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# taz.de -- Konsumforscher über Nachhaltigkeit: „Die meisten Kunden denken z…
> Einen Wagen für 50.000 Euro fahren, aber beim Einkaufen Schnäppchen
> jagen. Ein Gespräch über die Schizophrenien deutscher Verbraucher.
Bild: So lieben wir das: Mit dem Porsche zum Aldi.
sonntaz: Herr Burchardt, wann haben Sie zuletzt in einem Discounter
eingekauft?
Uli Burchardt: Noch nie. Ich gehe gelegentlich dorthin, um mir einen
Überblick zu verschaffen – dabei bleibt es dann allerdings auch.
Sie bezeichnen Supermarktketten als Ausbeuter und Selbstzerstörer. Müssen
Discounter-Kunden automatisch ein schlechtes Gewissen haben?
Ich will niemandem ein schlechtes Gewissen einreden. Da ich aber immer
wieder feststelle, dass viele Konsumenten die Zusammenhänge nicht
durchschauen, sehe ich es als meine Aufgabe an, die gravierenden Probleme
aufzuzeigen. Wenn jemand sich das anhört, zugleich mit den Achseln zuckt
und sagt, es sei ihm egal, er kaufe immer das billigste Produkt – bitte
schön! Der darf dann aber auch gern ein schlechtes Gewissen haben.
Schließen sich Discounter und Qualität aus?
Ich würde das gern allgemeiner fassen: Ich schließe aus, dass ein
Discountkonzept ein Qualitätskonzept sein kann. Discount ist eine
Wertvernichtungsstrategie. Und ich sage: Qualität kann nur etwas sein, das
nachhaltig ist. Wertvernichtung kann nicht nachhaltig sein.
Sie schreiben in Ihrem Buch, das Kaufverhalten der Deutschen sei
schizophren. Sie würden Umweltbewusstsein und Fairness propagieren, kauften
aber Schweinenackensteaks für 2,88 Euro und Winterjacken für 19,90 Euro.
Wie erklären Sie sich das Verhalten der Kunden?
Die Lidl-Leute, um nur ein Beispiel zu nennen, wissen genau, wie sie die
Menschen in ihre Läden bekommen. Die beherrschen ihr Handwerk perfekt.
Aufseiten vieler Kunden hat das offensichtlich mit mangelhafter Reflexion
zu tun. Sie sehen auf einem Schild „Minus 10 Prozent“ und denken sich
„Superangebot!“. Genau diese Haltung kritisiere ich, eine Haltung nach dem
Motto: „Ich bin doch nicht blöd und gebe für meine Wurst soundso viel aus,
wenn ich sie bei X oder Y billiger bekommen kann.“
Die Zahl der befristeten Arbeitsverträge steigt seit Jahren, fast parallel
steigt auch die Zahl der von Armut bedrohten Menschen. Ist das derzeitige
Angebot nicht die optimale Orientierung am Kunden?
Natürlich ist es ein Problem, dass derart viele Menschen mit dem Cent
rechnen müssen. Die Discounter mit ihren Billigprodukten haben deshalb auch
eine gewisse Existenzberechtigung, das gebe ich zu. Dieses Problem bewegt
sich allerdings außerhalb meines Themenkreises, wir sprechen hier
schließlich über einen Bruchteil unserer Gesellschaft.
Wir sind eine der reichsten Volkswirtschaften der Welt! Wenn wir nicht
fähig sind, uns von hochwertigen Produkten zu ernähren, wer dann? Der Blick
über den Aldi-Parkplatz zeigt uns: Es ist durchaus üblich, einen VW-Passat
im Wert von 50.000 Euro zu fahren und seine Lebensmittel im Discounter zu
kaufen. Und: Dass es so viele Menschen gibt, die an der Armutsgrenze leben,
hängt ganz sicher auch mit der Geizmentalität in Deutschland zusammen.
Auf der einen Seite ein extrem hoher Anspruch an Produkte und deren
Wirkung, auf der anderen Seite die Suche nach Schnäppchen?
Diese Leute sind die, um die es mir an erster Stelle geht: die A8- oder
Cayenne-Fahrer, die beim Discounter kaufen. Ich gebe Ihnen recht, es gibt
in unserer Gesellschaft mehr arme Menschen als noch vor einigen Jahren.
Genau diese Fakten stützen aber auch meine Thesen. Denn warum gibt es immer
mehr Menschen in Zeitarbeit? Weshalb gibt es immer mehr Freiberufler, die
von ihrer Arbeit lediglich gerade so leben können? Weil alles maximal
ausgepresst wird. Wir landen stets wieder bei der Nachhaltigkeit.
Sie meinen also, es sei auch eine Folge des starken Preiskampfes, dass
bestimmte Gruppen gar nicht mehr in der Lage sind, am System teilzunehmen?
Zum Teil, ja. Innerhalb der großen Unternehmen wird ja ebenfalls gegeizt,
da werden mit allen möglichen Mitteln Kosten gedrückt. Die Folge: Die
Bevölkerungsschicht, die in großer Unsicherheit lebt und mit wenig Geld
auskommen muss, wird zwangsläufig immer größer. Alles orientiert sich an
der Rendite. Dafür gibt es aus meiner Sicht allerdings überhaupt keinen
vernünftigen Grund. Und ich meine das wörtlich: keinen.
Viele Unternehmer lassen sich auf den Preiskampf ein, sie fühlen sich zu
diesem Schritt gezwungen.
Es ist eine Polarisierung der Märkte erkennbar, die zulasten der Mitte
geht. Die Anbieter in den obersten Segmenten, die Luxusartikelhersteller,
haben ebenso Erfolg wie die Discounter. In der breiten Mitte herrscht
deshalb große Ratlosigkeit. Unternehmer haben das Gefühl, sie müssten sich
entscheiden – oben oder unten? Eine mögliche dritte Variante wird leider
ausgeblendet, die meisten wählen daher die zweite. Die Folge davon: Vieles
wird immer billiger. Und schlechter.
Sehen Sie nicht – wie einige Experten – den Trend einer Abkehr von der
Geizmentalität?
Derzeit passiert zweierlei. Es gibt eine Minderheit in der Gesellschaft,
die sagt: „Ich will diesen Geizkram, diese Billigmaximierung nicht mehr
mitmachen.“ Das sind Menschen, die die Begleiterscheinungen der Entwicklung
wahrnehmen und darin ein großes Problem sehen. Für die Masse allerdings
geht die Billig-Entwicklung immer weiter.
Könnte nicht die Politik – ähnlich wie im Feld der Energiepolitik – Anrei…
schaffen, um Qualitätsstandards zu schützen?
Fragen Sie mich jetzt, ob ich das für richtig hielte oder für realistisch?
Beides. Denn Sie sagen ja: Passiert nichts, fährt das System gegen die
Wand.
Unsere Politiker sprechen ja gern über die Menschenrechte, diesen Punkt
erwähnen sie sehr häufig, das klingt auch meistens gut und richtig. Schauen
wir uns allerdings die Arbeitsbedingungen in Bangladesch oder Indien an,
also in Ländern, in denen die Discounter einige ihrer Waren produzieren
lassen, so sehen wir katastrophale Arbeitsbedingungen und Ausbeutung pur.
Das sind Bilder, die zumeist nur die logische Folge unserer Schnäppchenjagd
sind. Ich fände es daher gut, wenn sich die Bundesregierung in diesem Punkt
klar positionieren würde. Realistisch ist das allerdings schon deshalb
nicht, weil mit dem ganzen Kram verdammt viel Geld verdient wird, und zwar
in allen Wertschöpfungsstufen.
Ein Blick in die Zukunft: Welche Rolle spielen Discounter in zwanzig
Jahren?
Sie werden zusammengeschrumpft sein auf eine Größenordnung, in der sie
lediglich ein Marktsegment bedienen. Sie werden alles auf die Karte
„billige Lebensmittel“ setzen. Die Discounter werden in große
Schwierigkeiten geraten, davon bin ich überzeugt. Das Beispiel Schlecker
hat uns zuletzt einen Vorgeschmack gegeben. Zu dem Zeitpunkt war das Buch
leider schon fertig geschrieben.
Das Schlecker-Image ist offenbar nicht mehr zu retten?
Es ist ein Paradebeispiel. Hier wurde so lange gemolken, bis ein Point of
no Return überschritten war. Der Ruf ist derart ramponiert, unglaublich.
Alle Leute, die ich frage, auch Nichtfachleute, reagieren auf die
Schlecker-Insolvenz stets mit zwei Aussagen. Erstens: Es ist wahnsinnig
schade für die Menschen, die ihre Arbeit verlieren. Zweitens: Es freut mich
diebisch, dass die Strategie dieser Ausbeuter gescheitert ist.
Aufgrund der vielen Tricks, die Stück für Stück aufgedeckt wurden, hat die
Marke einen derart großen Imageschaden erlitten, dass es meiner
Einschätzung nach beinahe unmöglich ist, dieses Unternehmen wieder in die
Erfolgsspur zu bringen.
15 Apr 2012
## AUTOREN
Manuel Schumann
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