# taz.de -- Kultrussenfilm: "Aber es ist die reine Wahrheit!" | |
> Heute läuft im Kino "Russendisko" an, die Verfilmung des Buchs von | |
> Wladimir Kaminer. Der bekennt: "Für mich ist Berlin nach wie vor die | |
> einzige Großstadt". | |
Bild: Jetzt auch als Film: Kaminers Russendisko. | |
taz: Wladimir, wie gefällt dir die Verfilmung deines Romans „Russendisko“? | |
Wladimir Kaminer: Sehe ich das richtig, dass alles, was ich sage, dann in | |
der Zeitung steht? Im Ernst: Der Film ist schon schön. Zum Austoben. Etwas | |
für junge Menschen. So sollte Disco sein. So sollten auch Filme sein: Zum | |
Knutschen. Dazu ist Kino da – um Menschen zusammenzubringen, um sie zu | |
animieren, etwas miteinander zu unternehmen. | |
Man knutscht, schaut ab und zu hin und verliert den Anschluss trotzdem | |
nicht. | |
Ganz genau. Andererseits ist es natürlich auch eine wichtige Geschichte. | |
Sie ist ein Teil meiner Biografie und der Biografie von Hunderttausenden, | |
die Anfang der Neunziger aus Russland kamen. Eine Geschichte über Hoffnung | |
und völlige Ahnungslosigkeit, was die Zukunft bringt. Es ist gut, wenn | |
diese Geschichte immer mehr jungen Leuten zugänglich gemacht wird. | |
Der Film zeigt eine Stadt voller Aufbruch. All die Brachflächen, die | |
Brandmauern, die illegalen Bars in Ostberlin: Wer das miterlebt hat, der | |
kann ganz schon wehmütig werden. | |
Geh doch nach Leipzig! Ich empfinde Berlin heute nach wie vor als spannende | |
Stadt. Sie ist nie eine typische Touristenmetropole geworden. Auch die | |
große Leere, die vielen Freiräume – die gibt es immer noch. Wir sitzen hier | |
am Mauerpark, meine Nachbarn haben schon vor Jahren eine Initiative zur | |
Bepflanzung des Mauerparks gegründet. Die kämpfen um jeden Baum. | |
Berlin war Anfang der Neunziger eine Ankunftsstadt. Die Lage war so | |
unübersichtlich, dass es völlig egal war, woher man kam. | |
Das ist doch immer noch so! Ich habe heute den ganzen Tag Leute auf der | |
Straße Spanisch sprechen hören, was mich wundert, weil doch Spanien jetzt | |
im Frühling wunderbar sein muss. Für mich bleibt Berlin nach wie vor die | |
einzige Großstadt. Hier ist es unaufgeregt. Es müssen auch nicht dauernd | |
alle Bewohner für irgendwelche Events in Reih und Glied aufgestellt werden, | |
um Größe zu beweisen. Man hört von Städten wie Dortmund, die feiern, dass | |
gerade der größte Weihnachtsbaum der Welt aufgestellt wird. Wer zum Teufel | |
braucht den größten Weihnachtsbaum der Welt? | |
Wo zum Teufel liegt Dortmund? | |
Eben. Es ist doch ein Zeichen der Weltoffenheit, wenn sich etwas ganz | |
Großes ganz klein anfühlt. Beinahe dörflich. So wie wir hier sitzen: Das | |
fühlt sich nicht gerade urban an. Und es gibt nach wie vor Ruinen. Vor uns | |
Baugerüste, hinter uns Baugerüste. Außerdem sind die Deutschen ja so | |
gründlich. Wenn das eine Haus fertiggestellt ist, ist das andere schon | |
längst wieder kaputt. Die werden hier doch nie fertig! | |
Und was ist mit der Gentrifizierung? | |
Prenzlauer Berg hat sich nicht gentrifiziert. In dieser Straße sind keine | |
teuren Läden entstanden. Zum Beispiel: An der Ecke war eine große Apotheke, | |
die ein bisschen versucht hat, sich auf die jungen Leute hier einzustellen, | |
und hauptsächlich Vitamine verkauft hat. Der Apotheker hat immer im | |
Hinterzimmer geraucht. Da wusste ich schon: Der schafft es nicht. Und | |
tatsächlich ist die Apotheke pleitegegangen. Dann sollte da ein Restaurant | |
aufmachen, aber wir haben ja schon zwei Inder, die demselben Mann gehören: | |
Goa I und Goa II. Und nun also Goa III. Das hat hier keine Zustimmung | |
gefunden. Die Anwohner wollen Vielfalt, verschiedene Kulturen. Also machte | |
der Inder ein mexikanisches Restaurant auf. Da saßen dann die gleichen | |
Inder drin, nur mit Sombreros. Das wurde nicht akzeptiert. Drei Monate | |
haben sie das ausgehalten. Dann haben sie gesagt: Zum Teufel mit diesem | |
mexikanischen Quatsch. Wir machen das, was wir am besten können. Jetzt | |
haben sie ein Restaurant für „indische Spezialitäten“ aufgemacht. Das | |
klingt wie eine Geschichte aus meinen Büchern. Aber es ist die reine | |
Wahrheit! | |
Aber es ist doch schade, dass man in Prenzlauer Berg nicht mehr ausgehen | |
kann. | |
Das sehe ich nicht so. Es ist doch wunderbar, dass hier keine Partyhochburg | |
mehr ist. Schau dir doch Kreuzberg an: Sie demonstrieren gegen Touristen | |
und haben Angst, dass ihr wunderbares Biotop Kratzer bekommt. Aber das ist | |
die Zukunft von jedem versteiften Gebilde, von jedem Glücksgarten. Sein | |
logisches Ende ist der Untergang. Jeder, der zufällig vorbeikommt, wird den | |
Glücksgarten falsch verwenden und sich zum Beispiel damit den Arsch | |
abwischen. | |
Es kann nur überleben, wer beweglich bleibt? | |
Das, was wir hier besprechen, ist die alte Geschichte von Kain und Abel. | |
Von Hirten und Landwirten. Der Hirte läuft den Tierchen nach und verändert | |
fast nichts am Lauf der Welt. Der Landwirt dagegen duldet keine Vielfalt. | |
Er braucht keine Berge, sondern quadratische, praktische Felder. Er braucht | |
keine Flüsse, sondern Kanäle, um seine Felder zu bewässern. Er braucht | |
keine Schmetterlinge und kein Vergissmeinnicht, sondern Weizen. Diese | |
Haltung, sich konservieren zu lassen: das findet im Augenblick in Kreuzberg | |
statt. | |
Und was ist mit den schlimmen Müttern aus Prenzlauer Berg? | |
Ich finde es gut, dass es hier so viele Kinder gibt – und das bei diesem | |
riesigen Freizeitangebot. Die Leute hier haben trotzdem Zeit und Lust, ihre | |
persönlichen Freiheiten freiwillig zu beschränken und sich auf so etwas | |
Lästiges wie Kinder einzulassen. Das ist doch erstaunlich. | |
Nach über 20 Jahren legst du immer noch Platten auf, betreibst nach wie vor | |
die Russendisko. Was hat sich verändert? | |
Für mich hat sich die Russendisko nicht verändert. Es ist das gleiche | |
Kaffee Burger, die gleiche Tapete, der gleiche verrauchte Raum, die gleiche | |
Scheißtechnik mit einem Limiter, sodass man die Musik nicht laut drehen | |
kann, weil da angeblich immer noch Leute wohnen. | |
Bekommt man in der Russendisko immer noch so schnell Heiratsanträge? Ich | |
habe zwei von drei Heiratsanträgen meines Lebens in der Russendisko | |
bekommen – wohlgemerkt, ohne dass dem irgendetwas vorausgegangen wäre. | |
Echt? Deine Worte sind Honig auf meine Seele. Also haben wir die ganze Zeit | |
nicht umsonst gearbeitet. | |
Wie lange willst du die Russendisko noch machen? | |
Wenn es nach mir ginge, dann hätte ich schon längst aufgehört. Es ist so | |
anstrengend. Aber ich kann nicht, weil so viele Existenzen von der | |
Russendisko abhängen. Meine Frau schimpft auch immer, weil sie sich | |
vornimmt, mit dem Trinken aufzuhören, und das klappt wegen der Russendisko | |
nicht. Am nächsten Tag kommen die Kopfschmerzen, und unsere Kinder wollen | |
trotzdem auf den Flohmarkt gehen und Platten kaufen. Oder sie wollen mich | |
zwingen, im Park mit ihnen Karaoke zu singen, und zwar „God Save the Queen“ | |
von den Sex Pistols. Das musst du dir mal vorstellen: Meine Kinder hören | |
Janis Joplin und Jimi Hendrix. Die stehen voll auf alte Musik! Darauf bin | |
ich sehr stolz. Mein Leben hat einen Sinn gehabt. | |
Nun ja. Du bist heute ein reicher Mann. | |
Ich weiß gar nicht, was ich mit dem ganzen Geld anfangen soll. Ich habe | |
überlegt, in die Bildung meiner Kinder zu investieren. Aber meine Tochter | |
will Literatur an der Humboldt-Universität studieren. Immobilien will ich | |
auch keine kaufen. Also haben wir uns den Nachbarn angeschlossen und ein | |
paar Stadtbäume gekauft. | |
Würdest du sagen , dass du ein glücklicher Mensch ist? | |
Jemand, der von sich behaupten kann, in einer Welt voller Krieg und Not | |
glücklich zu sein, ist entweder ein Schurke oder ein Idiot. | |
Aber du bist doch auch kein unglücklicher Mensch? | |
Ich kann mit dieser Welt mitfühlen. Ich kann diese unbedingte Liebe der | |
Menschen, immer wieder aufs Neue auf die Schnauze zu fallen und zu | |
scheitern, sehr gut nachvollziehen. Das macht mich glücklich. | |
29 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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