# taz.de -- Schriftsteller Nedim Gürsel über Religion: „Die Türkei wird im… | |
> Wegen seines Romans „Allahs Töchter“ stand Nedim Gürsel in der Türkei … | |
> Gericht. Ein Gespräch über Parallelen zur Rushdie-Affäre und Prophet | |
> Mohammed als Romanfigur. | |
Bild: „Die Türkei ist ein laizistischer Staat – da kann es doch kein Verbr… | |
taz: Herr Gürsel, was hat Sie dazu bewogen, einen Roman über den Islam zu | |
schreiben? | |
Nedim Gürsel: Der Prophet Mohammed war ein Held meiner Kindheit. Damals las | |
ich Comics, die von Cowboys in Amerika oder türkischer Geschichte | |
handelten. Und ich fragte mich, warum es keine Comics über das Leben des | |
Propheten gibt. Ich hätte so etwas gerne gelesen. „Allahs Töchter“ handelt | |
vom magischen Einfluss der Religion auf ein Kind. Es ist ein Roman, der | |
versucht, den islamischen Glauben zu verstehen und zugleich zu | |
hinterfragen. | |
In der Türkei hat Ihnen das ein Verfahren eingebracht. Man warf ihnen vor, | |
religiöse Gefühle zu verletzen. | |
Das hat mich überrascht. Am Ende wurde ich zwar freigesprochen. Aber weil | |
sich das Verfahren ein Jahr lang hinzog, wurden radikale Islamisten darauf | |
aufmerksam, ich wurde bedroht. | |
Warum hat Sie das überrascht? Seit der Rushdie-Affäre ist doch bekannt, was | |
passieren kann, wenn ein Roman an religiösen Tabus rührt? | |
Ganz ehrlich, so eine Reaktion habe ich nicht erwartet, denn mein Roman | |
unterscheidet sich grundlegend von Rushdies „Satanischen Versen“. Sein | |
Tonfall ist teilweise höhnisch. Ich dagegen habe versucht, in die innere | |
Welt des Propheten Mohammed einzutauchen. Dass ich dabei auch auf sein | |
Privatleben eingegangen bin, besonders auf sein Verhältnis zu den Frauen, | |
hat manche wohl provoziert. Aber dass das Religionsministerium der Türkei | |
eine Art Fatwa ausgesprochen hat, die besagt, in meinem Roman werde der | |
Islam beleidigt, hat mich besonders erstaunt und betrübt. Denn die Türkei | |
ist ein laizistischer Staat – da kann es doch kein Verbrechen sein, die | |
Religion zu kritisieren. | |
Ist die Türkei denn noch ein laizistischer Staat? | |
Ehrlich gesagt, entfernt sich die Türkei immer mehr von Laizismus. Ich | |
stand im Laufe meines Lebens in der Türkei schon mehrmals wegen meiner | |
Bücher vor Gericht – fünf Mal, um genau zu sein. Aber eine solche Anklage | |
hätte es vor zehn Jahren so nicht gegeben. Und wenn Ministerpräsident | |
Erdogan tönt, er wolle eine religiöse Jugend heranziehen, wie er es | |
kürzlich getan hat, dann sägt auch er an der Trennung von Staat und | |
Religion. | |
Gefährlicher, als einen Roman über Mohammed zu schreiben, ist es in der | |
Türkei aber noch immer, den Staatsgründer Atatürk zu kritisieren, oder? | |
Das stimmt, auch Atatürk hat man dort in den Rang eines Heiligen erhoben. | |
Der Journalist Can Dündar zum Beispiel hat viel Kritik geerntet, als er | |
eine Dokumentation über Atatürk drehte: Man warf ihm vor, er habe ihn als | |
Alkoholiker und Menschen mit einer schwachen Persönlichkeit gezeigt. Dabei | |
ist Atatürk eine Person der Zeitgeschichte: Er sollte nicht tabu sein. | |
Wie religiös sind Sie aufgewachsen? | |
Ich hatte eine religiös geprägte Kindheit. Meine Eltern waren beide Lehrer. | |
Aber weil ich sehr früh meinen Vater verlor, haben mich meine Großeltern | |
aufgezogen. Beide waren sehr religiöse Menschen – aber sie haben ihre | |
Religiösität niemals ausgestellt, wie das heutzutage oft geschieht. Als | |
Kind war ich wie verzaubert, wenn meine Großmutter den Koran rezitierte – | |
ich hörte ihre Stimme, ohne die Worte zu verstehen, und sprach die Gebete | |
nach, ohne deren Bedeutung zu kennen. Später, als ich den Inhalt der Gebete | |
verstand, verschwand der Zauber. Auch davon erzähle ich in meinem Roman. | |
Mein Großvater war Anwalt und ein modern denkender Mensch. Er hat seine | |
drei Töchter zum Studieren an die Universität nach Istanbul geschickt. Und | |
weder er noch meine Großmutter haben je Druck auf meine Mutter ausgeübt, | |
auch zu beten. Leider habe ich auch ihn nicht lange erlebt – er starb, als | |
ich 12 war. | |
Ihre Großeltern standen also bei Ihrer Geschichte Pate? | |
Ja, die Figur des Haci Rahmi Ram ist meinem Großvater nachempfunden. Im | |
Ersten Weltkrieg hat er zuerst auf den Dardanellen gekämpft, später war er | |
an der Verteidigung der heiligen Stadt Medina beteiligt. Die Frage, die er | |
sich dabei stellte, hat mich zu meinem Roman inspiriert: Warum bin ich hier | |
und kämpfe gegen meine Glaubensbrüder? Die Arabische Halbinsel gehörte | |
damals zum Osmanischen Reich. Mein Großvater war also in der merkwürdigen | |
Situation, die Stadt des Propheten gegen dessen Volk verteidigen zu müssen | |
– gegen die arabischen Stämme, die sich gegen die osmanische Herrschaft | |
auflehnten. In Medina wurde er von den Engländern gefangen genommen. | |
Ist „Allahs Töchter“ ein autobiografischer Roman? | |
Bis zu einem gewissen Grad ja. Aber die Hauptfigur ist der Prophet | |
Mohammed. Auch sein Leben vor der Offenbarung und die drei Göttinnen, die | |
bis dahin von seinem Stamm angebetet wurden, kommen darin vor. Ich habe | |
diesen drei Göttinen eine Stimme gegeben – eine von ihnen ist | |
beispielsweise heimlich in Mohammed verliebt. Auch das hat mir Kritik | |
eingebracht. Aber „Allahs Töchter“ ist kein theologisches Buch und keine | |
Biografie über den Propheten, sondern eine Roman-Fantasie. | |
Für die Türkei ist das durchaus etwas Neues, oder nicht? | |
Das Thema Religion, des Heiligen, ist immer ein rutschiges Terrain. Aber es | |
war nicht meine Absicht, die Religion zu kritisieren. Einige Kritiker haben | |
den Roman auch dafür gelobt, dass er den Einfluss des islamischen Glaubens, | |
seine Rezeption und seine Wirkung ganz gut darstellen würde. Und ich | |
glaube, dass er auch einige religiöse Leser gefunden haben muss, sonst | |
hätte er sich nicht so gut verkauft. Man muss dazu sagen, das „Allahs | |
Töchter“ nach „Der Eroberer“ mein bisher bestverkauftes Buch in der Tür… | |
war. | |
Hat es mit Ihrem Alter zu tun, dass Sie sich mit dem Thema Religion | |
beschäftigen? | |
Ja, bestimmt. Ich habe das Thema zwar immer mal wieder in meinen | |
Erzählungen gestreift. Aber erst jetzt, mit über fünfzig Jahren – also nach | |
mehr als der Hälfte meines Lebens –, konnte ich diesen Roman schreiben. | |
An welches Publikum wendet sich Ihr Roman? | |
Es ist kein Buch, das sich an eine bestimmte Leserschaft richtet. Es | |
reflektiert ein Stück meiner Kindheit: Die islamische Geschichte, das Leben | |
von Mohammed, der Zauber des gesprochenen Wortes, die Legenden, Erzählungen | |
– das ist ein Teil meines Lebens, deshalb habe ich darüber geschrieben. | |
Nicht, weil der Islam oder die Kritik an dieser Religion gerade in Mode | |
ist. Solche Motive wurden mir in der Türkei allerdings unterstellt. | |
Sie leben schon lange in Paris. Wie ist Ihr Verhältnis zur Türkei? | |
Meine Verbindung zur Türkei ist nie abgebrochen. Das liegt vor allem an der | |
Sprache. Denn ein Schriftsteller lebt nicht in einem Land oder einer Stadt, | |
sondern in einer Sprache. Und obwohl ich seit fast 40 Jahren in Frankreich | |
lebe, schreibe ich auf Türkisch – auf Französisch verfasse ich lediglich | |
wissenschaftliche Texte. Paris hat mir aber auch sehr viel gegeben, die | |
französische Literatur, andere Kulturen, das alles macht einen Autor | |
reicher. Aber es gibt das Exil in mir. Wäre ich nicht als junger Mann aus | |
Istanbul weggegangen, hätte diese Stadt in meinen Romanen wohl nie so eine | |
wichtige Rolle gespielt. | |
Was hat Sie denn ursprünglich nach Frankreich verschlagen? | |
Als ich 20 war, wollte ich in der Türkei eine Revolution anzetteln. 1971 | |
hatte ich einen Text über Lenin und Marx geschrieben und wurde dafür | |
angeklagt. Um nicht im Gefängnis zu landen, musste ich die Türkei | |
verlassen. Heute verbringe ich aber oft lange Phasen in der Türkei, in | |
Istanbul. | |
Das türkisch-französische Verhältnis ist auf einem historischen Tiefstand, | |
seit Sarkozy die Leugnung des Genozids an den Armeniern im Osmanischen | |
Reich unter Strafe stellen wollte. Was sagen Sie dazu? | |
Beide Seiten haben Fehler gemacht. Die Leugnung des Völkermordes unter | |
Strafe zu stellen passt nicht zu einem Land wie Frankreich. Es in der | |
Türkei ja auch kein Tabu mehr, von einem Völkermord an den Armeniern zu | |
sprechen. Warum soll dann das Gegenteil in Frankreich unter Strafe stehen? | |
Sarkozys Hauruck-Aktion diente nur Wahlkampfzwecken. Aber auch die Reaktion | |
der Türkei war übertrieben. Ausgerechnet Recep Tayyip Erdogan, dessen | |
Ministerium mich ins Gefängnis bringen wollte, spielt sich zum Verteidiger | |
der Gedankenfreiheit auf? Das ist lustig. | |
25 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
D. Bax | |
Z. Dengi | |
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