# taz.de -- Berliner Literaturpreis für Rainald Goetz: Sichtlich bewegt | |
> Herzlichen Glückwunsch und „Prost“! Rainald Goetz erhält den Berliner | |
> Literaturpreis und freut sich darüber sehr. Noch mehr freut er sich aber | |
> über etwas Anderes. | |
Bild: Rainald Götz liest zur Preisverleihung aus seinem neuen Roman. | |
Berlin taz | Der große Saal des Roten Rathauses füllt sich langsam, während | |
ich die Birnen an den zwei riesigen Kronleuchtern zu zählen versuche. Es | |
sind jeweils etwa 80. Ich sitze und warte und gucke herum; ein | |
gesellschaftliches Ereignis, ein feierlicher Anlass. | |
Ein paar Leute kenne ich, ein paar habe ich schon einmal gesehen, mit | |
einigen bin ich vermutlich auf Facebook befreundet. Die | |
Sturm-und-Drang-Frisur von Winfried Menninghaus ist immer noch klasse. | |
Der Professor ist in Doppelfunktion hier – als Mitglied der Jury des | |
Berliner Literaturpreises, der heute an Rainald Goetz verliehen wird, und | |
als Vertreter des Peter Szondi-Instituts für Allgemeine und Vergleichende | |
Literaturwissenschaft der FU, an dem der Dichter im Sommersemester die mit | |
dem Preis verbundene Heiner-Müller-Gastprofessur für deutschsprachige | |
Poetik antreten wird. | |
Ich denke an die Zeit Anfang der 80er Jahre, als ich „Irre“, den ersten | |
Roman von Rainald Goetz, während des Zivildienstes gelesen habe, an die | |
Nacht Ende der 80er, als ich den Dichter im Risiko kennengelernt habe, an | |
mein Studium am AVL und wie super das war. In der Theoriebildung und | |
-vermittlung war die Berliner AVL avanciert, gleichzeitig war es dort aber | |
eher verpönt, sich mit zeitgenössischer Literatur zu befassen. „Irre“ sta… | |
allerdings komischerweise auch in der Institutsbibliothek. | |
## Wowereit ist in Indien | |
Um kurz nach sieben betritt der Dichter den Saal. Er trägt einen festlichen | |
Anzug mit rosalachsfarbenem Schlips, ist guter Dinge und wird ausgiebig | |
abfotografiert. Als Vorsitzender des Vorstands der preisgebenden Stiftung | |
Preußische Seehandlung spricht der ehemalige FDP-Senator für Schulwesen, | |
Walter Rasch, einleitende Worte, begrüßt verschiedene Funktionsträger und | |
bittet darum, Klaus Wowereit zu entschuldigen, der grad in Indien ist. | |
Der Vizepräsident der FU, Professor Dr. Michael Bongardt, fragt sich am | |
Ende seiner Rede, wie ein Bericht von Rainald Goetz über die Veranstaltung | |
aussehen würde. | |
Jens Bisky von der Süddeutschen Zeitung hält eine sehr schöne Laudatio, in | |
der er anfangs, mit Goetz, die für beide Seiten erniedrigende Form der | |
Lobrede infrage stellt, sich dann eine Begegnung zwischen Goetz und Heiner | |
Müller auf dem Herbstempfang der FAZ vorstellt, um diese Begegnung dann | |
wieder sozusagen zu dekonstruieren. Kenntnisreich skizziert er noch einmal | |
die Wege des immer gegenwärtigen Werks des Chronisten – von dem Spex-Text | |
„Gewinner und Verlierer“ (1984) über „Kolik“ (1986/88) und „Katarrak… | |
(1992) hin zu „Rave“; von „Irre“ bis zum Fotoband „elfter september 2… | |
Und genau in dem Moment, als man denkt, die Rede werde zu lang, bricht | |
Bisky ab mit einem „Herzlichen Glückwunsch zum Berliner Literaturpreis und | |
Prost!“ | |
## Negativität zum Leuchten gebracht | |
Der sichtlich bewegte Dichter bekommt einen großen Blumenstrauß, bedankt | |
sich stammelnd bei Bisky, „dass Sie meine Negativität so zum Leuchten | |
gebracht haben“, und liest noch ein bisschen aus seinem neuen Roman „Johann | |
Holtrop“, der im September erscheinen soll. Es geht um den Kapitalismus, um | |
Macht und solche Sachen. Zwischendurch musizieren Mitglieder des | |
Kammerensembles Neue Musik. Still, konzentriert; es ist schön. | |
Und danach steht man noch herum eine Weile, trinkt, redet und geht | |
zwischendurch eine rauchen. Viele lassen sich dies und das signieren. Auf | |
eine Großbildleinwand werden die eben noch aufgenommenen Fotos des | |
Preisträgers als Diashow projiziert. | |
1990 hatten wir im Deutschen Theater Heiner Müllers „Hamletmaschine“ | |
gesehen. 1996 war der Dichter dann nach Berlin gezogen. Und weil er hier | |
doch so gerne lebt, bedeutet ihm der Preis so viel, und er freut sich | |
irrsinnig auf die Veranstaltungen, die er am Peter Szondi-Institut halten | |
wird. | |
28 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Detlef Kuhlbrodt | |
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