# taz.de -- Rassismus-Vorwurf gegen Berliner Polizei: „Wir sind auch Menschen… | |
> Angehörige von zwei erschossenen Jugendlichen haben sich über die | |
> Berliner Polizei beklagt. Polizeisprecher Redlich räumt ein, dass die | |
> Behörde für interkulturelle Kompetenz mehr tun muss. | |
Bild: Trauer in Neukölln um die zwei erschossenen Jugendlichen. | |
taz: Herr Redlich, in Berlin haben sich zwei Familien, deren Söhne vor | |
wenigen Wochen getötet wurden, über die Polizei beklagt. Die hatte erst zu | |
den Angehörigen Kontakt aufgenommen, als die Todesnachricht längst von | |
Nachbarn oder Freunden überbracht worden waren. Beides sind | |
Einwanderfamilien. Es gab die Befürchtung, dass das eine Rolle gespielt | |
hat. Verstehen Sie, dass es nach dem, was über die polizeilichen | |
Ermittlungen bei den NSU-Morden bekannt wurde, solche Befürchtungen gibt? | |
Stefan Redlich: Ich verstehe, dass es diese Sensibilität gibt. Der müssen | |
wir uns stellen, ohne darüber böse oder enttäuscht zu sein. Aber es gab und | |
gibt bei der Polizei keine Abstufungen, dass man gebürtige Deutsche anders | |
behandelt als andere. Deshalb ist dieser Verdacht aus meiner Sicht nicht | |
gerechtfertigt. | |
Hat die öffentliche Debatte über die Morde der Neonazi-Zelle NSU eine | |
polizeiinterne Diskussion über den Umgang mit solchen Vorwürfen, über | |
Rassismus angestoßen? | |
In diesem Zusammenhang das Wort Rassismus zu benutzen, ist weit hergeholt. | |
Dass Menschen aufgrund äußerer Merkmale im Einsatz möglicherweise | |
schlechter als andere behandelt werden – ist das Thema bei der Berliner | |
Polizei? | |
Fremdenfeindlichkeit und fehlende interkulturelle Kompetenz sind Themen, | |
denen sich die Berliner Polizei schon lange widmet. Alle Polizeibeamten in | |
Ausbildung müssen Lehrgänge zum Thema interkulturelle Kompetenz | |
absolvieren. Im Fortbildungsangebot gibt es zusätzliche freiwillige | |
Lehrgänge. | |
Was verstehen Sie unter interkultureller Kompetenz? | |
Das ist das Wissen über Regeln und Bräuche aus anderen Kulturen. Und | |
kompetent ist man darin, wenn man sich diesen Dingen nicht mit | |
Ressentiments, sondern mit Offenheit widmet. | |
Warum verpflichtet die Berliner Polizei ihre Auszubildenden, Seminare für | |
interkulturelle Kompetenz zu besuchen? | |
Polizisten haben überwiegend mit Menschen in Extremsituationen zu tun, | |
Menschen, die verzweifelt oder perspektivlos sind, vielleicht unter Drogen | |
oder Alkoholeinfluss stehen. Da muss ihnen klar sein, dass sie nur einen | |
kleinen Ausschnitt der realen Welt sehen. Wir ermöglichen den jungen | |
Kollegen, ein weiter gefasstes Bild Berlins zu sehen. Dazu gehören | |
Moscheen- oder Synagogenbesuche oder Gespräche mit Migrantenvereinen. | |
Wie umfangreich ist dieser Teil der Ausbildung? | |
Es sind mehrere Module, eins davon dauert eine Woche. Dazu kommen weitere | |
Kurse, die von Externen durchgeführt werden. | |
Ein einwöchiges Seminar im Rahmen der zweijährigen Polizeiausbildung? | |
Eine komplette Woche, in der es nur darum geht, und dazu mehrere Module im | |
Fach Politische Bildung, in denen das Thema eine Rolle spielt. Außerdem | |
werben wir dafür, dass Menschen mit Migrationshintergrund zu uns kommen. | |
Wir haben zurzeit bei den Neueinstellungen im mittleren Polizeidienst einen | |
Migrantenanteil von 21 Prozent. | |
Haben die Seminare, die neuen Kollegen eine Diskussion über solche Themen | |
angestoßen? | |
Was meinen Sie mit Diskussion? | |
Wird unter den Kollegen, auf der Führungsebene der Polizei darüber geredet, | |
ob an Vermutungen, es könne diskriminierende Einstellungen gegenüber | |
Einwanderern bei der Polizei geben, etwas dran sei? | |
Wir haben im vergangenen Jahr ein Büro für Integration und Migration | |
gegründet, wo jetzt drei Mitarbeiter, zwei mit Migrationshintergrund, | |
arbeiten. Dort soll die Kommunikation mit Migrantenverbänden koordiniert | |
werden, und man will auch Ansprechpartner für Mitarbeiter sein, die selbst | |
Migranten sind und interne Probleme auf ihren Dienstellen haben. Es ist | |
also Thema, sonst bräuchten wir diese Einrichtung nicht. Wir pflegen zudem | |
in den Dienststellen in Gegenden mit hohem Ausländeranteil enge | |
Kommunikation mit Migrantenorganisationen und Moscheevereinen, um Vertrauen | |
in die polizeiliche Arbeit zu wecken. Das würden wir nicht machen, wenn wir | |
sagen würden, wir hätten da kein Problem. | |
Wenn Sie von Fremdenfeindlichkeit, von Ausländern, von interkultureller | |
Kompetenz als Wissen über Bräuche fremder Kulturen reden: Da steckt doch | |
immer noch die Perspektive darin, dass es eingeborene Deutsche und dann | |
eben Ausländer gibt, zwischen denen interkulturelle Kompetenz ein | |
Kommunikationsbrückchen schaffen soll. Ist das nicht längst Vergangenheit | |
in einer Stadt wie Berlin? | |
Ich habe in der Pressearbeit zu dem Mord an Burak B. von den Angegriffenen | |
immer als fünf Berliner gesprochen. Von Journalisten wurde ich sofort nach | |
der Vorgeschichte der fünf, nach eventuellen Straftaten gefragt. Auch wurde | |
in vielen Medien das Wort Schießerei benutzt: Das bezeichnet einen | |
Schusswechsel, den es hier nicht gab. Die Verwendung des Begriffs legt aber | |
den Verdacht nahe, dass beide Seiten bewaffnet waren. Sie haben recht, es | |
gibt Worte, die auf Sichtweisen schließen lassen, die nicht korrekt sind. | |
Es ist wichtig, dass man das diskutiert und da eine Entwicklung durchmacht. | |
Die Polizei ist auch nur ein Spiegel der Gesellschaft? | |
Nein. Denn dann hätten wir ja 20 Prozent Ausländer und 50 Prozent Frauen | |
unter unseren Mitarbeitern. Aber wir sind auch Menschen, die Erfahrungen | |
machen, die lernen müssen und können. Unsere Aufgabe ist es, das Vertrauen | |
aller Berliner zu gewinnen. | |
Wenn solche Kritik erhoben wird wie jetzt von den beiden Familien – gehen | |
Sie dann noch mal hin, um Vertrauen zu gewinnen? | |
Tatsächlich ist in dem einen Fall nach der Kritik der stellvertretende | |
Leiter der Mordkommission noch einmal zu der Familie gegangen und hat die | |
Sache aus unserer Sicht dargestellt. | |
20 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Alke Wirth | |
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