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# taz.de -- Revivalkonzert der Backstreet Boys: Rendezvous mit Nick Carter
> Die Songs der Backstreet Boys haben unsere Autorin in die Pubertät
> begleitet. 16 Jahre später besucht sie ein Revivalkonzert der Boyband –
> und ist enttäuscht.
Bild: Heute trinken die Fans vor dem Konzert Rosé-Sekt statt Capri-Sonne: Die …
BERLIN taz | Wie Entertainment funktioniert, weiß Nick Carter noch immer:
Er pellt seine nackte Schulter aus der glänzenden Lederjacke, fasst sich in
den Schritt. Zack. 11.500 Frauen fangen an zu kreischen, auch ein paar
Männer sind dabei.
Die Schreie vermischen sich mit den dumpfen Bässen, die durch die fast
ausverkaufte Halle am Berliner Ostbahnhof wabern. „Hello Berlin! Isch liebe
disch!“, ruft Nicks Bandkollege AJ McLean. Die Backstreet Boys touren
zusammen mit der Boyband New Kids on the Block (NKOTB) auf einer Art
Revival-Show. Sie machen, wie NKOTB-Sänger Jordan sagt: „eine magische
Traumreise in die Vergangenheit“. Für mich ist es eine Reise in die
Kindheit.
Mit zehn Jahren sah ich die Backstreet Boys im Konzert zum ersten Mal –
allerdings in weiter Ferne. Sie hüpften in Basketball-Montur über die Bühne
und sangen „We’ve got it goin’ on“.
Zwei Jahre später durften zwei Freundinnen und ich in der Stadthalle Bremen
nach ganz vorne, in den abgesperrten Bereich direkt vor der Bühne. Mit
meiner Tigerenten-Kamera knipste ich die Jungs in silberfarbenen Anzügen
und war unglaublich stolz, die verwackelten Bilder beim Fotoladen um die
Ecke abzuholen. Das Blöde: Meine Freundin Natalie fiel in Ohnmacht.
Weitere zwei Jahre später hing dann aber auch kein Bravo-BSB-Poster mehr an
meiner Wand.
## Boybands - ein Phänomen der Neunziger
Vergangenheit, das sind für die Backstreet Boys die neunziger Jahre. Die
erfolgreichste Zeit, als sie über 100 Millionen Tonträger verkauften und
sich im Zuge des Boyband-Hypes ein Schwall zuckersüßer Balladen-Pop in die
Charts ergoss.
Vor den Backstreet Boys gab es NKOTB, dann die britische Band Take That.
NSync und Caught in the Act sowie die irischen Bands Boyzone und Westlife
wurden im Schlagschatten der Backstreet Boys erfolgreich.
Weshalb Boybands ausgerechnet in den Neunzigern so erfolgreich waren, sei
schwierig zu sagen, so Udo Dahmen, Künstlerischer Direktor der Popakademie
Baden-Württemberg. „Neu war an den Boybands, dass sie auch getanzt haben
und sehr gute Entertainer waren. Außerdem gab es – nach der Craziness der
Beatlemania in den Sechzigern – eine Verschiebung hinsichtlich der Typen“,
so Dahmen. Jedes Mitglied sei für sich individuell interessant gewesen, die
in der Regel gefakten Homestorys haben den Fans den Star näher gebracht.
Backstreet Boy Nick Carter selbst hat eine andere Antwort: „In den
Neunzigern ging es den Menschen gut. In den USA zum Beispiel hat Bill
Clinton regiert, die Menschen wollten Musik und Bands, die diese positive
Stimmung bestärken.“
Was die Bands verband: Alle waren geschniegelte, gutaussehende Jungs, die
bestens als Projektionsfläche für die aufkeimenden Hormonwallungen junger
Teenies funktionieren. „Boybands sind oft der erste Prozess der
Geschmacksbildung, sowohl musikalisch als auch für die Frage: Auf was für
Typen stehe ich eigentlich?“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin Bettina
Fritzsche von der TU Berlin. Sie schrieb ihre Doktorarbeit über Boybands
und die Fankultur von Mädchen. Die Bands seien sozusagen die erste
platonische Beziehung in der Fantasie, so Fritzsche weiter. Darauf würden
vor allem Mädchen anspringen.
„Die Boybands haben ein kurzes Erlebnisfenster von rund vier Jahren, ihre
Fans sind zwischen 10 und 15 Jahre alt“, sagt Udo Dahmen. Diese eng
gesteckte Teenie-Zielgruppe ist definitorisch für Boybands und gleichzeitig
deren größte Krux. „Danach werden die Boybands ganz schnell abgelöst von
ernsthafterer, anspruchsvollerer Musik. Spätestens mit dem ersten Freund
sind die Boybands nicht mehr spannend – besonders, wenn der dann HipHop
hört“, sagt Udo Dahmen.
## Pflichtlektüre
Und warum besuchen diese Fans jetzt, fast zwei Jahrzehnte später, die
Revivaltour der Band? Wahrscheinlich weil sie sich fühlen wollen wie
damals, als die ersten Pickel sprossen und mit Clearasil bekämpft wurden
und die Bravo Pflichtlektüre war.
Für Arthur Boulton ist die Konzert-Reihe vor allem eins: „Das ist eine
Fundraising-Tour für die Rente“, sagt der künstlerische Manager der
renommierten Londoner Musik-Schule The Brit School, an der auch Amy
Winehouse unterrichtet wurde. „Ein Revival ist eine Geldmaschine, viele
ehemalige Fans können sich die teuren Tickets leisten.“ Karten für das
Konzert kosten regulär 53,50 Euro, wer allerdings ein Meet & Greet mit AJ,
Nick und Co. erleben möchte, kann bis zu 400 Euro zahlen.
Auch sonst hat sich einiges geändert: Heute trinken die Fans vor dem
Konzert Rosé-Sekt statt Capri-Sonne. Sie rauchen Zigaretten, statt auf die
elterliche Käse-Stulle in der Bauchtasche zurückzugreifen. Keiner campt vor
der Konzerthalle, und die Ordner müssen keine ohnmächtigen Minderjährigen
aus der Menge ziehen. „Unsere Fans sind mit uns erwachsen geworden“, sagt
der Backstreet Boy Brian Litrell. „Kreischen tun sie zwar noch immer, aber
zumindest die Tonlage ist etwas tiefer.“ Auch hinter der Bühne ist alles
entspannt: nirgendwo Groupies, die vor Umkleidekabinen ausharren.
Stattdessen spielt Brian Litrells Ehefrau mit dem kleinen Sohn Fußball,
Mitglieder der Liveband daddeln auf ihren Laptops. Es gibt bereits drei
Backstreet-Babys, AJ McLeans Frau ist schwanger, außer Nick Carter sind
alle verheiratet.
Ihre Fans sprechen sie noch immer mit Girls oder Ladies an, sie spielen die
Mädchenschwärme – auch wenn ihre sexy Bewegungen, wie die Körperwelle bei
Backstreet Boy Howie Dorough, schon etwas eingerostet aussehen. Als sie
vier Frauen auf die Bühne holen, um diese mit ihrem Hit „I´ll never break
your heart“ zu besingen, sind auch zwei Möppelige dabei. Jede soll das
Gefühl haben, sie könne was mit den Boys starten. Alles ist wie früher –
und das ist es auch, was die Fans an diesem Abend sehen wollen. Kein neues
Image, keine neuen Songs, sondern die verlässliche Backstreet-Boys-Welt von
einst.
## Boybands haben ein Ablaufdatum
Sind Boybands also passé, ein Relikt aus Euro-Trash-Zeiten, und die
Backstreet Boys einer der letzten, schon etwas hüftsteifen Vertreter?
„Die Popmusik ist zyklisch und Trends kehren immer wieder“, sagt Udo Dahmen
von der Popakademie. So seien auch die Neunziger nicht die erste
Boyband-Zeit gewesen. In den Sechzigern gab es die Monkees, in den
Siebzigern die Bay City Rollers.
Und so überrollt gerade die nächste Boyband-Welle die Billboards und die
Teenie-Magazine, allen voran die britischen Bands The Wanted und One
Direction – jeweils fünf hübsche Jungs mit perlweißen Zähnen, gestylten
Haaren und fehlendem Bartwuchs. Von den Erfolgen der Backstreet Boys sind
sie aber noch weit entfernt, die Begeisterung, die sie auslösen, ist nicht
die gleiche. Die Zeit der Boybands, die in Studios zusammengestellt wurden,
sei vorbei, sagt Bettina Fritzsche. „Jetzt ist die Castingshow präsent, das
Publikum kann mitwirken bei der Zusammenstellung.“ Das Credo laute jetzt:
Jeder kann auf YouTube berühmt werden.
Nach zweieinhalb Stunden Glitzerexplosionen und klebrigsüßem Pop ist die
Reise in die Vergangenheit zu Ende und ich merke: Boybands haben ein
Ablaufdatum. Und auch das Fansein geht vorbei.
## Fiona Weber-Steinhaus, 26, hat sich ihr erstes Treffen mit Nick Carter
irgendwie romantischer vorgestellt. Nick, 32, legte seine Füße auf den
Tisch, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und gähnte gelangweilt bei den
Fragen. Zumindest hat sie ein Beweisfoto geschossen.
8 May 2012
## AUTOREN
Fiona Weber-Steinhaus
## TAGS
Kinderstar
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