# taz.de -- Die Wahrheit: Der homosexuelle Mann | |
> … soll von der Bildfläche verschwinden. Russland macht gerade vor, wie | |
> man auf ganz legale Weise Homosexuellen sukzessive jeden Lebensraum | |
> beschneidet. | |
… St. Petersburg, zweitgrößte Stadt des Landes, hat Ende Februar ein Gesetz | |
beschlossen, das öffentliche Aufklärung über Homo-, Bi- und Transsexualität | |
verbietet. Die Duma plant inzwischen ein landesweites Gesetz nach diesem | |
Vorbild. In der Praxis heißt das: keinerlei Zeichen homosexuellen Lebens in | |
der Öffentlichkeit. Zu ersten Verhaftungen nach der neuen Rechtsprechung | |
kam es letzte Woche in St. Petersburg. | |
So beunruhigend diese massive Beschneidung homosexueller Menschenrechte, so | |
erstaunlich ist die relative Ruhe darüber hierzulande. Die Verabschiedung | |
des St. Petersburger Gesetzes kam – wenn überhaupt – in den Medien als | |
Kurzmeldung vor, die Signalwirkung wurde nicht verstanden. Genau so ergeht | |
es der Politik. Keine Stellungnahme dazu aus Berlin, dem schwulen | |
Außenminister entlockte die Entwicklung in Russland nur ein paar karge | |
Worte. Das neue Gesetz spreche „gegen Aufgeklärtheit und Toleranz“. Es ist | |
immer das Gleiche, die Verletzung homosexueller Menschenrechte und – noch | |
schlimmer – die staatliche Verfolgung und Ermordung von Schwulen ringt | |
Medien und Politik immer nur das Nötigste ab, vergleichbare Entwicklungen | |
bei anderen Minderheiten setzen ganz andere Worte und Taten frei. Dass man | |
mehr tun kann, beweist in Berlin eine erste Adresse für Unterhaltung, der | |
Friedrichstadtpalast. In einer „Erklärung in eigener Sache“ macht die | |
traditionsreiche Showbühne klar, warum sie ihre geschäftlichen Beziehungen | |
mit Russland derzeit auf Eis legt. Darin heißt es, dass laufende | |
Verhandlungen mit russischen Investoren, die ein Programm des Hauses nach | |
Moskau bringen wollten, abgebrochen wurden, eine Eisrevue aus St. | |
Petersburg wurde abgelehnt. „Wir werden auch künftig Anfragen russischer | |
Künstler und Organisationen absagen, solange diese beschämenden Gesetze in | |
Kraft sind.“ | |
Der Grund für so viel ungewohntes Engagement: „Dieser Boykott ist unsere | |
einzige Möglichkeit als Friedrichstadt-Palast, unsere Solidarität mit den | |
homosexuellen und allen anderen aufgeklärten und toleranten Russinnen und | |
Russen zu zeigen.“ Zuvor hatte bereits eine andere Showgröße, Madonna, ihre | |
Solidarität mit den Lesben und Schwulen in Russland angekündigt. Bei ihrem | |
für August geplanten Auftritt in St. Petersburg will sie von der Bühne | |
herunter ihren Protest gegen das neue Gesetz kundtun. Darauf folgte | |
umgehend hymnischer Beifall ihrer schwulen Anhänger, in Russland aber | |
bezichtigten Schwulenaktivisten den Pop-Star der Heuchelei. „Wenn Stars wie | |
Madonna ihre Konzerte absagen würden“, sagte Juri Gavrikow von ’Gay | |
Russia‘, „hätte das wichtige ökonomische Konsequenzen. Aber ein Statement | |
für Schwulenrechte während eines Konzerts hat überhaupt keine Wirkung.“ Ob | |
Boykott oder wohlfeile Worte – wären das nicht die Gelegenheiten, endlich | |
angemessen darüber zu berichten? | |
10 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Elmar Kraushaar | |
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