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# taz.de -- Kenne, wen du isst: Der Wurst ein Gesicht geben
> Ein Landwirt und ein Student bekleben Wurstgläser mit Bildern der
> verarbeiteten Schweine. Die Kunden soll das zu bewusstem Fleischkonsum
> anregen.
Bild: Wo Schwein draufsteht, soll auch Schwein drin sein - und zwar dasselbe.
Der Himmel ist wolkig, die zweistellige Temperatur macht auf Frühling und
auf der weitläufigen Weide tummeln sich zahlreiche Schweine. Sie fressen
die Gräser, wühlen im Boden und nehmen Bernd Schulz das Pflügen ab. Der
Ökobauer betreibt im brandenburgischen Gömnigk bei Brück auf fast 35 Hektar
eine Zucht für Freilandschweine. Das Besondere: Der Weg der Schweine vom
Leben in den Tod kann bis zum Foto auf dem Deckel des Wurstglases
nachvollzogen werden – auf dass der Mensch weiß, was er isst.
Schulz trägt Schnurrbart, Arbeitsklamotten und Hut. Er sucht und findet in
der Herde rasch „Schwein 7“ – leicht zu erkennen an der lila Sieben auf d…
Flanken. „Muttmuttmutt“, ruft er und lotst das Tier mit
Schweineflüsterersprech routiniert und gelassen in einen Hänger, der mit
frischem Stroh ausgelegt ist. „Schwein 7“ schnuppert neugierig, wälzt sich
zufrieden und ahnt nichts Böses. Bald jedoch beginnt für das 130 Kilo
schwere Tier die letzte Reise: Schulz transportiert das Schwein zu einem
Lohnschlachter ein paar Dörfer weiter.
Und dann erinnert nur noch ein Foto von „Schwein 7“ an ein zehn Monate
dauerndes, sorgloses, stressfreies und gesundes Schweineleben, das ein
Stromschlag und ein Stich in die Halsschlagader beenden. Das Bildchen klebt
auf den Etiketten von über 250 Gläsern mit Sülze, Mett, Rot- und Leberwurst
und luftgetrockneten Würsten – dem Ergebnis der Warmschlachtung von
„Schwein 7“.
Wurst mit Gesicht – das klingt je nach Humor makaber bis witzig. Das Ganze
hat jedoch einen ernsthaften Hintergrund: „Der Mensch hat den Bezug zu
Lebensmitteln und deren Herstellung verloren. Dafür möchte ich das
Bewusstsein schärfen“, sagt Dennis Buchmann, der bei der
Internet-Spendenplattform „betterplace lab“ arbeitet und die Idee für das
Projekt hatte. Nebenbei nämlich besucht der 34-Jährige die Humboldt
Viadrina School of Governance, an der es auch um das Engagement Einzelner
in der Zivilgeselschaft geht.
## Wertschätzung steigern
Im Studium entstand auch die Idee für „Meine kleine Farm“, einen Onlineshop
für bewussten Fleischkonsum. Buchmann will die Wertschätzung für Tiere
steigern – und gleichzeitig eine Diskussion anstoßen, bei der jeder
Fleischesser seinen Fleischkonsum hinterfragt. Trotz der hohen Kosten sei
Fleisch hierzulande konkurrenzlos günstig, weil die Hersteller fast
ausschließlich auf industrielle Massentierhaltung setzten, sagt Buchmann:
„Das finde ich unwürdig.“
Mit diesem Spruch „Wir geben Fleisch ein Gesicht“, der in schweinchenrosa
auf seiner Homepage „Meine kleine Farm“ steht, überzeugte Buchmann Ende
vergangenen Jahres Landwirt Schulz davon, dass dieser ihm für sein Projekt
im Biowurstgeschäft Schweine nach Bedarf verkauft. Der Bauer, der seine
Freilandschweineanlage mit 200 Tieren südwestlich von Berlin Mitte der
1990er Jahre eröffnete, sagte sofort zu. Per Abstimmung im Internet –
zunächst im weiteren Bekanntenkreis, dann über Mundpropaganda – bestimmten
die Kunden das erste Gömnigker Schwein, das verwurstet wurde. Seitdem wählt
Schulz selbst aus. Ausschlaggebend für den Todesstoß ist in der Regel das
Gewicht.
Und das Geschäfft läuft. Seit Ende Februar fährt Bernd Schulz im
Wochenrhythmus ein Schwein zur Metzgerei. Dort holt Dennis Buchmann
anschließend die Gläser und Würste ab, etikettiert sie mit den jeweiligen
Fotos und verschickt sie an Adressen in ganz Deutschland, nach Österreich,
Belgien und den Niederlanden. Bislang seien fast alle Waren schon vor den
jeweiligen Schlachtterminen ausverkauft gewesen, berichtet er.
Zu den Stammkunden zählt Kirsten Mieves. Die Berlinerin bestellt seit
„Schwein 1“ – am liebsten Leberwurst sowie Knoblauchmett: „Ich lehne
anonymes Fleisch aus der Massentierhaltung ab und finde ein artgerechtes,
gutes Leben für die Tiere wichtig.“ Das Konzept von „Meine kleine Farm“
findet die 32-Jährige ehrlich und transparent – auf der Homepage liefert
Dennis Buchmann zu jedem Schwein eine Kurzvita und listet zudem die Zutaten
in der jeweiligen Wurst auf. Dass die Ware teurer ist als beim Discounter,
ist für Mieves selbstverständlich.
Bis zum Sommer möchte der frisch gebackene Sülzefan Buchmann nun noch
herausfinden, ob und wie seine Geschäftsidee den Fleischkonsum seiner
Kunden beeinflusst – die Umfrage bildet ein Kapitel seiner Abschlussarbeit
an der Humboldt Viadrina School of Governance. Sofern der Andrang anhält,
will er sich überlegen, ob er demnächst zwei oder mehr Schweine
gleichzeitig schlachten und verarbeiten lässt. Geplant ist außerdem, das
Konzept auf andere Regionen in Deutschland auszuweiten. Mit einigen Bauern
führe er schon Gespräche. Und schließlich würde sich Buchmann gerne vom
Hobby-Verkäufer zum Profi-Händler entwickeln, den die ökologisch und
politisch korrekte Wurst mit Gesicht nicht nur glücklich macht, sondern
auch finanziert.
20 Apr 2012
## AUTOREN
Thomas Joerdens
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