# taz.de -- Engagement für Flüchtlinge: Sprache verbindet | |
> Der Verein Multitude fördert seit mehr als zehn Jahren die | |
> gesellschaftliche Teilhabe von AsylbeweberInnen - durch | |
> Deutschunterricht, den Ehrenamtliche anbieten. | |
Bild: Mit Engagement und Büchern lässt sich flugs Deutsch lernen. | |
Konzentriert füllt Samir sein Arbeitsblatt aus. Ab und an muss er | |
nachfragen. Was bedeutet etwa das Wort „Zinsen“? Samir ist 25 Jahre alt und | |
kommt aus Afghanistan, seit gut einem Jahr lebt er in Deutschland. | |
Mittlerweile hat er zwar eine eigene Wohnung. An diesem Abend jedoch ist er | |
in das Erstaufnahmelager für AsylbewerberInnen in der Spandauer | |
Motardstraße gekommen – um sein Deutsch zu verbessern. | |
Dabei helfen ihm die Mitglieder des Vereins Multitude: Dreimal pro Woche | |
arbeiten sie für zwei Stunden ehrenamtlich in dem Heim. Während auf dem Hof | |
Kinder spielen, hat sich gut ein Dutzend Lernwilliger in der Einrichtung | |
versammelt. Fast genauso viele Mitglieder des Vereins sind gekommen. „Ich | |
habe hier Deutsch gelernt“, sagt Samir. Man rede, diskutiere, er finde das | |
sehr gut. | |
Tina, Katharina, Stephanie und Volker, zwischen 21 und 30 Jahren alt, sind | |
Multitude-LehrerInnen – außerdem studieren sie Politikwissenschaft an der | |
Freien Universität. Vor dem Unterricht am Abend sitzen sie in einem Café, | |
um über die Arbeit des Vereins zu berichten, der sich über Spenden | |
finanziert. Im Jahr 2000, erzählen sie, begannen vier | |
Ethnologie-StudentInnen mit dem Projekt. Diese vier, sagt Tina, sind heute | |
zwar nicht mehr dabei – dafür jedoch etwa 140 Menschen zwischen 18 und 40 | |
Jahren: StudentInnen, SchülerInnen, Berufstätige. Die Idee ist noch | |
dieselbe: Flüchtlingen Deutschunterricht anzubieten, um Teilhabe und | |
Austausch zu ermöglichen. | |
Erst vor einem Jahr wurde dann der Verein namens Multitude gegründet: Der | |
Name soll für Austausch und Vielfalt stehen. Die Gründung, sagt Tina, half | |
dabei, Flüchtlingen auch außerhalb der Heime Aktivitäten anbieten zu | |
können, für die verstärkt Spenden nötig wurden. So gibt es nun mehrere | |
Arbeitsgruppen, die etwa Kino- und Kochabende organisieren. | |
Aber noch immer geht es vorrangig ums Deutschlernen. In den zwölf Berliner | |
Heimen werden Flyer in verschiedenen Sprachen ausgelegt, um Flüchtlingen | |
dabei zu helfen, ihre Isolation zu durchbrechen. „Es geht aber auch um | |
unsere eigene Isolation“, erklärt Tina: „Wir lernen dadurch, in welcher | |
Situation sich AsylbewerberInnen befinden.“ | |
Als es um die persönliche Motivation der vier geht, werden sie | |
zurückhaltend: Es soll keine Person, nur der Verein im Mittelpunkt stehen. | |
So ist es auch mit den Entscheidungen: Das Wichtigste wird im Konsens auf | |
dem monatlichen Plenum beschlossen. Für ihre Arbeit, die sie auch als | |
politische verstehen, nehmen sich die vier viel Zeit: Zwei bis vier Stunden | |
täglich ist etwa Tina für den Verein da – neben dem Studium. Sein | |
Zeitpensum könne sich aber jeder selbst setzen, viele unterrichteten etwa | |
einmal pro Woche. „Wir brauchen alle, egal ob sie viel oder wenig machen“, | |
sagt Stephanie. Was man für das Engagement mitbringen müsse? Motivation, | |
Aufgeschlossenheit und die Geduld, den Menschen zuzuhören. „Es geht nicht | |
darum, den perfekten Unterricht zu machen, sondern darum, miteinander zu | |
sprechen“, sagt Katharina. | |
Dann machen sich die vier auf den Weg zur Motardstraße. Dort warten bereits | |
so viele Lernwillige, dass es schwierig ist, Gruppen zu bilden: Einige | |
möchten lernen, Verben zu deklinieren, andere möchten erst einmal das | |
Alphabet kennenlernen, weil sie nur mit dem Arabischen vertraut sind. | |
Schließlich jedoch lesen die Gruppen, diskutieren, lachen. Während einige | |
den Einkauf am Gemüsestand durchsprechen, schlägt Samir nun den Begriff | |
„Zinsen“ nach. | |
Schnell sind die zwei Stunden vorbei, die Gruppe verabschiedet sich, einige | |
gehen zur U-Bahn. Auch Samir ist dabei, der in seine eigene Wohnung fährt. | |
Beim nächsten Mal will er wieder nach Spandau kommen. | |
11 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Wyrembek | |
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