# taz.de -- George Condos „Mental States“: Das Erbe des Pop | |
> Wenn sich die amerikanische über die europäische Kultur hermacht, kann | |
> das Ergebnis großartig sein: George Condos „Mental States“ in der | |
> Frankfurter Schirn. | |
Bild: Einen „Seelenzustand Amerikas“ sollen die Besucher in der Ausstellung… | |
Endlich mal keine Körper. Weder von plastischen noch stofflichen Qualitäten | |
wird hier geredet, dinglich oder greifbar soll es auch nicht sein, selbst | |
von Sinnlichkeit, diesem Dauerbrenner der Postmoderne, der noch die ödeste | |
Installation aufwertet, ist in dieser Ausstellung nichts zu lesen. | |
„Mental States“ ist sie betitelt, und sie präsentiert Werke von George | |
Condo, einem Künstler, der nach ersten Erfahrungen in Andy Warhols Factory | |
schnell einen unverwechselbaren Stil kreierte und zu einem viel beachteten | |
Nachfahren der Pop-Art avancierte. Einen „Seelenzustand Amerikas“ sollen | |
die Besucher in der Ausstellung präsentiert bekommen, mit Anklängen an den | |
abstrakten Expressionismus oder klassische moderne Bewegungen – also eher | |
Gedankenblitze. | |
Doch wer den ersten Raum betritt, erleidet sofort einen Schock, denn dem | |
Eingang gegenüber liegt mit einem kopulierenden Paar ein alles andere als | |
mentaler Zustand. Die Bronzeplastik „The Butcher and his Wife“ von 2008 | |
besteht aus zwei schrundigen harten Körpern. Dürr und vereinzelt hatte sie | |
in ähnlicher Weise Giacometti aufgestellt; aber hier liegen sie | |
aufeinander, und man mag sich gar nicht ausmalen, welche Wunden sie sich | |
zufügen, wenn sie sich bewegen und aneinander reiben. | |
Im Hinterkopf des Metzgers steckt ein Hackbeil. Auf der einfachen | |
Handlungsebene wurde hier ein Geschlechtsakt brutal unterbrochen; womöglich | |
steckt aber auch das Problem defizitärer körperlicher Liebe im Kopf, dem | |
mental state des Mannes, der allzu butch in seinen Beziehungen zu Werke | |
geht. | |
## Grimassieren und feixen | |
Womöglich – aber die Ausstellung lässt mit der Auswahl aus Condos | |
umfangreichen Schaffen vieles in der Schwebe. Seit seinen künstlerischen | |
Anfängen in den frühen 80ern hat der Künstler etwa 2.000 Arbeiten | |
vorzuweisen. Der Kurator Ralf Rugoff von der Londoner Hayward Gallery hat | |
sich 66 Gemälde herausgesucht, mit einigen wenigen Skulpturen angereichert | |
und zu fünf Themengruppen arrangiert: „Portraits“, „Manic Society“, | |
„Pathos“, „Abstraction/Figuration“ und „Heads“. | |
Nach dem Fleischer sowie einem kleineren Raum, in dem auf Podesten ruhende | |
Goldköpfe („Dionysus“, „The Alcoholic“) für einen zumindest optischen | |
Lichtblick sorgen, öffnet sich der Blick in eine große Galerie und das | |
Zentrum der Ausstellung. | |
Bis unter die Decke hängt alles voller Porträts, allesamt in dem typischen | |
Condo-Stil, der die Charaktere verzerrt, sie zu Comicfiguren oder zu | |
Monstern macht. Die etwa halbe Hundertschaft an Porträts weitet sich zu | |
einem Panoptikum der Schauerlichkeiten. Das Innere ist nach außen gekehrt, | |
und das ist meistens gar nicht schön; die Figuren grimassieren und feixen, | |
blecken die Zähne, grinsen dämlich oder offenbaren Gefühlsregungen, die | |
besser privat geblieben wären. Einige kommen direkt aus den heiligen Hallen | |
der Kunstgeschichte wie „Memories of Rembrandt“, andere, wie „Red | |
Antipodular Portrait“, könnten umstandslos zur Muppet-Show hinüber | |
wechseln. | |
George Condo hat das Erbe der Pop-Art angetreten. Vieles ist schön bunt und | |
sehr bekannt. Die Queen kommt vor, Batman und ein paar andere Usual | |
Suspects. Aber natürlich hat er etwas ganz anderes daraus gemacht, und | |
schuld daran könnte ausgerechnet das alte Europa sein, wie der Künstler, | |
der bei der Eröffnung zugegen war, offenbarte. | |
Er sprach nämlich ausdauernd über Hegel, Heidegger und die alten Griechen. | |
Neben seinen grotesken Porträts oder den Exponenten einer „manischen | |
Gesellschaft“ wirkte der über die Antike dozierende Künstler, als habe er | |
sich nach einem langjährigen Aufenthalt in Platons Akademie spontan am | |
Times Square materialisiert und dort unverzüglich mit dem Malen begonnen. | |
Das Ergebnis ist bizarr, originell, und es ist auf lustige Weise mit einem | |
alten europäischen Projekt der Aufklärung verbunden. Scheinbar wurde sie | |
von der amerikanisch dominierten Postmoderne mit ihrem „Anything goes“ | |
verdrängt. Aber vielleicht war das nur ein besonders geschickter Schachzug, | |
um sie zu retten. Wenn amerikanische Künstler sich der ehrenwerten | |
europäischen Kultur zuwenden, ist das Resultat entweder komischer oder | |
verzweifelter als das Original – und Condo lässt von Velasquez über | |
Rembrandt bis Picasso wenige Klassiker aus. Auf jeden Fall ist die | |
Bearbeitung offen, direkt und von einer bohrenden Suche nach der Wahrheit | |
getrieben. | |
Nach der großen Galerie mit ihrer Porträtwand erscheint mit Jesus ein | |
weiterer Alteuropäer – Details der Abstammung mal beiseitegelassen. In | |
god’s own country wurde er zu „Jesus Christ Superstar“. Bei George Condo | |
ist der Gekreuzigte in einer Bilderserie von 2007 zuerst in „Gestas“ ein | |
Mann mit Halbglatze, an der Schwelle zum Alter, durchbohrt von einem | |
besenstieldicken Holzpfahl; es könnte aber auch ein Passant sein, der | |
irrtümlich ans Kreuz geriet. Daneben ein „Jesus“ als deformiertes, von | |
Flitter umschwirrtes Pin-up, gefolgt von „Dismas“, einer Jesusfigur, die | |
aussieht, als könnte sie gleich vom Kreuz steigen und sagen: War doch nicht | |
so schlimm. | |
## Kalauer oder Kugel | |
Was die Bedeutung verunklärt, sind die verzerrten, viel beschriebenen | |
Fratzen der Figuren – Condos Markenzeichen. Sie befinden sich alle auf dem | |
schmalen Grat, wo Lachen und Verzweiflung sich zum Stelldichein treffen und | |
der Besucher nicht weiß, ob der Gag gelungen oder die Depression nahe ist: | |
Kalauer oder Kugel? Wer so weit gekommen ist, merkt, dass in dieser | |
Ausstellung Kopfarbeit geleistet werden muss. Schließlich geht es um mental | |
states. | |
Im letzten Raum schließlich warten abstrakte Gemälde aus Condos letzter | |
Phase, „The Fallen Butler“ (2009) oder „Racing Forms“ (2010). Von ferne | |
gesehen sehen sie aus wie eine digitale Mindmap, wie ein Diagramm, das | |
Gehirnströme misst und vom dem abgelesen werden kann, wie der | |
cartesianische Besitzer dieses Diagramms beschaffen ist. Beim Nähertreten | |
jedoch erweisen sie sich als ein Körpergewimmel, das unendlich viele | |
beherbergt. | |
Der „Internal Space“ (2005) besteht aus unüberschaubar vielen, die mental | |
states sind kollektiv – so viel amerikanische Aufklärung muss die | |
europäische Metaphysik vertragen können. Am Ende dieser großartigen | |
Ausstellung gelingt den je einzelnen alteuropäischen Wir-AGs dann ein | |
befreiendes Lachen. | |
## George Condo: „Mental States“. Kunsthalle Schirn Frankfurt. Bis 28. Mai | |
2012. Katalog, Prestel, 179 Seiten, 29,80 Euro | |
9 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Mario Scalla | |
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