Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Menschen mit Rechten: Psychisch Kranke doch relevant
> Die Rechte psychisch Kranker werden auf einem Fachtag in der Bürgerschaft
> diskutiert - wo man sich 2008 noch weigerte, ihre Briefe zu verteilen.
Bild: Christian Weber lässt nicht jeden an sich heran.
Entmündigt zu werden, ist eines der Hauptprobleme psychisch Kranker. Dass
sie sich – Menschenrecht hin, Stigma her – nicht ohne weiteres politisch
Gehör verschaffen können, hat der Bundesarbeitsgemeinschaft der
Psychiatrie-Erfahrenen (BPE) die Verwaltung der Bremischen Bürgerschaft im
Jahr 2008 noch mal klargemacht. Wie erst jetzt bekannt wurde, erlaubte
Präsident Christian Weber (SPD) damals erst nach einem Schreiben ihres
Anwalts, dass Briefe der AG an die Abgeordneten ausgehändigt wurden.
Persönlich adressiert hatte die BPE ihre Umschläge und per Boten an alle 83
Abgeordneten geschickt. Der Inhalt: ein juristisches Gutachten mit dem
Fazit: „Psychisch Kranke sind Behinderte im Sinne der
Behindertenrechts-Konvention.“ Das bedeutet, ihnen „darf gegen ihren
bekundeten Willen weder die Freiheit entzogen, noch zwangsweise eine
medizinische Behandlung angediehen werden“ – wenigstens nicht „aufgrund
einer psychischen Erkrankung“. Das Psychisch-Kranken-Gesetz (PsychKG) müsse
daran angepasst werden.
Im Jahr 2008 stand die Behindertenrechts-Konvention in Deutschland kurz
vorm Inkrafttreten. Über die Folgen machten sich die meisten Länder kaum
Gedanken. Auch Bremen beschloss erst im April 2012 die Prüfung seines
PsychKG – nach bundesweiten Diskussionen und zwei Urteilen des
Bundesverfassungsgerichts, welche die Zwangsbehandlungen für unzulässig
erklären. Das aber konnten die Bremer Abgeordneten schon früher wissen.
Auch an den Bürgerschaftspräsidenten Christian Weber (SPD) ging das
Schreiben des BPE. Ob und wie gründlich er es gelesen hat – Weber könne
sich „nicht an den Fall erinnern“, sagt Bürgerschaftssprecher Horst
Monsees. Für die Antwort an den BPE zumindest wurde Webers Anschreiben
verwendet. Per Fax kam es zurück, darauf die handschriftliche Notiz:
„Verteilung an die Abgeordneten wurde vom Direktor nicht erlaubt.“
Unterzeichnet waren die Sätze nicht.
Aus inhaltlichen Gründen sei die Verteilung abgelehnt worden, habe die
stellvertretende Bürgerschaftsdirektorin Marlis Grotheer-Hüneke (SPD) dem
Rechtsanwalt der BPE telefonisch mitgeteilt. Erst nachdem der Anwalt die
Rechtsgrundlage dieser Weigerung einfordert, werden die Gutachten verteilt.
„Mit dem Brief des Anwalt hatte das nichts zu tun“, so Monsees. Frau
Grotheer-Hüneke habe sich eigenständig mit Mitgliedern des
Bürgerschaftsvorstandes besprochen und sei dann zu dem Schluss gekommen,
dass es Zensur wäre, das Schreiben nicht auszuhändigen.
Vom damaligen Direktor, Rainer Oellerich, habe es indes die Anweisung
gegeben, die Abgeordneten vor zu viel Zusendungen zu schützen. Man habe
nach Quantität geschaut und nicht nach Qualität geschaut.
BPE-Vorstand René Talbot sieht darin ein Beispiel dafür, wie lange mit den
Rechten psychisch Kranker umgegangen wurde. Auch der Antrag, das Bremer
PsychKG auf Verletzungen der UN-Konvention zu hin zu prüfen, mache das
nicht besser. Denn auch der beschlossene Antrag stehe schon im Widerspruch
zu ihr. Tatsächlich behauptet der, die Konvention verbiete, „Menschen
allein aufgrund ihrer Behinderung, die Freiheit zu entziehen“.
Allein – das ist wirklich entstellend. Denn in der Konvention heißt es,
dass „das Vorliegen einer Behinderung in keinem Fall eine
Freiheitsentziehung rechtfertigt“. „In keinem Fall“ heißt, auch nicht in
Kombination.
Das ist entscheidend: Denn Zweck des PsychKG ist, die Gesellschaft vor
gewalttätigen psychisch Kranken zu schützen. Talbot aber fordert, dafür
allein Strafgesetze anzuwenden. Die gelten für alle. Das PsychKG dagegen
sei in sich schon diskriminierend. Es gehöre abgeschafft.
Detlef Tintelott, Vorstand des Bremer Landesverbands Psychiatrie-Erfahrener
sieht das moderater. Für ihn ist das Wichtigste, mit dem Gesetz die
Vorbeugung von Straftaten auszubauen. „Ein Mensch wird nicht von heute auf
morgen gewalttätig“, so Tintelott. Er fordert, hier eine Lücke zu
schließen: „Wir brauchen Krisenhäuser, Beratungsangebote und mehr Personal
beim Sozialpsychiatrischen Dienst.“ Die Hürden von Zwangsmaßnahmen zu
erhöhen, darin ist er sich jedoch mit Talbot völlig einig. Vortragen wird
er seine Vorschläge morgen in der Bürgerschaft, wo ein Fachtag berät, wie
das PsychKG an die Menschenrechte angepasst werden kann.
10 May 2012
## AUTOREN
Georg Kirsche
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.