# taz.de -- Die Wahrheit: Verwirrter Seehofer | |
> Gott sei Dank, die schlimmste Jahreszeit ist vorüber. Man war umgeben von | |
> Evangelischen, die sich nichts gönnten, um ihre inneren Werte neu zu | |
> entdecken. | |
Gott sei Dank, die schlimmste Jahreszeit ist vorüber. Man war umgeben von | |
kasteiungswütigen Evangelischen, die sich selbst ein paar Wochen lang | |
wahlweise weder Süßigkeiten noch Fleisch noch Alkohol gönnten, angeblich, | |
um ihre inneren Werte neu zu entdecken. In Wirklichkeit haben sie die | |
inneren Werte ihres Kleiderschranks wiedergefunden, die noch nicht | |
abgetragen waren, aber stark zwickten. Ab Ostern hauen sie dann in alten | |
Hosen wieder ungeniert auf die Kacke, haben sie doch sich, vor allem jedoch | |
der Welt bewiesen, dass sie alles noch voll im Griff haben. Nimm das, | |
versoffenes und nimmersattes Atheistenpack! | |
Ich hatte schon lange beschlossen, dass mir der ganze ideologisch | |
aufgebrezelte Verzichtszinnober am dicken Hintern vorbeigeht, bis mir im | |
vergangenen Jahr eine Verabredung platzte, weil sich die betreffende Person | |
auf Internet- und Mail-Diät gesetzt hatte, leider ohne den Rest der Welt | |
von ihrem heroischen Opfer zu unterrichten. Da hätte sie ja mailen müssen. | |
So fiel mir dann doch mal auf meine unerlöste Seele, was das für ein Murks | |
ist: Wer meint, dass er zu viel trinkt, glotzt oder isst, soll meinetwegen | |
gern sein Leben ändern. Ich würde mich sofort unter die Gratulanten zum | |
neuen schlanken, nüchternen, unverdooften Ich einreihen – ist ja | |
schließlich nicht einfach, einen Teil der eigenen Persönlichkeit für ein | |
fragwürdiges höheres Ziel aufzugeben. Aber nur sieben Wochen? Was soll das | |
denn? | |
Schlimm ist schon der Beginn am Aschermittwoch: Die Welt ist kalt, nass und | |
voller Februardepression. Schon finden sich Menschen zum Leeren riesiger | |
Bierseidel zusammen, das kann man verstehen. Dann aber setzt politisches | |
Gebrüll ein von der Bühne: Wer unser Bier trinkt, soll auch die gute Lehre | |
annehmen. Mit Zeigefinger und ritualisiertem | |
Den-Gegner-in-den-Boden-Stampfen. Grauenhaft, kein Wunder, dass die | |
Verführten das dann wochenlang abbüßen müssen. Und so starten sie gut | |
angesäuselt in eine Periode des Entzugs. Horst Seehofer scheint übrigens | |
nicht auf Alkohol verzichtet zu haben: Er ging erst am Ende der Fastenzeit | |
ins Kloster, nahm aber dafür seine Frau mit. Die Katholiken sind offenbar | |
noch verwirrter als die Protestanten. | |
## Die „Sieben Wochen ohne“-Aktion | |
Erfunden wurde die „Sieben Wochen ohne“-Aktion laut Legende in einer | |
Kneipe. War ja klar. Da Journalisten beteiligt waren, wird man das als | |
Schnapsidee bezeichnen können, ohne allzu sehr danebenzuliegen. | |
Selbstverständlich habe auch ich mich schon heimlich gefragt, worauf ich | |
wohl sieben Wochen lang verzichten könnte. Na ja, wenn es im Fernsehen | |
sowieso nur Biathlon gibt, ist die Wahl nicht schwierig. Oder ich mache es | |
wie eine Freundin: kein Kuchen und keine Süßigkeiten, es sei denn, man wird | |
eingeladen. | |
Man will ja schließlich nicht unhöflich sein. So führen Fastenaktionen zur | |
Intensivierung sozialer Kontakte. Auch gut: Kein Alkohol. Oder nur Sekt, | |
falls jemand zu Besuch kommt. Oder anruft. Oder am Haus vorbeigeht. Ich | |
könnte auch auf Horst Seehofer verzichten. Oder in die Kirche eintreten, | |
aber nur für sieben Wochen. | |
11 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Susanne Fischer | |
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