# taz.de -- Norden Sri Lankas nach dem Bürgerkrieg: Ungleiche Brüder | |
> Nach 26 Jahre Bürgerkrieg versucht der Norden des Inselstaats sich von | |
> den Folgen der Kampfhandlungen zu erholen. Das Sagen hat noch das | |
> Militär. | |
Bild: Bunte Straßenszene vor einem Hindu-Tempel in Jaffna. | |
Besucher?", fragt Liyoni erstaunt und durchleuchtet mich mit ihren großen | |
Augen. "Besucher", antworte ich kurz. Dem misstrauischen Blick entnehme | |
ich, dass die hübsche Singhalesin mir kein Wort glaubt. Hier ist Omanthai, | |
ein staubiger Militärcheckpoint, der Nord- von Süd-Sri-Lanka trennt. Eine | |
Kolonne zerschlissener Busse und weißer Geländewagen von | |
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) steht Schlange vor dem überdachten | |
Übergang. | |
"Du willst also ganz Sri Lanka sehen?", fragt Liyoni weiter. Das Wort | |
"ganz" betont sie besonders. Die imaginäre Grenze wird beinahe | |
ausschließlich von singhalesischem Militär, mehrheitlich im Norden lebenden | |
Tamilen und NGO-Mitarbeitern überschritten. Ungläubig kopiert Liyoni meinen | |
Reisepass und überträgt Daten in ein dickes Buch. Ein paar Fragen später | |
nach Herkunft, Beruf, Grund der Reise entlässt mich Liyoni mit einem | |
lächelnden "Ayubowan" - "Mögest du lange leben". | |
Auch wenn seit 4. Juli 2011 Ausländer eingeschränkt in den Norden reisen | |
dürfen, kommen Touristen hier nicht oft vorbei. Die dafür benötigte | |
Reisegenehmigung des Verteidigungsministeriums zu bekommen war beinahe | |
genauso unmöglich, wie Liyonis Lächeln zu deuten. | |
Ab Omanthai beginnt eine andere Welt, ein anderes Sri Lanka. Und doch | |
handelt es sich um dasselbe Land. Los geht die Reise durch das Vanni, eine | |
trockene, verbrannte und vom Krieg zerstörte Landschaft. Melancholische | |
Tamil-Schnulzen dudeln lautstark aus den Autobuslautsprechern. Ein | |
schwarzer Kilometerstein begrüßt die Menschen in weißer Schrift: | |
"Willkommen". Willkommen? Wo? Im Tamil-Land, im Niemandsland, in Sri Lanka? | |
Wenig später wird das Rätsel durch ein zweites Schild aufgelöst: "Die | |
sri-lankische Armee (SLA) begrüßt alle Besucher, die sich an das Gesetz | |
halten." | |
## Überall Baustellen | |
Die flache Landschaft ist wenig abwechslungsreich: Kasernen, Checkpoints, | |
Straßensperren. Dazwischen Hausruinen mit blauen UNHCR-Planen, die vor | |
Regen und Sonne schützen. Geköpfte und verkohlte Palmenstämme inmitten von | |
Minenfeldern, die mit kilometerlangen gelben Absperrbändern gekennzeichnet | |
sind. Brachliegende Reisfelder verwildern nicht nur wegen der Minen - es | |
fehlen vor allem Menschen, die diese Felder kultivieren könnten. | |
Und überall Baustellen. Viele Fundamente sind gelegt, aber es mangelt an | |
Geld für die Fertigstellung. Während des Krieges flüchteten mehr als | |
100.000 Tamilen nach Indien, das hier nur einen Steinwurf entfernt liegt. | |
Immer wieder durchschwimmen Flüchtlinge die Inselstraße. | |
Vor jedem Kontrollpunkt lehnt ein Soldat der singhalesischen Armee | |
gelangweilt an Sandsäcken. Oftmals sprechen sie kein Wort Tamil, wodurch | |
ihre Anwesenheit nur noch mehr erschwert wird. Mittlerweile lernen Kinder | |
in den Schulen die jeweils andere Sprache. | |
"Die starke Militärpräsenz muss sein", meint der Sri-Lanker Jonathan, der | |
neben mir im Bus sitzt. "Sonst geht hier alles gleich wieder von vorne | |
los." Jonathan arbeitet für eine europäische NGO, die sich um die Rückkehr | |
von Flüchtlingen kümmert. Der ergraute Mann rückt näher und flüstert: "Aber | |
es ist gut, dass so viele Soldaten hier sind. Es zeigt, dass sie sich ihrer | |
Sache nicht ganz sicher sind." | |
Auch zwei Jahre nach dem offiziellen Ende des Krieges findet die SLA nach | |
wie vor gut bestückte Waffenlager im Norden und Osten des Landes. "Hier | |
herrscht zwar kein Krieg mehr, aber Frieden haben wir auch nicht", sagt | |
Jonathan. Er lächelt zufrieden. Im Norden lächeln die Menschen hingegen | |
kaum. Nur Präsident Mahinda Rajapaksa grinst alle paar Meter siegessicher | |
von einem Plakat herunter. | |
Ein roter Schal, der buschige Schnauzbart und ein immerwährendes Lächeln | |
zeichnen den amtierenden Amtsinhaber aus. In seiner Wahlpropaganda von 2005 | |
versprach Rajapaksa, die Tamil Tigers (LTTE) endgültig zu besiegen. Er | |
kündigte Frieden und Freiheit an - damals noch als Ministerpräsident. | |
## Brüder im Streit | |
Kurz darauf wurde der "Übergrinser" Präsident. Um sein Wort zu halten, ging | |
der radikale und strenggläubige Buddhist mit aller Härte gegen die Tamilen | |
im Norden und Osten des Landes vor, koste es, was es wolle. Knapp zwei | |
Jahre nach Ende des Krieges sind die Botschaften des Präsidenten klar: | |
"Rajapaksa ist allgegenwärtig" und "Brüder, wir sind ein Einheitsstaat." | |
"Brüder?", schimpft Hans aus der Schweiz und wippt nervös mit seinem Fuß | |
auf und ab. "So ein Blödsinn. Wenn sie Brüder wären, würden sie an einem | |
Tisch sitzen und miteinander zu Abend essen. Das passiert aber nicht!" | |
Hans, der in Wahrheit weder Hans heißt, noch aus der Schweiz kommt, lebt | |
und arbeitet seit vielen Jahren im Osten Sri Lankas. Er möchte lieber | |
anonym bleiben. "Denn sonst bin ich in zwei Minuten am Flughafen in | |
Colombo, aber ganz ohne Lächeln." | |
Nachdem die LTTE besiegt war, organisierte die Regierung Tagesausflüge in | |
den tamilischen Norden. So konnten all jene interessierten Singhalesen die | |
mystischen Plätze sehen, um die knapp dreißig Jahre lang gekämpft wurde: | |
den Elefantenpass, die stark umkämpfte Landbrücke zwischen Festland und der | |
Halbinsel Jaffna; das holländische Fort in Jaffna, wo Soldaten der SLA | |
spontan eine Tour durch Bunker und unterirdische Gänge führen und von dem | |
blutigen Kampf um die ehemalige Festung der LTTE erzählen. | |
## Demonstration der Siegermacht | |
Mit dem offiziellen Ende des Krieges 2009 trafen nach und nach Singhalesen | |
ein. Die einen kamen, um sich anzusiedeln und ein Geschäft zu eröffnen. | |
"Die anderen kamen einfach nur, um Ohrfeigen auszuteilen", sagt Hans. "In | |
großen Gruppen marschierten sie hier auf und demonstrierten damit ihre | |
Macht. ,Das ist jetzt unser Land', haben sie geschrien." | |
In Jaffna, Hauptstadt der Nordprovinz, muss erst einmal ein Dreiradtaxi | |
gefunden werden. Nur ungern weckt man den darin schlafenden Fahrer auf, um | |
ihn zu bitten, als Taxi zu fungieren. Anders im Süden, wo sich der Besucher | |
vor Tuk-Tuk-Fahrern kaum retten kann und förmlich in die kleinen Fahrzeuge | |
gezerrt wird. | |
Auch sonst ist alles anders im Norden. An beinahe jeder Kreuzung stehen | |
bewaffnete SLA-Soldaten. Keine Sehenswürdigkeiten, kein Reiseführer, keine | |
Abzocke, keine Tourguides, keine Infrastruktur. | |
Der Bahnhof von Jaffna liegt in Trümmern. Lediglich der Rohbau steht noch, | |
zerschossen, abgeblättert, kaputt. Dazwischen sitzt einsam eine alte, | |
zahnlose Frau und lutscht genüsslich an einer Mandel. Ihr faltiges Gesicht | |
ist in Schwarz gehüllt. Zeit scheint hier keine Rolle zu spielen. Nur | |
langsam erwacht der Norden aus seiner jahrzehntelangen Erschöpfung. | |
## Touristen sind eine Seltenheit | |
Zwei Soldaten der SLA bewachen die Ruine und schielen immer wieder auf den | |
Besucher. Ungeniert fotografieren und filmen mich Bewohner mit ihren | |
Handys. Sie freuen sich ehrlich darüber, einen Ausländer zu sehen, der | |
nicht als NGO-Mitarbeiter hier ist. | |
Der Tourismus steckt noch in den Kinderschuhen, und die Menschen sind den | |
Umgang mit ausländischen Gästen noch nicht gewohnt. Darum hilft die SLA aus | |
und übernimmt logistische Schritte für die wenigen Gäste, die sich nach | |
Norden verirrt haben. Allerdings verwehrt die Armee damit auch der lokalen | |
tamilischen Bevölkerung den Zugang zu den wenigen Touristen und zu einer | |
möglichen Einnahmequelle. | |
Viele Hotels, Restaurants und Transportmittel gehören der SLA. "Wir leben | |
hier in einer Diktatur", empört sich Hans. "In Sri Lanka passiert das alles | |
hinter dem Vorhang, und dabei sprechen sie von Demokratie." | |
24 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Martin Zinggl | |
## TAGS | |
Reiseland Sri Lanka | |
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