# taz.de -- Ein Film über die Brokdorf-Gegner: Die Ohnmacht der Aktivisten | |
> Wie lebt es sich neben einem Atomkraftwerk? Die Filmemacherin Antje | |
> Hubert hat über mehrere Jahre Menschen in Brokdorf begleitet, die seit | |
> Jahren Widerstand gegen das Kraftwerk leisten. | |
Bild: Das Ding im Hintergrund: Baden bei Brokdorf. | |
Konnte sie ahnen, dass die Anti-AKW-Bewegung noch einmal so erstarken | |
würde? War es vorauszusehen, dass die Debatte um die Atomenergie mit neuem | |
Schwung geführt werde? Vier Jahre hat sich die Hamburger Filmemacherin | |
Antje Hubert ihrem Filmprojekt gewidmet: „Das Ding am Deich“ der Titel, | |
denn so würden die Bewohner von Brokdorf das Kraftwerk vor ihrer Haustür | |
nennen: das Ding da. | |
Doch nun scheint sich abzuzeichnen, dass ihr Film auf ein großes Interesse | |
stoßen dürfte. Wie neulich, auf dem Max Ophüls Filmfestival in Saarbrücken, | |
wo ihr Film ganz nebenbei den Förderpreis der Defa-Stiftung erhielt: „Nach | |
der Vorführung kam eine junge Frau zu mir, die erzählte, sie sei aus | |
Hamburg, aber sie hätte von Brokdorf und dem AKW dort noch nie gehört – und | |
sie bedankte sich dafür, dass sie nun klüger sei.“ Und Hubert lächelt mehr | |
als zufrieden: „Genau so habe ich mir das gedacht.“ | |
Hubert kommt selbst vom Dorf, sie ist bei Unterlüß aufgewachsen, wiederum | |
eine Kleinstadt zwischen Uelzen und Celle: „In den 70ern wollte man hier | |
wie später in Gorleben einen Salzstock erkunden, um möglicherweise ein | |
Atomlager zu errichten, und ich erinnere mich an meine erste und einzige | |
Demo mit meinem Papa, da war ich neun oder zehn.“ Auch wenn sie längst in | |
der Großstadt wohnt, das Interesse am Dorfleben ist geblieben: „Das | |
Dorforchester“ heißt etwa ihr letzter Film, das Porträt einer | |
Feuerwehrmusikkapelle in Jevenstedt am Nord-Ostsee-Kanal bei Rendsburg. | |
Diesmal ist der Fokus etwas weiter gespannt: „Ich wollte ein Dorf | |
porträtieren, das größer ist und wo es entsprechend mehr Konflikte gibt“, | |
sagt sie. Und dann hat sie das Atomkraftwerk auch als politischer Stoff | |
gereizt: „Man kennt zu Brokdorf Filme aus den 70er- und 80er-Jahren, aber | |
so richtig ist die Geschichte des AKWs und des Widerstandes noch nicht | |
durcherzählt worden.“ Denn hier sei der Protest lokal gewachsen: „Vom | |
Widerstand in der Stadt hat man eine Vorstellung, also wie Studenten da die | |
Sache in die Hand nehmen. Aber wie ist das auf dem Dorf, wenn die eher | |
konservativen Bauern damit konfrontiert werden, dass man ihnen so eine | |
Atomanlage vor die Haustür setzt?“ | |
Und so fährt die Filmemacherin 2008 und 2009 immer mal wieder in die | |
Wilster Marsch. Sie besucht Brokdorf und lernt die ersten Leute kennen, die | |
sich seinerzeit gegen den Bau des Werkes engagierten. Sie wird bald | |
weitergereicht, muss aber auch erfahren, dass man sie an der Gartenpforte | |
abwimmelt, wenn man zu den Bewohnern gehört, die stolz auf ihr | |
Atomkraftwerk sind oder für die das eine ganz normale, völlig harmlose | |
Industrieanlage ist und die die Aufregung nicht verstehen wollen. | |
Im Jahr darauf fängt sie mit ihrer Kamerafrau Barbara Metzlaff an zu drehen | |
– im Schneesturm des Januars, denn die Idee ist, beim Erzählen der | |
Chronologie den Jahreszeiten zu folgen, weshalb der Film im darauffolgenden | |
Winter enden soll. Und sie trifft auf Milchbauern und Hausfrauen, die | |
damals wie heute es nicht fassen können, wie der Staat mit ihnen umgeht, | |
wie er sie polizeilich überwacht und wie er sie mit immer neuen Gesetzen | |
ausgetrickst hat. Sie lässt sich erzählen wie das war, als monatelang im | |
Haus Unterstützer von überall her bewirtet wurden und nebenbei die Kühe | |
gemolken und die Kinder beaufsichtigt werden mussten. Und sie begegnet | |
Menschen wie dem Meteorologen Karsten Hinrichsen, der mehr als zwanzig | |
Jahre gegen das Werk vor Gericht geklagt hat – am Ende vergebens. | |
Und so ist ihre Dokumentation angenehmerweise frei von dem oft | |
hemdsärmeligen Zwangsoptimisums, sondern er erzählt eben auch von der | |
tiefen Ohnmacht der Aktivisten, die auf dem Bauplatz, auf der Straße und | |
vor Gericht verloren haben und die seit Langem mit dem Atomkraftwerk vor | |
ihrer Haustür leben müssen, auch wenn der eine die Hecke im Garten so | |
gepflanzt hat, dass sie den Blick auf den Meiler versperrt oder wenn andere | |
sich einzureden versuchen, dass sie da einfach nicht hingucken würden. „Du | |
haust da in eine Wunde rein. Am Anfang haben unsere Protagonisten so getan, | |
als wäre die Sache für sie erledigt: ’Ach, das Atomkraftwerk – das haben | |
wir doch hinter uns.‘ Aber zum Glück sind wir weitergegangen – und unsere | |
Protagonisten haben sich nach und nach geöffnet.“ So ist ihr Film auch ein | |
Film über das Erleben von Ohnmacht geworden – so wie ihre Protagonisten | |
heute wieder dabei sind, um dafür zu sorgen, dass der von der Politik | |
versprochene Ausstieg auch wirklich erfolgt und nicht noch einmal | |
verschoben wird. Dass man der Politik nicht trauen dürfe, diese Erkenntnis | |
eint alle Beteiligten. | |
Antje Hubert ist mit ihrer Cutterin Magdolna Rokob schon beim Schneiden, | |
sie überprüfen immer wieder den Aufbau der Szenen, das Wechselspiel | |
zwischen Interviewpassagen, Dokumentarmaterial und eingestreuten, | |
wunderbaren Miniaturen aus dem Dorfleben, als die Telefone heiß laufen und | |
die ersten Nachrichten aus Fukushima eintreffen: „Das war der Alptraum – zu | |
allererst natürlich wegen der Reaktorkatastrophe selbst. Und dann mussten | |
wir klären, wie wir das, was in Japan und auch bei uns passierte in unserem | |
Film unterbringen können.“ Und sie unterbrechen den Schnitt, fahren wieder | |
nach Brokdorf, drehen weiter: „Was mich erneut für unsere Protagonisten | |
eingenommen hat, war, dass die nun nicht hämisch sagten: ’Haben wir doch | |
immer gewusst, dass sowas eintreffen wird.‘ Sondern sie waren selbst erst | |
mal geschockt und sprachlos und brauchten ihre Zeit, um die richtigen Worte | |
zu finden.“ | |
Ganz zum Schluss, als der Zuschauer beginnt, sich zu entspannen und | |
vielleicht auch auf ein Resümee zu warten, zieht der Film das Tempo an, mit | |
einer Notfallübung vor Ort. „Die ist uns am Schluss so richtig geschenkt | |
worden, da kamen wir aus dem Staunen nicht raus.“ Nicht verwertet wurden | |
die offiziellen Statements der Sprecher der Landesregierung und die des | |
Energieunternehmens Eon: „Die waren wie zu erwarten, also: ’Die Übung ist | |
super gelaufen! Wir haben das alles im Griff.‘“ Das hat Hubert nicht | |
zufrieden gestellt: „Wir haben dann noch mal den Einsatzleiter besucht, den | |
wir während der Übung nicht interviewen konnten.“ Und Hubert sagt jetzt | |
ganz zufrieden: „Und das war eine richtige Offenbarung, denn der hat sein | |
Herz aufgemacht und hat gesagt, was er wirklich denkt.“ | |
11 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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