# taz.de -- Mobilität: Senat lässt Behinderte sitzen | |
> Der Begleitservice für Menschen mit Behinderungen läuft Ende Juni aus. | |
> Die Arbeitssenatorin sucht nach neuen Fördertöpfen - doch wann es | |
> weitergeht, ist unklar. | |
Bild: Viele Behinderte müssen zuhause bleiben, wenn der Begleitservice wegfäl… | |
Für viele Menschen, die in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind, | |
heißt es demnächst: zu Hause bleiben. Denn der kostenlose Begleitservice | |
des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB), dessen Mitarbeiter Menschen | |
mit Behinderungen bei Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln begleiten, | |
wird Ende Juni aus finanziellen Gründen vorerst eingestellt. Die Verträge | |
der Mitarbeiter laufen aus und werden nicht erneuert, bestätigte die | |
durchführende Dienstleistungsgesellschaft D&B der taz. | |
Dabei ist der Begleitservice sehr beliebt: Mehr als 40.000 Begleitungen | |
wurden seit Einführung des Dienstes im Jahr 2008 gezählt, derzeit sind es | |
40 bis 50 pro Tag. „Der Bedarf ist da“, sagt VBB-Sprecherin Elke Krokowski. | |
Die Mitarbeiter in den roten Jacken holen hauptsächlich ältere Menschen und | |
Behinderte ab und begleiten sie bei Fahrten mit Bussen und Bahnen zum Arzt, | |
zu Veranstaltungen oder zur Arbeit. „Das ist beileibe kein | |
Nebenherlatschen“, beschreibt ein Mitarbeiter, der nicht namentlich genannt | |
werden möchte, den Dienst. „Wir schieben Rollstühle, manchmal tragen wir | |
Leute oder helfen ihnen, sich umzusetzen. Besonders im Winter trauen sich | |
viele ältere Menschen alleine nicht raus.“ | |
Finanziert wurde der Begleitservice bislang hauptsächlich durch den vom | |
rot-roten Vorgänger-Senat ins Leben gerufenen öffentlich geförderten | |
Beschäftigungssektor (ÖBS). Die ÖBS-Mitarbeiter erhielten ein Entgelt von | |
monatlich 1.300 Euro. Das ist Rot-Schwarz zu teuer, der neue Senat will | |
eine günstigere Variante öffentlicher Beschäftigung schaffen. Das macht | |
sich offenbar beim Begleitservice bemerkbar: Bereits im Februar war die | |
Zahl der Mitarbeiter von rund 100 auf etwa 40 reduziert und das Angebot von | |
sieben Wochentagen bis 22 Uhr auf fünf Tage bis 18 Uhr beschränkt worden. | |
Dass es nun bald gar keinen Service mehr geben soll, kritisiert Dominik | |
Peter vom Berliner Behindertenverband scharf: „Es gibt zum Begleitservice | |
kaum Alternativen.“ Behinderte oder ältere Menschen, die über kein privates | |
Netzwerk verfügten und kein Geld oder keine Berechtigung für andere | |
Fahrdienste hätten, müssten zu Hause bleiben. So wie Petra Mach: Sie ist 60 | |
Jahre alt und schwer sehbehindert. „Wenn Freunde im Urlaub sind oder | |
arbeiten, muss ich meine Termine absagen, ein Taxi kann ich mir nicht | |
leisten“, erzählt sie. | |
Die zuständige Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) hatte bereits anlässlich | |
der Kürzungen im Februar klargemacht, dass die öffentliche Beschäftigung | |
nicht dazu da sei, soziale Projekte dauerhaft zu finanzieren. Für eine | |
permanente Finanzierung durch den offiziellen Haushalt sei sie jedoch nicht | |
zuständig. Genau das fordert die sozialpolitische Sprecherin der Grünen, | |
Jasenka Villbrandt: „In Bezug auf Inklusion und Mobilität von Behinderten | |
muss ein Umdenken erfolgen“, sagt sie. Es gehe nicht mehr um | |
Sondermaßnahmen. „Die Mobilität aller muss gesichert werden. Und das sollte | |
über den ordentlichen Haushalt finanziert werden.“ | |
Der Begleitservice hat durchaus Vorbildcharakter. Cottbus, Brandenburg an | |
der Havel und Frankfurt am Main haben das Projekt übernommen. Selbst die | |
Pariser Stadträtin für soziale Angelegenheiten informierte sich bei einem | |
Besuch. Für Dominik Peter vom Behindertenverband ist die jüngste | |
Entwicklung allerdings symptomatisch. Seit Inkrafttreten der | |
UN-Behindertenrechtskonvention im März 2009 redeten die Politiker von | |
Inklusion. „Doch wo wir hinschauen, sehen wir nur Rückschritte.“ | |
Im Fall des Begleitservice ist das letzte Wort noch nicht gesprochen: | |
Möglicherweise können die VBB-Mitarbeiter aus einem anderen Fördertopf | |
finanziert werden. Auf Nachfrage erklärte Senatorin Kolat am Freitag, das | |
Projekt liege ihr sehr am Herzen. Eine nahtlose Anschlussfinanzierung sei | |
nicht hinzubekommen, doch irgendwann solle es weitergehen mit dem | |
Begleitservice. „Mein Ziel ist es, die ursprüngliche Zahl von | |
Beschäftigungsverhältnissen wieder herzustellen.“ | |
Als ausgemacht gilt allerdings jetzt schon, dass die Mitarbeiter künftig | |
schlechter bezahlt werden. Elke Breitenbach, arbeitsmarktpolitische | |
Sprecherin der Linken im Abgeordnetenhaus, hält es für einen „Skandal, dass | |
der ÖBS – einst Vorzeigeprojekt von Rot-Rot – jetzt abgewickelt wird und | |
die Beschäftigten in neue Billiglohnprogramme verschoben werden“. | |
7 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Heinrich Dubel | |
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