# taz.de -- Junge Selbstmordattentäter in Marokko: Chronik einer Manipulation | |
> Der marokkanische Autor Mahi Binebine erzählt in „Die Engel von Sidi | |
> Moumen“ von jugendlichen Selbstmordattentätern. Es gab Tage, an denen sie | |
> noch Fußball spielten. | |
Bild: Die Straßen von Marrakesch, ein angenehmer Anblick für Touristen. In Bi… | |
Die Seifenmarke duschdas hat kürzlich eine neue Duschgelkreation mit dem | |
Namen „Spirit of Marrakech“ herausgegeben. Mit diesem Duschgel tauche man | |
ein in die farbenfrohe und aufregende Welt des Orients, verspricht das | |
Etikett: Sein verführerischer Duft lade ein zum sinnlichen Genuss und | |
entspanne Körper und Geist. | |
Der aus Marrakesch stammende Autor Mahi Binebine hat da einen | |
realitätsnäheren Riecher. Er weiß, dass es nicht nur in Marrakesch nicht | |
immer duftet, sondern auch im gut 200 Kilometer entfernten Sidi Moumen, | |
einem Slum am Rande von Casablanca. Dessen Bewohner leben davon, täglich | |
die nahe gelegene Müllkippe zu durchkämmen. Ständig wabert der beißende | |
Geruch der in der Sonne gärenden Müllberge durch die Straßen der | |
Barackensiedlung. | |
In so einer Hütte wächst der junge Jaschin auf, der die Geschichte der | |
„Engel von Sidi Moumen“ posthum erzählt. So nennt sich die | |
Fußballmannschaft des Viertels, und Jaschin ist ihr Torwart. Sechs der | |
Spieler – seine besten Freunde und Jaschin selbst – werden darüber hinaus | |
zu Todesengeln, die sich am Ende des Romans in einem Nobelhotel in die Luft | |
sprengen. | |
Es ist eine reale Geschichte, denn im Mai 2003 zündeten tatsächlich einige | |
jugendliche Attentäter aus Sidi Moumen ihre „Paradiesgürtel“ in der | |
Innenstadt von Casablanca. Der Autor Mahi Binebine, der häufig über | |
Menschen vom Rand der Gesellschaft schreibt, hat die Lebensgeschichten der | |
Attentäter recherchiert. Auf diesen Recherchen basiert sein neuer Roman. | |
Darin erinnert sich Jaschin an legendäre Fußballspiele und an den Erfolg, | |
den er und seine Freunde als Fahrradmechaniker hatten. „Die Engel von Sidi | |
Moumen“ ist kein durchweg düsterer Roman, aber irgendwoher musste die | |
Frustration ja kommen, die die Jungs schließlich zu Attentätern werden | |
ließ. Es waren die ständigen Schläge, die Teil ihres Lebens waren, meint | |
Jaschin, „genauso wie das bittere Gefühl der Demütigung, wie das Hässliche, | |
das uns überall umgab“. | |
## Demütigungen und Prügel prägen den Alltag | |
Die alltägliche Brutalität ist immens: Demütigungen und Prügel prägen den | |
Alltag der Jungen, einmal vergewaltigen sie kollektiv einen Freund, zweimal | |
bringen sie jemanden um. Die Leichen werden stets im Müll versenkt, denn | |
„der gewöhnliche Gestank der Deponie überdeckte den Aasgeruch“. Als | |
Jaschins Bruder einen der Freunde eines Tages auf dem Fußballfeld | |
zusammenschlägt, ruft dieser Allah zu Hilfe, „aber Er war nicht da, der | |
liebe Gott. Seit geraumer Zeit hatte Er seinen erhabenen Blick von Sidi | |
Moumen abgewandt.“ | |
Allahs Blick aber kehrt zurück, als Abu Subair auftaucht. Er gibt den | |
Jungen Seife zum Waschen, saubere Kleidung und vermittelt ihnen Jobs. | |
Außerdem lehrt er sie Kampfsport, den Koran rezitieren und die Ungläubigen | |
zu hassen, die für das Elend in den arabischen Staaten verantwortlich sein | |
sollen, also auch für die Armut von Sidi Moumen. Gemeinsam schauen sie | |
immer wieder Videos, in denen einem palästinensischen Vater das Kind in den | |
Armen wegstirbt. Mit ihrem Hass wächst auch ihr Bart, bis sie schließlich | |
bereit sind, im Namen des Herrn das „Genna Inn“ in Casablanca zu sprengen. | |
Binebine beschreibt eine Chronik der Manipulation: Er schildert, wie Abu | |
Subair und die hinter ihm stehenden Emire aus sechs normalen Jungen sechs | |
gottesfürchtige Mörder machen. Diese Wandlung dauert zwei Jahre und | |
schnurrt im Roman auf 50 Seiten zusammen. Wie genau die Gehirnwäsche auf | |
die Jungen wirkt, hätte man gern kleinschrittiger erfahren. Doch soll dies | |
nicht von der Lektüre dieses von Anfang an auf die Katastrophe zusteuernden | |
Romans abhalten. | |
Sehr kondensiert charakterisiert Mahi Binebine die sechs Jungen; hierin | |
ähnelt sein Schreiben seinen Gemälden, die oft auf ihre wesentlichen | |
Bestandteile reduzierte Menschen zeigen. Jedem der Jungen fehlt es an | |
schönen Dingen im Leben. Jaschin zum Beispiel findet Jasmin schön, doch er | |
stellt fest: „Vielleicht konnte der Jasmin in der Umgebung der Deponie | |
nicht gedeihen. Der durchdringende Gestank der Abfälle würde so zarte | |
Blüten wohl umbringen.“ | |
## Mahi Binebine: "Die Engel von Sidi Moumen". Aus dem Französischen von | |
Regula Renschler. Lenos Verlag. Zürich 2011. 157 Seiten. 19,90 Euro | |
2 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Katharina Borchardt | |
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