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# taz.de -- Genossen machen die taz: Warum denken wir, wie wir denken?
> Politische Psychologie zwischen Topfpflanzen, Putzmitteln und Alkohol.
Bild: Linke sollen besseren Sex haben. Topfpflanzen auch?
Schaun Sie sich bitte um: Was für Pflanzen sehen Sie in Ihrer direkten
Umgebung? Davon könnten Ihre politischen Überzeugungen abhängen. Absurd?
Menschen glauben viel stärker an die globale Erwärmung, wenn sie in einem
Raum befragt werden, in dem eine vertrocknete Topfpflanze steht.
Was bestimmt unsere politischen Ansichten, wie fest oder wie beeinflussbar
sind sie? Und wie hängen sie mit unserer Persönlichkeit zusammen? Vor allem
in den USA gibt es eine relativ neue Forschungsrichtung, die politische
Psychologie. Für diese Sonderausgabe der taz habe ich ein paar meiner
Lieblingsstudien zusammengesucht: über Gummibäume und globale Erwärmung,
Jutetaschen und gute Taten sowie über Alkohol, der uns konservativer macht.
Zurück zur Forschung: Studierende füllten Fragebogen aus zu ihren
Überzeugungen. „Ich habe den Eindruck, dass es heute heißer ist als
früher“, oder: „Ich bin sicher, die globale Erwärmung findet bereits
statt“. Die Gruppe, in deren Raum eine vertrocknete Pflanze stand, stimmte
diesen Aussagen deutlich vehementer zu als die Kontrollgruppe. Wie erklärt
sich dieser moderne Voodoozauber? Unsere Gedanken sind nicht so frei, wie
wir gerne denken. Unser Gehirn kennt keine Schubladen, aus denen man seine
fertigen Konzepte zieht.
Es ist ein assoziatives Netzwerk, wo der vorherige Gedanke eine Kette von
Nervenzellen schon voraktiviert hat und damit den nächsten Gedanken prägt.
Ein beliebter Psychospruch der 80er Jahre war ja: „Sei einfach du selbst.“
So einfach ist das ja bekanntlich gar nicht. Was ist denn mein wahres
Selbst? Das „Kurz-nach-dem-Aufwachen“-Selbst hat mit dem vom Vorabend doch
praktisch keine Ähnlichkeit. Meiner Mutter erzähle ich andere Geschichten
als meiner besten Freundin, und auf dem Berg denke ich anders als in der
U-Bahn. Wir sind immer vernetzt, unser Hirn ist ein offenes WLAN, nach
außen und innen.
## Spreading Activation Theory
Dieses „Priming“ laut „Spreading Activation Theory“ passiert oft, ohne …
wir es mitbekommen. Deshalb ist es eben nicht egal, womit wir uns umgeben,
was wir lesen. Und wo. Und erst recht nicht, wo Klimakonferenzen
stattfinden! Kein Wunder, dass da in Kopenhagen nichts herausgekommen ist.
Wer da aus den klimatisierten Räumen abends – diesig, kalt, regnerisch – in
sein Hotel lief, musste doch geradezu denken: „Och – zwei Grad wärmer,
hätte ich eigentlich nichts dagegen“. Warum findet die nächste
Klimakonferenz nicht in der Sahara statt? Zwischen toten Yuccapalmen?
Daniel Gilbert, ein brillanter Emotionspsychologe aus Harvard, meint, wir
sind evolutionär darauf getrimmt, auf unmittelbare Gefahren zu reagieren,
nicht auf abstrakte. Jeder rennt, wenn das Haus lodert. Auf drohende lokale
Erwärmung reagieren wir sehr viel schneller als auf die globale. Dazu ist
ja morgen auch noch Zeit.
Was bringt es, sein Konsumverhalten zu ändern? Und wie ändert das
Konsumverhalten uns? Werden wir, wenn wir gerade ein „grünes“ Produkt
gekauft haben, auch sozial zu besseren Menschen? Das peinliche Fazit: Just
wenn man etwas erstanden hat, was einem ein gutes Gewissen macht,
verrechnet man das in seiner privaten Umweltbilanz – und verhält sich
danach egoistischer!
Auch Fleischesser sind ja nicht per se alle böse Menschen. Klar ist es für
die Welt und uns gesünder, weniger Fleisch zu essen. Vorschlag: Nicht
moralisch, sondern ganz praktisch die versteckten Kosten unserer Nahrungs-,
Kühl- und Supermarktketten vor Augen führen. Ab sofort gibt’s zu jedem Kilo
Fleisch automatisch die 10 Kilo Gülle, die bei der Produktion entstanden
sind, dazu.
Sich mehr Gedanken zu machen als andere macht nicht unbedingt glücklicher.
Damit komme ich zum wunden Punkt der politischen Psychologie. Sie
behauptet: Linke sind unzufriedener als Konservative. Mit Recht?
## Linke haben mehr Sex
In den USA sind diese Dinge sehr viel besser erforscht, es ist auch
einfacher. Man ist entweder Demokrat oder Republikaner, liberal oder
konservativ. So etwas Verwirrendes wie die Piraten gibt es da (noch) nicht.
Setzt man Persönlichkeitstests mit politischer Orientierung in Beziehung,
kommen ulkige Zusammenhänge zutage: Konservative sind eher extrovertiert,
gewissenhaft und selbstdiszipliniert. Linke sind eher offen für Erfahrung,
kooperativer und verträglicher. Konservative haben aufgeräumtere
Schreibtische und verwenden mehr Putzmittel! Dafür haben Linke mehr Sex.
Konservative lieben Oper, Linke Jazz. Alles Zufall?
In der „World Value Survey“ mit 90.000 Testpersonen aus über 70 Ländern
inklusive Deutschland gab es keine Ausnahme: Je weiter links eine Person
politisch steht, desto unglücklicher ist sie. Sind Linke einfach
unzufriedener, weil sie weniger verdienen, seltener heiraten und lieber auf
die Straße als in die Kirche gehen? All diese Faktoren spielen keine Rolle,
sondern es liegt offenbar an einem zentralen Denkmuster: Konservative haben
ein höheres Bedürfnis nach klaren, einfachen und sicheren Antworten
(cognitive closure). Linke freuen sich an neuen Gedanken (need for
cognition), unabhängig von der Intelligenz. Linke sehen Ungerechtigkeit als
Handlungsaufforderung, sie auszurotten. Konservative erkennen darin die
Bestätigung ihrer Weltsicht, dass Fleiß und Talent belohnt werden.
Die unglücklichsten Staaten sind die Diktaturen, die instabilen und die
postsozialistischen. Ungleichheit macht Europäer übrigens unglücklicher als
die Menschen in den USA, vermutlich weil Amerikaner aus Tradition mehr
daran glauben, dass jeder es zu etwas bringen kann. Man ahnt, warum große
Koalitionen sich selten großer Beliebtheit erfreuen – wenn sich der
Starrsinn der Konservativen mit dem Missmut der Sozialdemokraten verbindet
und sich alle wundern, warum es nicht vorangeht. Noch nicht mal in die
falsche Richtung.
Und der letzte Wermutstropfen: Alkohol macht konservativ! Wer nüchtern noch
die Welt verändern wollte und linke Positionen befürwortete, wird mit jedem
Promille konservativer. Das ist keine Stammtischparole, sondern
Wissenschaft. Psychologen der University of Arkansas ließen 70
Kneipengänger ihre politischen Grundeinstellungen bekennen – und
anschließend in einen Alkoholtester pusten. Ihr ernüchterndes Ergebnis:
Wenn mit steigendem Alkoholgehalt das Denken langsamer und anstrengender
wird, findet man die Welt, wie sie ist, immer besser und bejaht Aussagen
wie: „Wenn man versucht, Dinge zu ändern, wird es meistens schlimmer als
vorher.“
Einen Gegenentwurf zu denken braucht Hirnschmalz, und die Fähigkeit dazu
leidet mit jeder Ablenkung und dem Alkoholpegel. Man kann sich nicht nur
die Umstehenden in der Kneipe schöntrinken, sondern auch die Umstände in
der Gesellschaft. Die Untersuchung wirft ein neues Licht auf Politiker und
Promille, auf Wahlen und Prozente. Wer hätte das gedacht: Grüne werden
durch Rotwein nicht blau, sondern schwarz!
QUELLEN: N. Guéguen: „Dead indoor plants strengthen belief in global
warming“, in: Journal of Environmental Psychology 2012; Nina Mazar, Chen-Bo
Zhong: „Do Green Products Make Us Better People?“, in: Psychological
Science, August 27, 2009; Barry R. Schlenker: „Conservatives are happier
than liberals, but why? Political ideology, personality, and life
satisfaction“, in: Journal of Research in Personality, 2011; Scott Eidelman
et al.: „Low-Effort Thought Promotes Political Conservatism“, in:
Personality and Social Psychology Bulletin 2012.
15 Apr 2012
## AUTOREN
Eckart von Hirschhausen
## TAGS
Schwerpunkt Genossen machen die taz
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