt seltene Einblicke in die Geschichte der berühmtesten | |
> Pilgerreise der Welt. | |
Bild: "We were all brothers'" von Ayman Yossri Daydban. | |
Zu Christian Wulff fällt einem kaum noch mehr ein als ein paar Reizworte: | |
Immobilienkredit, reiche Freunde, Ehrensold. Dabei machte sich der letzte | |
Bundespräsident doch vor allem mit diesem epochalen Satz einen Namen: „Der | |
Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ | |
Immerhin leben hier über drei Millionen Muslime. Aber was wissen | |
Nichtmuslime eigentlich über die Religion dieser Deutschen? Schweinefleisch | |
ist verboten, Alkohol auch, es gibt den Ramadan und den Ort Mekka, zu dem | |
Google rund 7 Millionen brauchbare Suchergebnisse ausspuckt, von „Mekka der | |
Orchideenzüchter“ bis zu „Mekka der Hobbyköche“. Die Wissenslücken wer… | |
dagegen immer noch gern reflexartig mit Angstbildern von Kopftuchzwang, | |
Fanatismus oder Ehrenmord gefüllt. | |
Es ist bedauerlich, dass die Ausstellung „Hajj – Journey to the heart of | |
Islam“ im British Museum nicht auch in Deutschland zu sehen ist. Sie widmet | |
sich einer der zentralen Grundpflichten eines jeden Muslims, der | |
Pilgerreise nach Mekka (Hadsch, engl. Hajj), die jeder, der dazu körperlich | |
und finanziell in der Lage ist, einmal gemacht haben sollte. Für die | |
meisten Nichtmuslime bleibt der Hadsch ein mystischer Begriff, da sie die | |
Geburtsstadt Mohammeds nicht betreten dürfen. | |
Genau hier wird der Besucher in der Londoner Schau an die Hand genommen und | |
zu einer Reise jenseits exotisierender Bilder und Projektionen eingeladen. | |
Beginnend im Reading Room des Museums, wo schon Marx und Orwell ihre Zeit | |
verbrachten, widmet sich der erste Teil vor allem der | |
historisch-geografischen und organisatorischen Seite des Hadsch, während | |
der zweite Part das emotionale, spirituelle Erlebnis vertieft. | |
Während seines Aufenthalts durchlebt der Gläubige auf intensive Weise die | |
komplexen Rituale, die bereits der Prophet Mohammed bei seiner | |
Abschiedswallfahrt praktiziert hat, und Berichte von Pilgern sowie | |
filmisches Material geben in der Ausstellung einen bewegenden Einblick. | |
Man betrachtet die friedlichen Massen beim Umkreisen des zentralen | |
Heiligtums des Islam, der Kaaba im Innenhof der Al-Haram-Moschee, und | |
realisiert, wie stark es hier nicht nur um die persönliche, religiöse | |
Erfahrung, sondern auch das Erleben von Gemeinsamkeit geht. In | |
einheitlicher ritueller Kleidung aus weißem Tuch und Sandalen lösen sich | |
Hierarchien auf, der BBC-Nachrichtensprecher aus London, der Lehrer aus | |
Montreal oder der Bäcker aus Jakarta werden gleich. | |
## Die Routen | |
Seit der Eröffnung ist die Ausstellung hoffnungslos überlaufen, und es ist | |
erfreulich, dass 50 Prozent der Besucher Muslime sind. Die Dimension des | |
Hadsch verdeutlicht nicht zuletzt auch die tatsächliche Vielfalt des | |
Glaubens: Gerade mal 25 Prozent aller Muslime leben im Mittleren Osten, der | |
Rest sind New Yorker Schülerinnen, Gläubige aus der Türkei, aus Russland, | |
China oder Indonesien. Besteigen Pilger heute entspannt Flugzeuge, waren | |
ihre Vorfahren noch monatelang, zum Teil zu Fuß, unterwegs. | |
Große Weltkarten zeichnen in der Ausstellung die klassischen Routen nach, | |
über Kufa, Kairo, Damaskus oder Dschidda, und verdeutlichen, wie | |
einflussreich diese frühen Bewegungen im Grunde bereits waren. Machten sich | |
1932 noch 20.000 auf den Weg, waren es 2011 an die 3 Millionen, die | |
inzwischen durch einen perfekten Organisationsapparat geschleust werden | |
müssen. Nach jahrelangen Investitionen in Milliardenhöhe erinnert die | |
Hochhauslandschaft um die Al-Haram-Moschee herum an ein kleines Dubai. | |
Die Schau trägt kostbare Artefakte wie ein Mahnmal oder einem Koran aus dem | |
8. Jahrhundert zusammen, integriert aber auch die eher pragmatischen | |
Seiten, von grellen Mekka-Andenken bis zu mehrsprachigen Touristenführern. | |
Der Reiseveranstalter Thomas Cook organisierte einige Jahre lang | |
Überfahrten von Bombay bis zum Hafen von Dschidda, hinter Glas zu sehen ist | |
ein Originalticket von 1886: die wichtigste Reise im Leben eines Muslims, | |
reduziert auf die Größe einer Zigarettenschachtel. Cook warf die Arbeit | |
nach sieben Jahren hin. Es war ihm angeblich nicht profitabel genug. | |
Nicht nur an dieser Stelle hätte man sich von den Kuratoren einen etwas | |
kritischeren Kommentar zu jenen Nichtmuslimen gewünscht, die unmittelbar | |
mit dem Hadsch zu tun hatten: So werden auch die „Heldentaten“ legendärer | |
Weltentdecker, wie des Ethnologen Richard Francis Burton, eher | |
unkommentiert präsentiert. Verkleidet als afghanischer Arzt, trat er 1853 | |
inkognito die Wallfahrt an, schrieb über seine exklusiven Erlebnisse einen | |
Bestseller und setzte sich damit in selbstbewusster Entdeckermanier über | |
die traditionellen Regeln dieser Kultur hinweg. | |
## „Hajj – Journey to the heart of Islam“, British Museum, London, bis 15. | |
April | |
21 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Julia Grosse | |
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