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# taz.de -- Streit unter Nachbarn: Alibiwildnis im Wald?
> Im Nordschwarzwald ist ein Nationalpark geplant. Was nach Natur- und
> Umweltschutz klingt, entzweit die Bewohner in der touristischen Region um
> Baiersbronn.
Bild: Der Wald ist wichtig für den Tourismus.
Hans Lutz ist sich sicher: „In einem toten Wald würde ich nicht gerne
wandern gehen.“ Wer wie er nach Baiersbronn, ins Tourismus-Eldorado des
Nordschwarzwalds reist, will essen, wandern, „die Seele baumeln lassen“.
Und nicht zuletzt den Wald besuchen. Gepflegt ist er: hohe, schlanke
Fichten erstrecken sich in ordentlichen, fast akkuraten Baumreihen. Der
Wald ist das Aushängeschild der Region, ihr touristisches Kapital. Nun ist
er Dreh- und Angelpunkt eines handfesten Streits in der Bevölkerung
geworden. Denn er soll zum Nationalpark werden – die Pläne der
Landesregierung spalten die Bevölkerung.
Auf dem Weg nach Baiersbronn stehen immer wieder stilisierte grüne
Ortsschilder, auf denen das Wort „Nationalpark“ mit einem roten Balken
durchgestrichen ist. Es sind weniger geworden in der letzten Zeit, doch die
Haltung vieler Baiersbronner machen sie deutlich.
Letztes Jahr beschloss die Stuttgarter Landesregierung, die seit 1999
bestehenden Pläne für einen Nationalpark wieder aufleben zu lassen. Knapp
10.000 Hektar staatlicher Wald sollen unter den strengen Naturschutz
gestellt werden, die Gemeinde Baiersbronn würde die größte Fläche des Parks
stellen. 10 mal 10 Kilometer Bäume, knapp 0,8 Prozent der gesamten
Waldfläche des Schwarzwalds – für Außenstehende vielleicht nur ein kleines
Stück Wald, für die Bewohner der Region Anlass für erbitterten Widerstand.
„Der Park bringt der Region keinen einzigen Vorteil“, poltert Andreas
Fischer aus Hundsbach, der eigentlich eine Kommunikationsagentur in
Baden-Baden betreibt, nun aber viel Zeit damit verbringt, den Widerstand
gegen den Nationalpark zu organisieren. Der Nordschwarzwald dürfe nicht als
„Alibi-Wildnis“ zweckentfremdet werden, der „radikale Naturschutz“ sei
nicht gut für den Wald. Betretungs- und Nutzungsverbote würde der Park mit
sich bringen, das sei „nicht gut für unsere Region“. Fischer wird laut,
wenn er über das Projekt redet, schlägt mit der Faust auf den Tisch und
beschreibt es als „Pflicht“, sich zu engagieren: „Wir wollen schließlich
unsere Heimat erhalten.“
## Ist der nicht gut für die Natur?
Die Heimat erhalten – ein Argument, das häufig angeführt wird. Der Wald ist
wichtig für den Tourismus, daher entzweit er besonders die
Tourismusbranche. „Ich bin gegen den Nationalpark“, verkündet die Wirtin
eines Cafés mitten im Zentrum der beschaulichen Kleinstadt. „Wir haben doch
schon genug Touristen hier.“ Auch den grünen Aufkleber habe sie auf ihrem
Auto kleben. Was genau der Nationalpark für die Region bedeutet, weiß sie
nicht. Auch die Cafébesucher haben von dem Park gehört. „Ist der nicht gut
für die Natur?“, wirft eine Touristin aus der Eifel ein.
Verlegene Stille macht sich breit. Wofür der Nationalpark genau steht,
welche Veränderungen er mit sich bringt, wissen beide nicht. „Ich bin da
auch keine Expertin“, entschuldigt sich die Wirtin und entschwindet. Dass
sie keine Experten sind, beteuern die meisten Baiersbronner, wenn sie auf
den Nationalpark angesprochen werden. Dagegen seien sie, weil sie den
Nutzen eines Nationalparks nicht sehen würden. Baiersbronn ist die größte
Ferienregion Baden-Württembergs. Die Hoteliers setzen auf
Sterne-Restaurants, Saunalandschaften und Schwarzwaldtradition, um
Touristen in die Region zu locken – und auf ihren Wald. Touren unter dem
Baiersbronner „Wanderhimmel“, „Heimatwanderungen“ und „kulinarische
Wanderungen“ sollen für das duchorganisierte Naturerlebnis im aufgeräumten
Wald sorgen. Doch der umsatzstärkste Wirtschaftszweig schwächelt: In den
letzten 20 Jahren ist die Zahl der Übernachtungen zurückgegangen, von 1,2
Millionen auf 800.000.
## Weil er gut für den Tourismus ist!
Hotelier Jorg Möhrle hofft, diesem Trend mit dem Nationalpark
entgegenwirken zu können. Er befürwortet den Nationalpark, „weil er gut für
den Tourismus ist, gut für die Region und gut für uns Menschen ist“.
Verbunden mit einem Informationszentrum und der richtigen Infrastruktur,
könne der Nationalpark einen ökologischen, nachhaltigen Tourismus schaffen,
Baiersbronn ein umweltbewusstes Profil geben – und Touristen locken, von
denen nicht nur die Hotels profitierten, sondern auch der Kleinhandel und
die Gastronomie.
Dass der Nationalpark die rückläufigen Touristenzahlen stoppen könnte,
glaubt der Hotelier Martin Zepf nicht. „In Deutschland reist niemand nur
wegen eines Nationalparks irgendwohin.“ Die Region müsse überzeugen, „dur…
gute Gastronomie, ein intaktes Umfeld, eine schöne Natur“.
Wer sein Hotel besucht, der fährt direkt an der Grenze des Waldgebiets
entlang, das zum Nationalpark erklärt werden könnte. Zwischen den dicht
gewachsenen hohen Fichten sind immer wieder lichte Stellen zu sehen – der
Orkan „Lothar“ fegte vor 12 Jahren über den Nordschwarzwald hinweg und
hinterließ eine Schneise der Verwüstung. „So könnte es auch aussehen, wenn
sich der Borkenkäfer ausbreitet“, fürchtet Zepf.
Würde der Wald sich selbst überlassen, könnte sich der Borkenkäfer im
Nationalpark und den umliegenden Nutzwäldern ungebremst ausbreiten und
Schäden wie im Bayerischen Wald anrichten, wo in den 1990er Jahren große
Teile des Waldes starben. Der Käfer ist das Totschlagargument der
Parkgegner. „Die Touristen möchten einfach nicht in einem toten Wald
spazieren gehen, das ist Fakt,“ sagt Zepf.
Wie Natur aussehen kann, wenn sie sich selbst überlassen wird, sieht man am
Naturpark Wildsee bei Ruhestein. Der See ist von Bannwald umgeben, seit
1911 wird die Natur dort sich selbst überlassen, kein Baum wird mehr
gefällt. Urwaldartige Zustände, umgestürzte Bäume, wuchernde Farne und
Moose – ganz anders als die ordentlich aneinandergereihten Fichten, die
sonst das Gesicht des Schwarzwalds prägen. Anders als Martin Zepf glaubt
Jochen Rothfuß vom Freundeskreis pro Nationalpark nicht, dass die
unberührte Natur die Touristen abschreckt. Im Gegenteil.
## Die Baumleichen stehen für neues Leben
Wenn er vom Bannwald Wildsee erzählt, klingt er ganz begeistert. Der
Bannwald vermittle einen Eindruck von der Wildnis, die herrschte, bevor der
Mensch den Schwarzwald in Reih und Glied brachte. Vor allem ist er alles
andere als tot: „Die sogenannten Baumleichen, die man so gerne als tot
bezeichnet, stehen für neues Leben.“ Pilzadern, Moose und Flechten breiten
sich auf „toten“ Baumstümpfen aus, Spechte siedeln sich in den
abgestorbenen Bäumen an – die Natur erobert den Wald zurück.
Der Nationalpark stünde für Naturerlebnis und Wildniserfahrung,
Rangertouren und Abenteuertourismus. Wilder Westen im Ländle? Wohl kaum.
Aber, so Rothfuß, viele Touristen würden die Wildniserfahrung suchen.
Außerdem würde der Park Geld in die Region fließen lassen, „aus Europa,
Berlin, Baden-Württemberg“. Der von der Regierung geplante Park ließe
außerdem Zeit für die Umgestaltung des Waldes: Ein Mischwald aus Buchen und
Tannen solle in den nächsten dreißig Jahren angelegt werden. In einem
solchen Wald könnte der Borkenkäfer, der die Fichte bevorzugt, kaum
Zerstörung anrichten. Dass der geplante Zeitraum reicht, um einen Wald
wachsen zu lassen, ist allerdings unwahrscheinlich. Dreißig Jahre sind für
einen Baum nicht viel Zeit.
Der Touristikverband Baiersbronn wirbt mit dem Motto: „Mehr Schwarzwald
gibt’s nirgends“. Über zwei Drittel der Region sind bewaldet. Es ist der
ordentliche Wald, den viele der Baiersbronner behalten wollen. Seit
Jahrhunderten wird er kultiviert. Er gilt als „Krisenwährung“, als Heimat.
Die Stuttgarter Pläne sehen die Gegner des Nationalparks als Affront.
Eines ist klar: Wenn die Stuttgarter Regierung den Park will, kann in
Baiersbronn niemand etwas dagegen tun. Ein Gutachten hat Alexander Bonde,
der baden-württembergische Minister für Ländlichen Raum und
Verbraucherschutz, den Baiersbronnern versprochen. Es basiert auf Fragen
und Anregungen der Kritiker und entscheidet, ob der Nationalpark entstehen
soll. Anfang 2013 soll es fertig sein. Bis dahin bleibt er aufgeräumt, der
Wald.
12 May 2012
## AUTOREN
Katalina Präkelt
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