# taz.de -- Genossen machen die taz: „Lohnarbeit ist Sklaverei“ | |
> Tom Hodgkinson ist Müßiggänger von Beruf. Im Bett liegen zu bleiben, sei | |
> genau so gut, wie zur Arbeit zu gehen, findet er – und kritisiert unsere | |
> Einstellung zur Arbeit. | |
Bild: Das Faultier im Menschen. | |
taz: Mr Hodgkinson, Sie sind schwer zu erreichen. | |
Tom Hodkinson: Ja, ich habe gestern noch in Frankreich einen Vortrag | |
gehalten und zehn Songs zur Ukulele vorgetragen. Natürlich über Faulheit. | |
Ist es nicht merkwürdig, so hart dafür zu arbeiten, dass andere Leute nicht | |
mehr hart arbeiten? | |
Ja, das fragt man mich, seit ich die Zeitschrift Der Faulenzer gegründet | |
habe. Das war auch sehr viel Arbeit für sehr wenig Geld. So wie meine | |
Faulenzer-Akademie hier. Ich träume davon, vom Buchhandel zu leben, weil | |
ich Bücher liebe. Aber in Zeiten von Amazon ist das fast unmöglich. Auch | |
das Café und die Kurse bringen fast nichts ein. Ich konnte letztes Jahr nur | |
durch einen Buchauftrag überleben, von einer Firma, die Elektro-Autos | |
herstellt. | |
Warum tun Sie sich diesen Stress an? | |
Das frage ich mich auch. Es ist verrückt. Aber auch ein großes | |
Missverständnis. Beim Müßiggang geht es nicht um ein angenehmes Leben. | |
Nicht mal um ein leichtes Leben. Vielleicht ist dein Leben sehr hart und du | |
hast kein Geld. Aber du bist frei. Du tust, was Dir Spaß macht. Darum geht | |
es, das hat schon Sokrates gelehrt. Auch Jesus hatte keinen Job. Lohnarbeit | |
ist Sklaverei. | |
Ihr Motto ist: Never, ever work! Muss das nicht zynisch klingen für all die | |
Leute in Spanien und Griechenland, die gerade ihre Jobs verloren haben? | |
So ist der Kapitalismus. Wer sich mit ihm einlässt, kommt darin um. Ich | |
habe immer gesagt: Verlasst euch nie auf euren Job. Euer Chef wird euch bei | |
der ersten Gelegenheit feuern. Unternehmen kennen keine Moral. Deshalb | |
geben wir hier auch Kurse für Existenzgründer. Schaffe dir deine eigene | |
Geldquelle! | |
Ich habe immer sehr viel gearbeitet. Und dann lese ich in Ihrem Buch: Du | |
hättest lieber im Bett bleiben und weiterschlafen sollen! | |
Na ja, ich bin Anarchist, ich sage niemandem, was er tun soll. Aber es gibt | |
in unserer Kultur nur noch eine einzige Einstellung zur Arbeit. Und das ist | |
falsch. Es ist genau so gut, im Bett liegen zu bleiben wie zur Arbeit zu | |
gehen. Faulheit ist menschlich – und produktiv. Denken Sie an John Lennon. | |
Er war sehr faul. Und sehr produktiv. Im Mittelalter wurden Leute | |
verachtet, die zu viel gearbeitet haben. Das ist uns völlig verloren | |
gegangen. | |
Vor der Reformation war alles besser? | |
Vieles. Es wurde weniger gearbeitet und mehr gefeiert. Es war verboten, | |
nachts zu arbeiten oder an den zahllosen Feiertagen. Bettler waren heilig, | |
keine Parasiten. Und dann kam Calvin mit seiner Arbeitsmoral. Damit begann | |
das ganze Elend. | |
Sie loben den Buddhismus. Ist nicht auch den Buddhisten Disziplin extrem | |
wichtig? | |
Na ja, inzwischen stehen meine Texte in buddhistischen Lehrbüchern. Moslems | |
sagen mir, ich wäre ein Sufi. Eigentlich bin ich ein mittelalterlicher | |
Christ. Aber inzwischen möchte ich ein römischer Stoiker sein: Lernen, das | |
Leben zu ertragen. Das wäre schon sehr viel. | |
Sie sagen, man soll seinen Wecker wegwerfen. Wie soll das gehen, wenn man | |
arbeitet und Kinder hat? | |
Ich habe 15 Jahre ohne Wecker gelebt. Aber ich muss beichten: Heute morgen | |
um halb sieben ging mein Wecker. Manchmal muss man auch die eigenen Regeln | |
brechen. Im Moment ist einfach höllisch viel zu tun. | |
Muss man nicht nach Tahiti auswandern, um unserer Arbeitsmoral zu | |
entkommen? | |
Ich glaube nicht. Man würde sich langweilen. Und unendlich fremd fühlen. | |
Ich bin ausgestiegen, indem ich mir dieses Bauernhaus in Devon in | |
Süd-England gemietet und Gemüse angepflanzt habe. | |
Sie empfehlen das Leben auf dem Land. Ist die Kulturlosigkeit dort nicht | |
schrecklich? | |
Sie ist schrecklich. Ein Nachbar von mir war noch nie in London. Und mein | |
großer Sohn wollte immer zurück in die Stadt. Seit er zwei war. Es war ein | |
Schock, als ich nach zehn Jahren auf dem Land meinen Buchladen hier in | |
London aufmachte. Ich stellte fest: Mit den Leuten, die hier reinkommen, | |
verstehe ich mich auf Anhieb. Ich war auch in einer | |
Anti-Flughafen-Kampagne, bis mir klar wurde: Hallo, Tom, du liebst es, nach | |
Berlin zu fliegen oder nach Paris. Was machst du hier? | |
In Ihrem Buch Leitfaden für faule Eltern schreiben Sie: Das Hauptproblem | |
mit unserer Kleinfamilie ist, dass sie einfach zu klein ist. Gibt es einen | |
Weg zurück zur mittelalterlichen Großfamilie? | |
Leider habe ich herausgefunden, dass die Familien im Mittelalter genau so | |
klein waren wie unsere. | |
Wie bitte? | |
Nicht auf dem Land. Aber in der Stadt. In Florenz um 1350 hätten wir | |
dasselbe Gespräch geführt wie jetzt. Ich dachte auch, in Südamerika würde | |
das Paradies der Großfamilie andauern. Bis mir ein Journalist aus Paraguay | |
erzählte, dort hätten sie auch alle nur zwei oder drei Kinder. Es ist ein | |
globales Problem. | |
Und wie kommen wir da raus? | |
Keine Ahnung! Ich hab’s versucht. Ich bin gescheitert. | |
Was passiert mit Sex in der Ehe? Vor allem, wenn man Kinder hat? | |
Darüber denke ich jetzt seit zehn Jahren nach. Frauen können mal so eben | |
vier, fünf Jahre ohne Sex auskommen. Wir nicht. Und dann schauen wir uns | |
um. Mit schlechtem Gewissen. | |
Und haben Affären. | |
Frauen haben auch Affären. Sie können sie nur besser verheimlichen. Und | |
haben kein schlechtes Gewissen dabei. | |
Ist die Ehe eine Fehlkonstruktion? | |
Absolut. Wir erwarten viel zu viel. Die Griechen unterschieden vier Arten | |
von Liebe: Eros, die Leidenschaft, Ludus, spielerische Liebe, Pragma, | |
gemeinsame Arbeit, und Philia, geschwisterliche Freundschaft. | |
Und unsere Ehe soll alles vier enthalten. | |
Genau. Das kann nicht klappen. Ich kenne keine einzige glückliche Ehe. Im | |
Mittelalter war Prostitution eine akzeptierte Lösung. | |
Nicht nur damals. Noch der Filmemacher Luis Buñuel hat offen von den | |
Bordellen Madrids in den zwanziger Jahren geschwärmt. | |
Das ist heute das größte Tabu überhaupt. Damit machen wir uns das Leben | |
unnötig schwer. Aber Eifersucht ist ein mächtiges Gefühl. | |
Lassen Sie uns über die Piraten sprechen. Was halten Sie davon, im Netz | |
solle alles umsonst sein? | |
Die Nerds, die das fordern, haben selber hochbezahlte Jobs als Webdesigner. | |
Und erwarten, dass wir Künstler umsonst arbeiten. Es ist grotesk. Diese | |
Typen geben sich libertär, aber eigentlich sind sie bloß Parasiten. | |
Lässt sich diese Bewegung noch aufhalten? | |
Na ja, historisch gesehen ist das Urheberrecht sehr jung. Der englische | |
Schriftsteller Samuel Johnson bekam regelmäßig Geld vom englischen König. | |
Voltaire war Aktienhändler. In Zukunft werden wir wohl vom Sponsoring leben | |
müssen. Und von Live-Auftritten. | |
Zuletzt noch eine Frage meiner Tochter, mit der ich über Ihre Bücher | |
gesprochen habe. Sie möchte wissen, was die glücklichsten Momente Ihres | |
Lebens waren? | |
(lacht) Sex, trinken, schreiben, reden. Manchmal hatte ich auch nach drei | |
Stunden Tanzen ein tiefes Glücksgefühl. Oder mit meinen Kindern. Am besten | |
ist das Lesen, weil man es – anders als Sex oder Trinken – den ganzen Tag | |
machen kann, sein Leben lang. Aber das ist eine gute Frage. Ich weiß gar | |
nicht, ob ich überhaupt noch an Glück glaube. Es gibt kein irdisches | |
Paradies. Es wird nie eins geben. Dein bester Freund kann morgen sterben, | |
und dein Leben ist zerstört. Das ist mir vor 15 Jahren passiert. Früher | |
dachte ich auch, meine Bücher würden eine Revolution auslösen. Leider ist | |
sie ausgeblieben. | |
Dies ist ein Text aus der Sonderausgabe „Genossen-taz“, die am 14. April | |
erscheint. Die komplette Ausgabe bekommen Sie am Samstag an Ihrem Kiosk | |
oder am [1][eKiosk] auf taz.de. | |
13 Apr 2012 | |
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## AUTOREN | |
Sören Sieg | |
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