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# taz.de -- Wahlkampf in Schleswig-Holstein: "Den Laden aufmischen"
> Die ehemalige grüne Verteidigungspolitikerin Angelika Beer will für die
> Piraten in den Kieler Landtag einziehen - und eine piratische
> Außenpolitik entwickeln.
Bild: Olivgrüne Piratin: Angelika Beer.
NEUMÜNSTER taz | Sie sei „erleichtert über diese notwendige Klarstellung“,
sagt Angelika Beer: Die Abgrenzung vom Rechtsextremismus, die die
Piratenpartei am Wochenende auf ihrem Bundesparteitag in Neumünster
beschlossen hat, nennt sie einen „Befreiungsschlag“. Die Piraten hätten
erkannt, „dass es eine Grenze der Toleranz gibt“ – und die verlaufe
zwischen Demokraten und Neonazis.
Angelika Beer war mal eine grüne Spitzenpolitikerin, jetzt will sie für die
Piraten in den schleswig-holsteinischen Landtag einziehen. Am Dienstag war
sie, die seit drei Jahrzehnten in der Antifa-Arbeit aktiv ist, bei den
Gegenaktionen zum NPD-Aufmarsch in ihrer Heimatstadt Neumünster im Zentrum
Schleswig-Holsteins an führender Position aktiv. Da sei „die klare Kante
der Piraten gegen rechts hilfreich“ gewesen.
Beer hat drei Jahre politischer Pause hinter sich. Sie sieht gut erholt
aus, ansonsten ist sie die Alte. Sie hat noch denselben Mann, dasselbe Haus
vor den Toren der Stadt mit Pferd, Hund und sieben Katzen, sie flicht sich
immer noch die rot-grün-gelben Bänder in den Zopf, die Farben der
kurdischen Guerillaorganisation PKK, und sie raucht immer noch Kette. Nur
Grüne ist sie nicht mehr. „Das war ein langer Entfremdungsprozess“, sagt
die ehemalige Bundesvorsitzende der Ökopartei heute, und einer voller
Niederlagen.
Jetzt versucht sie den Neuanfang. Sie ist Direktkandidatin der Piraten in
Neumünster und steht auf Platz sechs der Landesliste. Nach aktuellen
Prognosen reicht das am kommenden Sonntag locker für ein Landtagsmandat.
Bei den Piraten sei „alles so erfrischend“, sagt Beer beim Gespräch in
einer Raucherkneipe in der Fußgängerzone und zündet sich eine
Selbstgedrehte an. „Wir werden die anderen Parteien dazu bringen, sich zu
ändern“, sagt Beer, und es bleibt offen, ob das eine Verheißung ist oder
eine Drohung.
Denn da sind die Fragen nach den politischen Inhalten, mit denen Beer und
ihre Piratencrew am Wahlkampfstand auf dem Wochenmarkt vor dem Rathaus
gelöchert werden. Das Interesse an der jungen Partei ist groß, etliche
Passanten kommen zum Diskutieren, viele kennen Beer, sie grüßt und wird
gegrüßt. Und sie muss erklären: Wie die Piraten es mit dem Umweltschutz
halten, mit der Bildung, mit Sicherheit und Ordnung, ob sie überhaupt ein
Programm haben?
Das liegt jetzt vor, auf dem Tisch zwischen orangenen Einkaufschips,
Fähnchen und Kugelschreibern wie bei den Altparteien. 64 Seiten zur
Landtagswahl mit dem selbstironischen Titel „Jetzt mit mehr Inhalt“. Es ist
das Programm, das die Schleswig-Holsteiner in großen Teilen rasch aus
Papieren anderer Landesverbände zusammen kopiert haben. Den Freiherrn zu
Guttenberg kostete solches Vorgehen Doktorwürde und Politikkarriere, die
Piraten gehen über derlei kleinen Makel achselzuckend hinweg. Dass sie die
Abschaffung der Studiengebühren fordern in einem Bundesland, in dem es gar
keine Studiengebühren gibt – was soll’s. Ein Problem weniger in der realen
Welt. „Das entwickelt sich alles noch“, wirbt Beer um Verständnis.
Über ihre Verletzungen aus der realen Welt der Machtpolitik ist Beer
hinweg. Sagt sie zumindest. Gescheitert war die Friedensaktivistin
letztlich daran, die Abkehr der Grünen vom radikalen Pazifismus mitgemacht
zu haben. Vizekanzler und Außenminister Joschka Fischer hatte die
verteidigungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion 1999 in die
Pflicht genommen, die Nato-Luftangriffe auf Serbien und die Beteiligung der
Bundeswehr am Krieg auf dem Balkan mitzutragen. Das kostete Beer
Glaubwürdigkeit und viele politische Freunde. Dass sie sich auf einem
Panzer ablichten ließ und von „unseren Jungs“ sprach, brachte ihr den
Beinamen „die Olivgrüne“ ein. Und dann verliebte sie sich auch noch bei
einem Truppenbesuch im Kosovo in einen Bundeswehroffizier, mit dem sie seit
nunmehr neun Jahren verheiratet ist.
Dafür bekam sie bei der Bundestagswahl 2002 von ihrer Partei keinen
aussichtsreichen Listenplatz mehr. Eher aus Versehen wurde sie kurz darauf
grüne Parteivorsitzende, weil keine andere linke Frau mehr da war. Nach
zwei weiteren Jahren „Krieg mit Joschka“, so Beer rückblickend, kam 2004
der Wechsel ins Europaparlament. 2009 dann wurde sie bei der erneuten
Nominierung weit nach hinten durchgereicht.
Und zog die Konsequenzen: Unter Tränen verkündete Beer auf dem
Landesparteitag Ende März 2009 in Bad Oldesloe ihren Austritt aus der
grünen Partei: „Ich habe mich zu weit von der Partei, zumindest von der
Spitze im Bund, entfernt.“
„Machtpolitik verändert jeden zum Nachteil“, sagt Beer jetzt. Auch das sei
ein Grund, die Ansätze der Piraten für Transparenz in der Politik
sympathisch zu finden. Die Piraten seien nicht links, nicht rechts, eine
Kooperation mit anderen Parteien „ist nur sachbezogen“ vorstellbar. „Wenn
die Altparteien das nicht verstehen“, sagt Beer, „ist das ihr Problem.“
Viele Chancen gibt sie denen ohnehin nicht mehr: „Wir werden das System
verändern und den verkorksten Laden aufmischen.“
Mit einer Angelika Beer im Landtag an der Kieler Förde, die als einzige
Piratin Polit-Profi ist oder zumindest lange war. „Promi-Bonus“ habe sie
keinen, sagt Beer: „Ich bin Basis-Piratin.“ An ihren politischen
Schwerpunkten habe sich aber nichts geändert: „Ich bin Außenpolitikerin
durch und durch.“ Dass dieses Ressort sich im Landtag auf norddeutsche
Kooperation und waffenfreie Einsätze im Ostseeraum beschränken dürfte, ist
Beer „natürlich“ bewusst. Dennoch wolle sie die Antwort auf eine
programmatische Frage suchen: „Wie sieht piratische Außenpolitik aus?“
Davon nämlich steht im Wahlprogramm kein Wort. Trotz mehr Inhalt.
1 May 2012
## AUTOREN
Sven-Michael Veit
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