# taz.de -- DVD über Philosoph Jacques Derrida: Ein Spaziergänger im Niemands… | |
> „Derrida, anderswo“ begleitet den französischen Philosophen Jacques | |
> Derrida. Beim Denken, Reisen und beim Reden über Lebenslügen und den | |
> Schreibprozess. | |
Bild: Jacques Derrida im Jahre 2000, vier Jahre vor seinem Tod. | |
Eigentlich sollte Frankreich in diesem Jahr das Ende der Kolonialherrschaft | |
und die Unabhängigkeit Algeriens 1962 feiern. Doch statt Jubiläumsstimmung | |
lastet noch immer der Algerienkrieg vor 50 Jahren wie ein Albtraum auf den | |
Gemütern. | |
1930 in einer jüdischen Familie nahe Algier geboren, war auch der | |
französische Philosoph Jacques Derrida ein Kind der Kolonialzeit. „Ich bin | |
so etwas wie ein Postkolonialprodukt. Ganz gleich, was ich sage oder was | |
mit mir geschieht, ich bin Teil einer bestimmten Geschichte der | |
französischen Kolonien.“ Jetzt, acht Jahre nach seinem Tod, erscheint das | |
Filmporträt „Derrida, anderswo“ von 1999 auf DVD. | |
Ein Franzose, der anderswoher kommt und das Anderssein, die Fremdheit „im | |
Herzen trägt“: Das ist das Leitmotiv der Regisseurin und Derrida-Schülerin | |
Safaa Fathy. Um das Drama dieser vielschichtigen Identität in Szene zu | |
setzen, zeigt sie den Philosophen nicht nur bei seinen berühmten | |
Vorlesungen in Paris und Kalifornien oder in seinem Pariser Domizil – | |
dieser mit Büchern vollgestopften Klause eines Lektürebesessenen. | |
Vor allem schleppt sie ihn an Erinnerungsorte seiner jüdisch-algerischen | |
Herkunft: Derrida mit beeindruckend schlohweißer Mähne hinter dem Steuer | |
auf staubiger Straße im Niemandsland. Oder als Spaziergänger, in einen | |
schwarzen Mantel und weißen Schal gehüllt, in seiner Geburtsstadt El Biar. | |
Dazu die Stimme Derridas beziehungsweise des Synchronsprechers aus dem Off. | |
Auch sie suggeriert das Anderswo – einen Nomaden. | |
## Auf staubigen Straßen | |
Vor der ehemaligen Synagoge in El Biar, heute längst wieder eine Moschee, | |
sinniert Derrida über die wechselvolle Geschichte heiliger Stätten. In | |
seiner Lieblingsfigur, dem Marranen, jenem zwangsgetauften, aus Spanien | |
vertriebenen Juden, erdichtet sich der Philosoph einen Familienroman. Und | |
im alten Pariser Kolonialmuseum denkt er über Beschneidung nach, dieses | |
unauslöschliche Zeichen einer verlorenen Gemeinschaft. Stets aufs Neue | |
enthüllen diese Denkbilder das Fremde im Vertrauten, das Anderswo im Herzen | |
des eigenen Ichs. | |
Und wie ein Generalbass begleitet dabei Derridas Stimme den ganzen Film: | |
Über das Lesen als Entziffern der in jeden Text heimlich eingebauten | |
Lebenslügen, über den ambivalenten Schreibprozess, der einerseits versucht, | |
ein starkes Ich aufzubauen, aber gleichzeitig diesen rigiden Schutzpanzer | |
auseinandernimmt und die irritierende Vielstimmigkeit des Ichs dahinter | |
freilegt. Verdächtig oft aber sieht man den Helden von hinten, wie er in | |
seinem schwarzen Mantel davonspaziert und sich in der Landschaft verliert, | |
als wollte er sich aus Film und Identitätssuche hinausstehlen. | |
Derrida, so zeigt Safaa Fathys Film, kämpfte gegen die Trugbilder und | |
Verhärtungen starrer Identitäten – nationaler, kultureller, religiöser. Er | |
hoffte auf eine „Öffnung des demokratischen Raums“ und eine Versöhnung der | |
Kulturen. Aus der schmerzlichen Erfahrung der Verstrickung in unsere | |
Gewaltgeschichte. Denn wir alle kommen von anderswo. | |
## ■ Safaa Fathy: „Derrida, anderswo“. Frankreich 1999, 68 Min. DVD, | |
Filmedition Suhrkamp | |
8 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Elke Dauk | |
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