# taz.de -- Kolumne Das Tuch: Wie Füße in den Socken | |
> Was verbirgt sich eigentlich unter einem Kopftuch? Schlangenhaare | |
> vielleicht? Oder eine tätowierte Glatze? Meistens gähnende Langeweile. | |
Sportunterricht in der Schule. Meine Freundin Shaima steht in der Schlange, | |
um ihren Basketball in das Korb zu werfen. Hinter ihrem Rücken schleicht | |
sich leise ihr Klassenkamerad Stefan heran, hebt vorsichtig ihr Kopftuch | |
und kaum dass er einen Blick erhaschen kann, dreht sie sich um. Angstvoll | |
schaut er sie an, böse schaut sie zurück. „Ich w… wollte nur “, stammel… | |
und ringt nach Worten, „w… wollte doch nur wissen, was darunter ist.“ | |
„Haare“ reichen als Antwort auf die Frage nach dem mysteriösen Etwas unter | |
dem Kopftuch nicht aus. Befriedigen nicht die Neugier der Außenstehenden. | |
Denn wenn schon versteckt wird, dann muss da doch etwas sein. Etwas | |
Fantastisches. Medusa-gleiche Schlangenhaare vielleicht oder eine | |
tätowierte Glatze. Es sind jedenfalls auf keinen Fall Haare und wenn doch, | |
dann zumindest keine normalen. | |
Legenden muss man füttern, beschlossen meine Schwester und ich. Zusammen | |
verbreiteten wir deshalb zu Schulzeiten das Gerücht, dass unsere | |
lockig-glatten Haare pink-grün gestreift gefärbt seien. Und wenn dann | |
jemand tatsächlich mit großen Augen „wirklich?“ sagte, antworteten wir �… | |
wirklich!“. | |
Thomas, mein Sitznachbar, fragte mich irgendwann, was passieren würde, wenn | |
er meine Haare sehen würde. „Dann musst du mich heiraten“, antwortete ich. | |
Ich grinste. Kreidebleich drehte er sich zur Tafel. | |
## Eine neue Form von Neugier | |
Einige Wochen später spielten die Jungen wieder Schwammschlacht in der | |
Klasse. „Wusch“ machte es über meinem Kopf und der fliegende Schwamm zog | |
mein Kopftuch nach hinten. „Ahh“, schrie ich und bückte mich, um meine | |
Haare zu bedecken. „Ahh“, schrien die Jungen und hielten sich die Augen zu. | |
„Ahh“, schrien meine Freundinnen und leisteten Sichtschutz, indem sie | |
herbeirannten. | |
An der Uni bekam ich es dann mit einer neuen Form der Neugier zu tun. Sie | |
war anders und merkwürdig. „Was“, fragte ein Kommilitone, nachdem ich ihm | |
erklärte, dass ich zu Hause natürlich kein Kopftuch trage, „was, wenn ich | |
eines Tages an eurem Haus vorbeikomme, durch den Garten laufe und zufällig | |
durch das Fenster schaue und dich ohne Kopftuch sehe?“ Schockiert schaute | |
ich ihn an. Dann lachte er und sagte: „Spaaß!“ „He, he“, sagte ich und | |
bemühte mich um ein Grinsen. | |
Ich enttäusche ja nur ungern, aber unter dem Kopftuch sind wirklich nur | |
Haare. Nichts Außergewöhnliches. Kopftuchtragende Frauen sind nicht | |
hübscher oder hässlicher als andere Frauen. Sie färben sich die Haare, | |
glätten sie und frisieren sie, wie alle anderen auch. Vielleicht sind | |
einige ein bisschen mutiger, weil sie einen misslungenen Friseurbesuch gut | |
unter dem Kopftuch verstecken können. Aber das wäre auch der einzige Grund | |
für Neugier. Sonst erstreckt sich dort auch die gleiche Langeweile wie bei | |
den Füßen in den Socken. Alles halb so wild, ganz normal halt. Kein Grund | |
für besondere Fantasien. | |
Kurz vor Ende der Schulzeit schickte mir Thomas übrigens ein Bild. „So | |
siehst du ohne Kopftuch aus“, schrieb er. Zu sehen war ein Bild von mir mit | |
zackigen und abgehakten Paint-Strichen, die Haare darstellen sollten. | |
Knallblonde, wohlgemerkt. | |
11 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Kübra Gümüsay | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |