| # taz.de -- Historiker über die Ökologiebewegung: Selbstgefällige Ökopionie… | |
| > Für Joachim Radkau ist Grün die Ideologie des 21. Jahrhunderts. Ohne sie | |
| > wäre alles viel schlimmer, sagt der Historiker. Doch es werde auch viel | |
| > geredet und wenig getan. | |
| Bild: „Umweltprobleme“ könnten auch als „Wettlauf um die letzen Ressourc… | |
| taz: Herr Radkau, seit einem Jahr regieren die Grünen Baden-Württemberg. | |
| Ist die Umweltbewegung an der Macht? | |
| Joachim Radkau: Das ist ein Etappensieg, mehr nicht. Was das am Ende | |
| bewirkt, kann man noch nicht sagen. | |
| Aber sie sprechen doch davon, dass es für die Umweltbewegung historische | |
| Momente gäbe. Ist Stuttgart so einer? | |
| Es sieht so aus. Es gibt Knotenpunkte in der Geschichte der Ökobewegung, wo | |
| ganz viel möglich wird. Das war so um 1970, nach 1990 – und jetzt. | |
| Ist die grüne Bewegung bereit, allgemeine politische Verantwortung zu | |
| übernehmen? | |
| Ich habe oft darüber gelästert, wie die Alt-68er in die Ökobewegung | |
| gekommen sind und in ihrer Theorie das ausgebeutete Proletariat durch die | |
| ausgebeutete Natur ersetzt haben. Aber sie haben auch viel Bewusstsein und | |
| strategisches Denken eingebracht, von denen die Grünen jetzt profitieren. | |
| Grünes Denken ist in Deutschland Mainstream. Grund, vor der Ökodiktatur zu | |
| warnen? | |
| Das ist wirklich Quatsch. Nach wie vor ist Wirtschaftswachstum für alle | |
| staatlichen Bürokratien der Welt attraktiver als Umweltschutz. Ich sehe | |
| eher die Gefahr, dass die Ära der Ökologie in eine Ära des Ökobluffs | |
| übergeht. Heute erscheint die deutsche Industrie ja wie eine Dependance von | |
| Greenpeace. Da wird viel geredet, aber wenig getan. | |
| Trotzdem meinen viele Menschen, jetzt sei es genug mit dem ganzen | |
| Umweltkram. | |
| Wenn man sieht, wie kompliziert das deutsche Umweltrecht ist, kann ich | |
| Trotzreaktionen gut nachvollziehen. Besonders den kleinen und mittleren | |
| Unternehmen macht die Umweltbürokratie viel mehr zu schaffen als großen | |
| Konzernen. Dass das Recht so kompliziert ist, liegt aber auch an den | |
| Lobbys, die Ausnahmen ausweiten. | |
| Sie sagen, die Ideologie der Zukunft sei die Ökologie. Ist dann alles in | |
| Ordnung? | |
| Ich bin da nicht sicher. Das, was wir heute Umweltprobleme nennen, könnte | |
| auch zum Wettlauf um die letzten Ressourcen umdefiniert werden. In den USA | |
| etwa läuft seit den 1990ern unter dem Schlagwort „environmental security“ | |
| eine Öko-Neudefinition unter dem Einfluss der Militärapparate. Das macht | |
| die Sache sehr kompliziert. | |
| Trotzdem bleibt für Sie nach dem Scheitern der Ideologien im 20. | |
| Jahrhundert für das 21. nur die Öko-Idee. Das das Ende der Geschichte in | |
| Grün? | |
| Jedenfalls sehe ich bisher keine neue Ideologie, die eine umfassende | |
| Antwort auf die großen Probleme unserer Zeit liefert. Bei Attac oder | |
| Occupy, denen ich eigentlich sehr positiv gegenüberstehe, fehlt es bislang | |
| an einem klaren, großen Konzept. | |
| Geht es unter der grünen Lackschicht nicht weiter wie bisher? | |
| Ohne die Umweltbewegung würde wäre alles noch schlimmer. Aber ich stimme | |
| zu: Große Ökoworte wie Nachhaltigkeit oder Klimagerechtigkeit könnten | |
| verpuffen wie Seifenblasen. | |
| Was ist das Fernziele der Ökos? | |
| Der Ökologismus ist keine Ideologie, sondern ein buntes Spektrum. Ein Ziel | |
| bilden sich viele ein, aber das ist ein Grundirrtum. Eine endgültige Lösung | |
| ökologischer Problemen kann es nicht geben. Umweltpolitik ist und bleibt | |
| Stückwerk. | |
| Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung empfiehlt eine „große | |
| Transformation“ der Industriegesellschaft nach Ökokriterien … | |
| Ich würde den Mund nicht zu voll nehmen, das bringt nur unnötige | |
| Gegenreaktionen in Wirtschafts- und Gewerkschaftskreisen. Besser sind | |
| konkrete Ziele wie die Tobinsteuer, deren Durchsetzung Chancen hat. Man | |
| kann nicht den ganzen Staat ökologisieren. Ökologie bietet keine klaren | |
| Normen für alle möglichen Politikbereiche. | |
| In der Debatte um die Zukunft des Kapitalismus kommt die Ökologie nur als | |
| grünes Wachstum vor. Ist nicht der Kapitalismus das größte Ökoproblem? | |
| Kapitalismus hat viele Erscheinungsformen. Der klassische enthält durchaus | |
| umweltpolitisch positive Elemente: Privateigentum und Erbrecht können | |
| nachhaltiges Verhalten fördern. Ein Bauer, der den Hof an seine Kinder | |
| vererbt, kümmert sich eher um die Fruchtbarkeit des Bodens als ein Pächter. | |
| Ist der Wachstumszwang nicht die Hauptursache der Umweltzerstörung? | |
| Bei den Klassikern der liberalen Wirtschaftstheorie findet sich kein Zwang | |
| zum Wachstum. Im Gegenteil: Da geht es um den Umgang mit begrenzten | |
| Ressourcen. Im Schlaraffenland braucht man keinen Markt. Den Fetisch | |
| Wachstum verdanken wir US-Präsident Kennedys Berater Walt Whitman Rostow | |
| und seinem unglaublich platten Buch „Stadien des ökonomischen Wachstums“ | |
| von 1960. | |
| Warum haben die Deutschen diesen Ökofimmel? | |
| Die Sonderrolle ist nicht so groß wie oft behauptet. Die Anti-AKW-Bewegung | |
| ist in den USA entstanden, die ersten Bauplatz-Besetzungen fanden in | |
| Frankreich statt. Dennoch hat sich im Laufe der Jahrzehnte eine | |
| Führungsrolle ausgebildet – auch in der Schweiz und Österreich. Das hat | |
| wohl etwas mit dem deutschen Kulturraum zu tun. | |
| Das heißt: Wer Deutsch spricht, denkt grün? | |
| Dafür hat niemand eine definitive Erklärung. In der Belle Époque hatte die | |
| Industrialisierung Deutschland und die USA voll ergriffen. Andererseits | |
| hingen grad die Deutschen noch an ihrer Gemütlichkeit. Viele empfanden | |
| diese Spannung als quälend und meinten, man brauche eine Menge Natur, um | |
| nicht das Nervenkostüm zu ruinieren. | |
| Haben die Grünen in Deutschland Geschichte geschrieben? | |
| Jedenfalls ist das Bild der Deutschen in der Welt stark durch die Ökos | |
| geprägt. In meiner Jugend war man im Ausland das Nazischwein. Heute bin ich | |
| manchmal peinlich berührt, wie sehr wir als Ökopioniere wahrgenommen | |
| werden. Man muss da vor Selbstgefälligkeit warnen. | |
| Wie wichtig war die grüne Bewegung für die innere Entwicklung Deutschlands? | |
| Das ist bei den Historikern völlig unterbelichtet. Sicher ist: Ohne die | |
| Ökos kann man den Wandel der letzten 50 Jahre nicht beschreiben. Das gilt | |
| auch andersherum: Die Stimmung bei den Grünen war ja noch lange: Wir sind | |
| umgeben von lauter postfaschistischen Deutschen. | |
| Müssen Ökos links sein? | |
| Schon 1991 hat Winfried Kretschmann in einem Buch geschrieben, warum die | |
| Grünen nicht links sein können. Die Begrifflichkeit links/rechts ist doch | |
| heute in vielen Punkten nichtssagend geworden. Als links bezeichnen sich | |
| doch auch Menschen, die nicht im Alltagstrott und im Konsumschlamassel | |
| aufgehen, die kritisch nachfragen oder offener für Neues sind. Das können | |
| auch Leute sein, deren sonstige politische oder gesellschaftliche | |
| Auffassungen eher konservativ sind. | |
| Warum fühlen sich Umweltschützer immer als Opfer? | |
| Ist das denn noch so? Das Zauberwort der ökologischen Bewegung ist doch | |
| „Alternative“. Nicht nur gegen Atomkraft sein, sondern erneuerbare Energien | |
| voranbringen. Das ist ein großer Fortschritt gegenüber dem Lamento über | |
| Naturzerstörung im 19. Jahrhundert. | |
| Auf jeden Fall ist die Friedfertigkeit der Ökos trotz Brokdorf und | |
| Wackersdorf erstaunlich. | |
| Vor allem, wenn man sie mit früheren sozialen Bewegungen wie der | |
| Arbeiterbewegung vergleicht. Weltpolitisch betrachtet, fallen die großen | |
| Zeiten der grünen Bewegung in eine Zeit der Entspannung: 1945 nach dem Ende | |
| des Zweiten Weltkriegs, 1970 mit dem Tauwetter im Kalten Krieg, 1990 nach | |
| dem Fall der Mauer. Denken Sie an einen guten Namen, der das | |
| zusammenbringt: Greenpeace. Grün und Frieden. Dabei gäben manche grünen | |
| Ideologien es her, mit Menschenleben großzügig umzugehen. Da wird der | |
| Mensch als Krebsgeschwür der Erde bezeichnet. Aber das ist wohl auch eine | |
| Frage des Menschentyps. Ökos sind einfach keine Brutalos. | |
| Sie schreiben, eigentlich müssten Ökos Eltern sein. Denen geht die | |
| Verantwortung für die künftigen Generationen eher unter die Haut als | |
| Kinderlosen. | |
| Das ist natürlich schlecht für mich, ich habe keine Kinder. (lacht). Von | |
| der Theorie her stimmt das. Aber Kinderlose oder Singles haben einfach auch | |
| mehr Zeit. | |
| Merkt man das der ökologischen Bewegung an? | |
| Auf jeden Fall sieht man, dass die Rolle der Frauen in der Umweltbewegung | |
| sehr groß ist. Nach Fukushima waren es in Japan vor allem junge Mütter, die | |
| ihre Angst artikuliert haben. Das war auch so in den USA nach Harrisburg | |
| und in Deutschland nach Tschernobyl. Die Frauen halten den Laden zusammen. | |
| Trotzdem rede ich jetzt mit Ihnen, einem Mann. | |
| Ja eben. Die Programme, die Organisationskonzepte und die Bücher haben | |
| meistens die Männer geschrieben. Die Frauen haben dazu keine Zeit. Von | |
| meinen eigenen grünen Impulsen verdanke ich viele meiner Frau. Aber den | |
| dicken Wälzer habe ich geschrieben. | |
| 12 Apr 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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