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# taz.de -- Walter Sittler über Kicks und Lügenpack: „Gesocks, weg mit dem!…
> Der Schauspieler Walter Sittler über die gemischten Erfahrungen mit
> seinem bürgerschaftlichen Engagement im Widerstand gegen Stuttgart 21.
> Und über Klientelbefriedigung.
Bild: Hach, ein schöner Mann (einhellige Meinung der Online-Redakteurinnen)!
taz: Herr Sittler, jahrelang dachte man bei Ihrem Namen an
Fernsehunterhaltung mit Mariele Millowitsch – dann wurden Sie Gesicht einer
Bürgerbewegung. Was hat Sie entzündet?
Walter Sittler: Das war kein bestimmter Vorfall und keine Entscheidung. Es
ging im Herbst 2009 los, als der Umweltverband BUND mich fragte, ob ich
nicht bei einer Aktion gegen Stuttgart 21 mitmachen wolle. Ich sagte: Ja,
klar. Und dann wurde es immer mehr.
Warum kam Ihr Schritt vom eher privaten Menschen zum Zoon politicon durch
ein Bahnhofsprojekt? Es gab und gibt größere Probleme.
Tja. S 21 war so eindeutig falsch. Und es ging so eindeutig nur darum, dass
einige Leute Geld verdienen und es für fast alle anderen ein Verlust ist.
Vielleicht war es das.
Das ist doch business as usual. Das hat die alte Macht in Baden-Württemberg
so verblüfft: Wir machen das doch immer so, warum regen sich die Leute
jetzt plötzlich auf?
Es wurde einfach zu viel. Man hatte schon länger den Eindruck: Sie
probieren, wie weit sie gehen können. Beim Bahnhof war einfach eine Grenze
erreicht.
Sie redeten dann bald vor zehntausenden Demonstranten. Muss berauschend
sein?
Nein, es ist nicht mal so, dass es mir wichtig ist, ich tue das, weil sich
das ergeben hat.
Es braucht auch einen persönlichen Kick, um sich für eine Sache zu
engagieren. Was war das bei Ihnen?
Der Kick war, dass ich glaubte, dass wir eine falsche Entscheidung
revidieren können. Das war ein Irrtum, wie wir heute wissen.
Und nun halten manche Leute Sie für einen Wichtigtuer.
Wenn man sich öffentlich engagiert, gibt es immer auch Leute, die sagen:
Was ist das für ein Idiot! Und andere, die sagen: Der gefällt mir. Das
wusste ich vorher schon. Ich hatte allerdings nicht mit der Heftigkeit der
Reaktion unserer gewählten Vertreter gerechnet. Da fehlte teilweise der
Stil.
Ein Politiker der CDU hat Sie als „drittklassigen Schauspieler“ abgewertet,
der „endlich die Schnauze halten“ solle.
Was wir und auch ich nicht bedacht haben: Es nutzt nichts, als einfacher
Bürger die nachweisbar richtigen Argumente zu haben, wenn du einer
Koalition aus politischer und wirtschaftlicher Macht gegenüberstehst, die
etwas durchsetzen will. Da verlierst du. Die Regeln sind irrational, aber
man muss sie kennen, sonst geht man unter. Aber wir sind kein Land, das
einen Aufstand braucht, überhaupt nicht. Wir haben keine Diktatur der
Politik oder der Wirtschaft, wir haben eine Übermacht der Politik und
Wirtschaft, aber wir sind nicht handlungsunfähig.
Was muss passieren?
Wir brauchen, das sagt sich so leicht, Respekt für den Andersdenkenden. Das
ist in jedem Lebensbereich verloren gegangen. Schon wenn einer falsch um
die Ecke geht, kriegt er hasserfüllte Blicke. Wir haben einfach keine
Lässigkeit.
Wahrlich nicht.
Diese Lässigkeit brauchen wir aber, um in Ruhe reden zu können und zu einem
Ergebnis zu kommen. Das ist dann vielleicht nicht das Allerbeste, aber auch
niemals das Schlechteste. Hier in Stuttgart haben wir jetzt die
allerschlechteste Lösung. Wir müssen dahin kommen, dass die
Verantwortlichen nicht glauben, dass wir doof sind – und wir nicht glauben,
dass wir uns in jedem Fall durchsetzen können, nur weil wir die richtigen
Argumente haben.
Was werfen Sie sich vor?
Ich will nicht sagen, dass wir schuld sind, aber wir haben zum Teil die
Rechthaberei der Bahn übernommen. Und selbst wenn alle Fakten für die
eigenen Argumente sprechen, darf man nicht ständig Lügenpack-Chöre auf die
Gegner anstimmen. Und die anderen dürfen nicht sagen, man sei ein
dahergelaufener, arbeitsloser Berufsdemonstrant. So kann man nicht
miteinander umgehen. Sie lügen ja auch nicht dauernd bei der Bahn. Das
Problem ist, dass sie das wirklich glauben. Aber wir haben mit dazu
beigetragen, dass die Politik mehr auf die Bürger zuzugehen, hier in
Stuttgart ist es noch schwierig, aber um Stuttgart herum, im ganzen Land.
Das ist gut.
In der FAZ hieß es: Hilfe, jetzt retten Schauspieler die Welt. Gemeint
waren der Klimaschützer Hannes Jaenicke und Sie.
Die FAZ ist ja eine konservative Zeitung und so etwas passt nicht in ihr
Weltbild. In ihrer Welt haben die gewählten Politiker die Weisheit, uns
richtig zu regieren. Sie können es nicht ertragen, wenn man diese klare
Hierarchie und Ordnung zugunsten einer durchlässigeren Ordnung auflösen
will.
Die Mediengesellschaft ist besessen von Schauspielern, will alles Private
von ihnen wissen.
Ja.
Doch in dem Moment, in dem Sie sich gesellschaftlich einbringen, sollen Sie
gefälligst den Mund halten?
Wir sind in einer Zeit des Spezialistentums. Wenn jemand seinen schmalen
Bereich gut macht, ist alles in Ordnung. Wenn man sich aber breiter
aufstellt, dann löst das offenbar Verwirrung aus: Wer ist das, was macht
der da, wieso macht der das? In Amerika passiert das ständig: kein Problem.
Wir aber kriegen sofort Ordnungsverlustängste. Die Zeitungen auch; klar,
die sind ein Spiegel der Gesellschaft. Und die Politiker auch. Tenor: Das
war doch so schön eingekastelt, so soll es auch bleiben.
Da ist etwas in Unordnung geraten – einige finden das gut, und viele
verunsichert das. Und da gehört der sich engagierende Schauspieler dazu.
Wenn man immer der nette Schwiegersohn war und schon immer eine Meinung
hatte, aber die nicht veröffentlichte und das nun macht, dann fallen manche
aus allen Wolken und sagen: Der soll seinen Text lernen und ansonsten die
Schnauze halten. Ich bin da für ein bisschen kreative Anarchie.
Ihr Kollege, der Kölner Tatort-Kommissar Dietmar Bär, sagt, als
Schauspieler sei er ein „Medium“. Er lade sich mit fremden Inhalten auf und
kommuniziere sie.
Das ist die öffentliche Person, die wahrgenommen wird. Die eigene, echte
ist dahinter gar nicht sichtbar. Als Schauspieler verkörpere ich etwas. Und
die Leute denken, sie kennen mich.
Und nun haben Sie sich wirklich kennen gelernt?
Das ist die Überzeugung, die ich habe. Natürlich ist das auch eine Rolle.
Aber das Entscheidende ist, dass ich sie mir selber schreibe. Aber bin ich
deswegen ein Faschist, Alt-Stalinist oder arbeitsloser Berufsdemonstrant?
Warum arbeitsloser Berufsdemonstrant?
Wer keine Arbeit hat im calvinistisch geprägten Südwesten, den hat Gott
fallen lassen, ganz salopp gesagt.
Warum Alt-Stalinist?
Hab ich auch nicht verstanden. Ich war auch die 5. Kolonne der DDR. Aber
darum ging es gar nicht. Es ging darum, eine private Person, die sich
öffentlich zu einem unsauberen Projekt äußert, zu desavouieren.
Der CDU-Generalsekretär Thomas Strobl hat Sie als Propagandisten geschmäht,
der in den Fußstapfen eines Nazi-Propagandisten wandele, in denen Ihres
Vaters: Wie haben Sie das weggesteckt?
Schlecht. Zu der Zeit war ich eh angeschlagen, weil wir schon so wahnsinnig
viel verloren hatten. Das hat einen Tag gedauert, bis mir klar war, dass
das nur etwas darüber aussagt, wie Herr Strobl mit politischen Gegnern
umgeht, und nichts über mich. Oder meinen Vater.
Sie nahmen dennoch die Entschuldigung von Thomas Strobl an. Warum?
Ich kämpfe nicht gegen Leute, ich kämpfe gegen falsche Entscheidungen. Da
unterscheiden wir Bürger uns von manchen Politikern, die eine Person
vernichten, um das zu bekommen, was sie wollen.
War das denn Strobl nicht in einem spontanen Moment rausgerutscht?
Nein, das war geplant, stand auch noch lang hinterher auf seiner
Internetseite und das hatte Wirkung. Bis heute. Aber die Zustimmung ist
sehr viel größer, das merke ich immer wieder. Vor allem von Leuten, die
Engagement von anderen respektieren, die in ihren Augen etwas zu verlieren
haben.
Andere S-21-Protagonisten hatten mit Unmengen von Hass-Mails klarzukommen.
Sie auch?
Ja.
Das kann man doch psychisch nicht einfach wegklicken, das macht doch etwas
mit einem?
Ja, man wird erwachsen. Man weiß, dass es Schläge gibt, dass es weh tut,
aber man lernt auch, dass es wieder weggeht und dass man in den Knien weich
bleiben muss, damit man nicht umfällt. Man lernt, wie es ist, wenn man
nicht geliebt wird. Und das ist für Schauspieler schwer, denn wir wollen
gemocht werden. Es war eine gute Lektion.
Bekommt man kein negatives Menschenbild, wenn man Menschen auf so eine Art
kennen lernt?
Nein, aber es erweitert das Menschenbild, es wird klarer. Durch meinen
Beruf habe ich mir angewöhnt – und das brauche ich dafür auch –,
rauszukriegen, warum Leute etwas machen. Ich verachte sie nicht, ich will
sie verstehen. Vielleicht muss ich eines Tages Peter Hauk …
… den baden-württembergischen CDU-Fraktionschef …
… im Film spielen. Dazu muss ich ihn verstehen. Man sieht auch, was für
arme Schweine manche menschlich sind, dass sie so handeln müssen. Dass sie
das brauchen, um Stärke zu signalisieren, die keine Stärke ist. Da ist ein
Mitleid angebracht; allerdings kein warmes, sondern ein kühles Mitleid. Es
ist jedenfalls eine interessante Entwicklung, dass man einerseits von
gewählten Volksvertreten als niederstes Gesocks beschimpft und andererseits
vom regierenden Ministerpräsidenten eingeladen wird.
Gab es einen Punkt, wo Sie zurückhauen oder aufgeben wollten?
Wer zurückhaut, ist in der Reaktion. Das bringt nichts. Ich will in der
Aktion sein. Aber 2010 im Herbst wäre ich fast ausgestiegen.
Weil es zu viel wurde?
Ja, als der Nordflügel des Bahnhofs fiel und dann Widerwärtigkeiten kamen
wie die Strobl-Geschichte. Da dachte ich ans Aufgeben. Aber dann wurde mir
klar: Ich mach es ja nicht für ein Amt oder weil ich einen persönlichen
Vorteil davon habe.
Sondern?
Weil ich überzeugt bin, dass wir hier sind, um es uns gegenseitig leicht zu
machen, uns gegenseitig zu unterstützen.
Das ist der Lebenssinn?
Ja. Deswegen machte ich weiter. Deshalb mag ich im Grunde auch den
philosophischen Ansatz von Ministerpräsident Kretschmann. Er hat eine Sicht
auf die Dinge jenseits der Fragen der Bezahlbarkeit und
Klientelbefriedigung. Nur fehlt mir bei Kretschmann manchmal die Umsetzung.
Da gibt es in meinen Augen noch Verbesserungsmöglichkeiten.
Sehen Sie das früher gern verhöhnte Stuttgart inzwischen anders?
Auf jeden Fall. Ich habe ein Stuttgart kennen gelernt, von dem ich hoffte,
dass es das vielleicht gibt, und dann gemerkt habe, dass es wirklich da
ist. In dieser Bewegung haben sich Leute kennen gelernt, die sich sonst nie
getroffen hätten. Das erweitert den Blick doch erheblich.
Sind Sie neu vernetzt?
Oh, ja. Ich habe jede Menge Leute kennen gelernt, die jenseits dessen, dass
sie für ihr eigenes Auskommen sorgen müssen, auch noch einen Blick nach
draußen haben. Architekten, Rechtsanwälte, Lehrer, die Schriftsteller
Schorlau und Steinfest und viele mehr: ein Haufen toller Leute aus allen
möglichen Schichten. Wähler aller Parteien übrigens.
Aber generell ist es schon besorgniserregend, wie wenig entspannt das linke
und das rechte Bürgertum miteinander umgehen.
Da haben Sie Recht, das spiegelt auch den Zustand der Gesellschaft wider.
Da müssen wir schauen, wir wir das auflösen und in dieser aktiven
Bürgerbeteiligung, die wir wollen, entspannter werden. Ministerpräsident
Kretschmann ist in dieser Beziehung relativ entspannt. Aber noch nicht
wirklich wirkungsvoll.
Sie haben den von Grün-Rot eingebrachten Volksentscheid dann doch deutlich
verloren gegen den Teil der Bürger, der S 21 unterstützt.
Wir hatten keine Chance. Wenn man einen Volksentscheid macht, müssen beide
Seiten die gleichen Mittel haben, ihre Argumente zur Verfügung zu stellen.
Wenn die eine Seite viel Geld hat und die andere Seite keins, dann ist es
nicht fair. Das muss künftig aus Steuergeldern finanziert werden, sonst
geht das nicht. Die Sache war dermaßen unfair, dass man verzweifeln könnte.
Tu ich aber nicht.
Hat sich beruflich für Sie etwas verändert?
Ich denke nicht. Ich mache das, was ich vorher auch machte. Ich bin mit
meinen Theaterabenden viel unterwegs. Einige kommen wegen Stuttgart 21
nicht mehr in die Vorstellungen. Aber dafür sind andere hinzugekommen. Es
gibt bestimmt Firmen, die sagen: Für unsere Filme nehmen wir den nicht
mehr. Aber das nehme ich in Kauf. Die Welt ist auch anderswo.
Gesellschaftliches Engagement gehört in Deutschland nicht zum
Tugendkatalog, sondern wird lieber unter Verdacht gestellt.
Es gilt seltsamerweise stets als unlauter. Aber danach kann ich mein
Verhalten nicht ausrichten. Ich will in diesem Punkt niemandem gefallen,
ich will in aller Ruhe etwas verfolgen, was ich für richtig halte. Schlimm
wäre es, wenn man deswegen Berufsverbot bekäme. Das haben wir aber nicht.
Wenn jemand mich engagiert und dann doch nicht mehr haben will, dann zahlt
er Konventionalstrafe und dann treten wir woanders auf.
Ist Ihnen das passiert?
Ja, das ist passiert. Eine große Firma hat unser Engagement abgesagt, weil
ein äußerst potenter Kunde drohte, seine Aufträge zu stornieren, wenn ich
da spiele, also offenbar jemand, der glaubt Wohlverhalten kaufen zu können
– wie aus dem letzten Jahrhundert. Die Leitung des Unternehmens hat sich
dann Karten für eine normale Vorstellung gekauft. Aber das war ein
einmaliger Fall. Und ich verstehe auch, dass eine Firma nicht ihren Bestand
riskieren kann. Das sollte man wahrnehmen, aber nicht überbewerten.
Dies ist ein Text aus der Sonderausgabe „Genossen-taz“, die am 14. April
erscheint. Die komplette Ausgabe bekommen Sie am Samstag an Ihrem Kiosk
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13 Apr 2012
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## AUTOREN
Peter Unfried
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