# taz.de -- Die Generation der „Maybes“: „Wir sind keine Jammerlappen“ | |
> Man nennt sie die „Maybe“-Generation. Sie sei eigenschaftlos, | |
> unentschieden und lauwarm. Und das ist auch gut so, sagen die „Maybes“. | |
> Eine Entgegnung. | |
Bild: Unentschieden? Ist doch super! | |
Deutschland hat eine neue Problemgruppe. Im Netz sind die Twentysomethings | |
an den Pranger geraten: Unentschlossen seien sie, profillos und | |
unerheblich, heißt es in zahlreichen Diskussionsthreads. „Don‘t be a Maybe… | |
ist der neue Marlboro-Slogan, übersetzt heißt das so viel wie „sei kein | |
Zweifler“. Und während wir 20 bis 30-Jährigen uns noch den Schlaf aus den | |
Augen reiben, saust über uns der Generationenstempel nieder. | |
Los ging es vor knapp zwei Wochen, mit einem Artikel auf Welt Online. Da | |
goss sich ein 29-jähriger Journalist den Kübel über: „Wir sind genau jene | |
Maybes, die Zögerer und Zauderer, von denen die Rede ist“. Eine Generation | |
ohne Eigenschaften seien wir, gelähmt von der Angst vor Veränderungen. Gut | |
ausgebildet zwar, aber ohne Markenkern. „Statt an der eigenen | |
Verwirklichung zu arbeiten, schnorrt man die Eltern um einen Zuschuss für | |
die nächste Thailand-Reise an“, schrieb der Autor. | |
Doch wer uns vorwirft, eigenschaftslos und lauwarm zu sein, verkennt die | |
Zeichen die Zeit. Wir sind eine globale Generation: Klima, Terror und | |
Finanzkrise haben unsere politische Bewusstwerdung bestimmt. Wenn wir auf | |
Reisen gehen, dann fliehen wir nicht vor der Realität, sondern tauchen tief | |
in sie ein. Rucksacktouren durch Brasilien, Auslandssemester in Peking – | |
wir wissen, was wir am Wohlstand haben. Die Bilder der Flüchtlingsboote vor | |
Europas Küsten und die Made-in-China-Labels in unseren Klamotten erinnern | |
uns ständig daran, dass er kaum zu halten sein wird. | |
## Nichts auf die Fahnen schreiben | |
Es ist Unsinn, Antworten von uns zu erwarten. Selbst Staatenlenker geben | |
offen zu, dass sie die Dynamiken der Finanzmärkte nicht durchdringen. Wer | |
kann schon sagen, ob der Biss ins Biobrötchen die nachhaltige | |
Landwirtschaft fördert, oder doch einen afrikanischen Kleinbauern um die | |
Existenz bringt? Wahrscheinlich stimmt beides, schließlich hängt alles mit | |
allem zusammen. Was sollen wir uns da auf die Fahne schreiben? Und warum | |
sollten wir uns überhaupt etwas auf die Fahne schreiben? Unser Job ist es, | |
die richtigen Fragen zu stellen. | |
Die Zeit der klaren Fronten ist vorbei. Die Welt ist zu komplex geworden, | |
um sie in Gut Böse zu unterteilen. Ideologien sind wie Scheuklappen, sie | |
nehmen die Angst, aber sie beschränken die Sicht. Wir differenzieren | |
lieber, wägen ab, lassen die Unsicherheit zu. Entscheidungen treffen wir | |
mit Bedacht und je nach Kontext. Mikado spielt man nicht mit dem | |
Vorschlaghammer. Wir sind keine dogmatischen Schreihälse, sondern | |
Pragmatiker. Es ist genau jener neuartige Stil, der Frauen in der Politik | |
erfolgreich macht. | |
Wir lassen uns nicht festnageln, aber wir nehmen teil an der Gesellschaft. | |
Über das Internet schließen wir uns spontan zusammen, um gegen die | |
Bankenmacht oder den Überwachungsstaat zu protestieren. Eine | |
Online-Petition für bessere Ausbildungsbedingungen erreicht ihr Quorum | |
schon mal in drei Stunden. Nur beschränken wir uns nicht auf ein Ziel, | |
sondern behalten uns vor, unsere Meinung zu ändern. Das ist einer Zeit | |
angemessen, deren einzige Konstante die Veränderung ist. Es macht es aber | |
auch schwieriger, uns im bunten Katalog der Generationenlabels einzuordnen. | |
Unser Selbstverständnis bedarf keiner Klassenkampfparolen, keiner | |
Basta-Politiker und keiner Parteibücher. Wir wollen Platz an der Spitze für | |
die Menge - Occupy und der Erfolg der Piraten machen das deutlich. Am | |
wenigsten brauchen wir einen grauen Herrn im Präsidialamt, der uns mit dem | |
Finger im Gesicht herumfuchtelt und erklärt, was Freiheit ist. | |
Wir wissen, was das ist. Wir sind die erste Generation, deren Eltern alle | |
nach dem Krieg geboren wurden, die deutsche Teilung haben wir nicht mehr | |
erlebt. Wir wissen auch, dass Freiheit verteidigt werden muss. Acta oder | |
immer neue Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung genügen als Merkzettel. | |
## Schattenseiten der Freiheit | |
Doch wir kennen auch die Schattenseiten der Freiheit. Bei Facebook klicken | |
wir uns jeden Tag durch eine unendliche Palette von Lebensentwürfen. Das | |
Elends-TV im RTL-Nachmittagsprogramm bezeugt, wie schnell sie scheitern | |
können. Wenn wir eine Tür öffnen, fallen hundert andere zu. Die | |
Opportunitätskosten eines falschen Schritts wachsen mit der Fülle an | |
Alternativen. Es bedarf Mut und Verantwortung, um nicht stehen zu bleiben. | |
Umso dreister ist die Unterstellung, dass wir zu hasenfüßig für | |
Entscheidungen seien. | |
Wir sind keine Jammerlappen. Wir lassen uns wie Zugochsen durchs Studium | |
treiben und nehmen danach dankbar jedes unbezahlte Praktikum. Zum Spott der | |
arrivierten Generationen. Doch statt zu rebellieren, tasten wir uns | |
behutsam durchs Dickicht der unendlichen Möglichkeiten. | |
Wir sind Kinder der Postmoderne. Mit Freiheit beschenkt, von Freiheit | |
getrieben. Statt uns an morsche Ideologien zu klammern, nehmen wir die | |
Herausforderung einer individualisierten Gesellschaft an. Ganz ohne durch | |
den leeren Raum zu irrlichtern, wie es uns die Generationen-Basher | |
unterstellen. Im Gegenteil: Das Bewusstsein globaler Probleme und der Sog | |
der sozialen Netzwerke bringen uns einander immer näher, über geographische | |
Grenzen hinweg. | |
Die Zeit der großen Kollektive ist vorbei: Wir formulieren Ziele, ohne uns | |
auf knackige Etiketten reduzieren zu lassen. Wir sind eine Generation der | |
Graustufen, aber keineswegs farblos. Natürlich sind wir unsicher im Umgang | |
mit den Themen unserer Zeit. Doch das ist kein Manko, sondern Ausdruck | |
eines geschärften Reflektionsvermögens. Unser Zweifeln zeichnet uns aus. | |
Wir sind Maybes und das ist gut so. | |
9 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Felix Kartte | |
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