# taz.de -- Kolumne American Pie: Beten für den Bullen | |
> Ein einziger, verzweifelter Aufschrei: Nach der Verletzung von Topstar | |
> Derrick Rose rätseln die Chicago Bulls, wie es weitergehen soll im Kampf | |
> um den Titel. | |
Bild: Einer wie er, der mehrere Gegenspieler an sich bindet, ist schwer zu erse… | |
„Es ist ja nun nicht so, dass das gleich eine Todesstrafe für uns ist“, | |
müht sich Tom Thibodeau die Abgesänge auf seine Mannschaft abzuschwächen. | |
Der Coach der Chicago Bulls wird selbst gut genug wissen, wie schwierig es | |
sein Team haben wird. Zum NBA-Playoff-Auftakt gegen Philadelphia in eigener | |
Halle am vergangenen Samstag zog sich Bulls-Topstar Derrick Rose bei einer | |
Allerweltsaktion einen Kreuzbandriss zu. Er wird nicht nur seinen | |
Teamkollegen in den restlichen Spielen, sondern auch der Olympia-Auswahl | |
des Team USA in London fehlen. Eine Nominierung der Liga-Grande galt als | |
sicher. Bis zu acht Monate Pause drohen nun. | |
Hielt ganz Basketball-Chicago schon den Atem an, als Rose auf dem Parkett | |
im heimischen United Center zu Boden ging und vom Platz geleitet werden | |
musste, führte die Bekanntgabe der Verletzung zu einem einzigen, | |
verzweifelten Aufschrei, einem kollektivem „Oh nein“ in der sportverrückten | |
Stadt. „Ich bete für Derrick und seine Familie“, schrieb Guard James Harden | |
von den Oklahoma City Thunder kurz darauf bei Twitter. „In Gedanken sind | |
wir bei dir und wünschen dir Stärke“, ergänzte Lakers-Forward Pau Gasol. | |
Wüsste man es nicht besser, man wähnte Rose im Kampf um Leben und Tod. | |
Um nicht viel weniger geht es zumindest für die Bulls. Rose ist Dreh- und | |
Angelpunkt im Spiel der traditionsreichen Mannschaft, ist bester Korbjäger | |
und Passgeber. Nur wenige andere Aufbauspieler der Liga ziehen so häufig | |
und aggressiv zum Korb wie der 23-Jährige, der in der letzten Saison als | |
jüngster Akteur der NBA-Geschichte zum wertvollsten Spieler gewählt wurde. | |
Ohne ihn lahmt das Offensivspiel. Rose gehört zu den auch charakterlich | |
meistgeschätzten Spielern, ist Publikumsliebling nicht nur in seiner | |
Heimatstadt Chicago, die er stolz vertritt. Kein NBA-Trikot verkauft sich | |
häufiger als das des Spielers mit der 1 auf dem Rücken. „Derrick ist nicht | |
nur ein großartiger Spieler und Teamplayer, er ist auch menschlich | |
herausragend“, lobpreist Thibodeau seinen Vorzeigeathleten. „Er wird | |
stärker und besser als je zuvor zurückkommen. Das ist nur ein kleiner | |
Rückschlag für ihn.“ | |
Dass sich Rose ausgerechnet eine knappe Minute vor Schluss bei 12 Punkten | |
Vorsprung verletzte, zwingt den Coach indes zu Erklärungen – oft sitzen die | |
wichtigsten Spieler in einer solch relativ sicheren Phase bereits auf der | |
Bank. „Die Partie stand auf der Kippe. Da kann ich Derrick nicht auf der | |
Bank lassen. Er muss richtig in Fahrt kommen, das Team führen.“ | |
Ex-NBA-Coach Jeff van Gundy, heute TV-Experte, springt seinem Kollegen bei: | |
„Überhaupt kein Vorwurf an Thibodeau. In den Playoffs gelten andere | |
Gesetze, da lässt kein Coach ein Spiel bei so einem Vorsprung einfach | |
ausklingen.“ | |
## „Wir wissen auch, was wir ohne ihn können“ | |
Für viele von Van Gundys Kollegen tendieren die Chancen der Bulls auf die | |
Meisterschaft nun gegen null. Ohne Rose fehlt Chicago ein Spieler, der | |
gegen hochklassige Konkurrenz und Mitfavoriten wie Miami oder Boston den | |
Unterschied machen kann. Seine Teamkollegen indes nutzen den Liebesentzug | |
als Motivation: „Wir sind immer noch eine Mannschaft. Wir spielen mit | |
Derrick, aber wir wissen auch, was wir ohne ihn können. Wir müssen uns | |
nicht verstecken“, meint Center Joakim Noah. | |
Ratschläge, wie mit der plötzlichen Rolle als Underdog umzugehen ist, | |
könnten auch in Dallas bei den Mavericks gesucht werden. Der amtierende | |
Meister hat die ersten beiden Partien gegen Topfavorit Oklahoma City | |
verloren – beide Spiele denkbar knapp. Spiel eins ging durch einen Wurf von | |
Thunder-Star Kevin Durant in letzter Sekunde mit 99:98 an den Gastgeber, | |
Spiel zwei endete in ähnlicher Manier 102:99. „Es ist nicht einfach – wenn | |
wir in ein, zwei Situationen mehr Glück haben, dann liegen wir jetzt vorne. | |
Aber davon dürfen wir uns nicht beeinflussen lassen, wir werden kämpfen. | |
Oklahoma ist stark, aber wir werden es ihnen so schwer wie möglich machen“, | |
trotzt Mavs-Forward Dirk Nowitzki in die Mikrofone. Die Hoffnungen in | |
Dallas ruhen nun auf den nächsten beiden Partien, die in heimischer Halle | |
stattfinden, beginnend am Donnerstag. „Da kann alles wieder anders | |
aussehen“, beschwört Trainer Rick Carlisle. | |
Alles wird gut? In Chicago mögen das momentan nur wenige wirklich glauben. | |
1 May 2012 | |
## AUTOREN | |
David Digili | |
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