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# taz.de -- Die Wahrheit: Die Wurzel der Wut
> Neue Partei: Nach den „Piraten“ kommen nun die „Barbaren“.
Bild: Viele Barbaren genießen die herrliche Ruhe beim heimlichen Brettspiel im…
Der designierte Vorsitzende Herbert „Die Wampe“ Kiloschek hat sich in Fahrt
geredet. „Ich kann das nicht, ich brauch das nicht, und ich will das auch
nicht“, brüllt er und lässt seinen Zimmermannshammer auf ein Smartphone
niedersausen, das ihm sein Neffe zum fünfzigsten Geburtstag geschenkt
hatte, damit er den Anschluss an die Informationsgesellschaft nicht
gänzlich verliert. „Wissen Sie, was mich diese sogenannte
Informationsgesellschaft kann?“, fragt er. „Ja, und zwar kreuzweise!“,
schallt es wie aus einem Mund zurück.
Wut liegt in der Luft, aber auch Aufbruchstimmung, ein Hauch von Revolution
und der dichte Qualm billiger Altherrenstumpen, die von Kiloscheks
Anhängern als Erkennungszeichen in lässiger Manier seitlich im Mund geführt
werden. Die Luft ist zum Schneiden dick im „Weiherstübchen“, einer jener
festungsartigen Eckkneipen, die dem Modernisierungsverächter ein letztes
Refugium vor Breitbandinternet, Gentrifizierung und leichter Küche bieten
können.
Unter der Devise „Sendeschluss im Internet“ hat sich dort über die Jahre
eine politische Graswurzelbewegung entwickelt, die heute zur Partei erhoben
werden soll. „Anfangs waren wir tatsächlich nur ein paar frustrierte alte
Männer, die mit dem digitalen Kommunikationsgedöns nicht klargekommen
sind“, erinnert sich Kiloschek, der in seiner Freizeit Schellackplatten
sammelt oder hinter seiner CB-Funkanlage sitzt. „Aber dann stießen immer
mehr junge Menschen zu uns.“
„Barbaren – Die Barbarenpartei“ soll die neue Partei heißen, und ihr
Markenkern ist eine fast schon religiös anmutende Internetskepsis, aber
fast wichtiger als die Inhalte ist den Barbaren ihr gemeinsamer Lebensstil.
Barbaren benutzen lieber Stadtpläne als Navigationsgeräte, halten
Verabredungen ein, ohne noch dreimal von unterwegs aus anzurufen, und
benutzen ausschließlich Telefone mit Wählscheiben.
Auch ihre leiblichen Konsumgewohnheiten sind eher rustikal und
rückwärtsgewandt: Im „Weiherstübchen“ fließt das Bier in Strömen,
Herrengedecke und zuckersüße Moselweine werden serviert, ein handgemaltes
Schild warnt ausdrücklich vor der Bestellung von Latte macchiato,
stattdessen gibt es Filterkaffee mit ordentlich Dosenmilch. Die Herren
tragen weiße Feinrippunterhemden einer längst liquidierten deutschen
Trikotagenfirma, die Damen geblümte Kittelschürzen aus Perlon oder gar
Dederon, dabei haben manche der Teilnehmer die Volljährigkeit kaum
erreicht.
## „Herrlich, diese Ruhe“
„Meine Eltern kommen aus der Gamerszene“, erklärt etwa ein Teenager mit der
Physis eines kerngesunden Allgäuer Bauernbuben: „Ich bin quasi auf einer
immerwährenden LAN-Party aufgewachsen. Dass es da draußen überhaupt eine
analoge Welt gibt, habe ich erst bei meiner Einschulung so richtig
verstanden. Später habe ich mir dann heimlich mein erstes Brettspiel
gekauft und mit Freunden im Wald ausprobiert. Herrlich, diese Ruhe.
Deswegen bin ich bei den Barbaren.“
„Ich bin über das Online-Banking zur Bewegung geraten“, erzählt dagegen
eine bürgerlich wirkende blonde Mittvierzigerin. „Nachdem mir zum dritten
Mal die Zugangsdaten ausgespäht wurden, ist mir klar geworden: das mit dem
Internet muss aufhören.“
Ein altgedienter Journalist gibt an, dass er von seiner Redaktion immer
häufiger gezwungen wurde, „launige Filmchen“ hochzuladen statt
investigative Artikel zu schreiben; ein nervöser Junge ist auf der Flucht
vor seinen fünftausend Facebookfreunden; während eine alte Dame tränenreich
zugibt, die letzten drei Jahre vor niedlichen Katzenvideos auf YouTube
verbracht zu haben, bis sie endlich den Absprung geschafft hat.
## Rauchzeichenfreundschaft
Ein Zweimeterhüne ist bloß wegen seiner Hände ins soziale Abseits geraten.
„Schauen Sie sich meine Pranken doch an, flüssig SMS schreiben war damit
einfach nicht drin.“ Mittlerweile hat er aber wieder Anschluss gefunden:
mit einer radikalen Barbarin ist er eine Rauchzeichenfreundschaft
eingegangen.
Denn ganz wie bei den „Piraten“, gegen deren „Online-Totalitarismus“
(Kiloschek) sich die Barbarenpartei wendet, ist noch nicht ganz klar, wo
die Fahrt hingehen soll. Während sich die Radikalen unter ihnen in der
Tradition der maschinenstürmenden Ludditen sehen, halten andere das
Internet für reformierbar. Sie fordern Ladenöffnungszeiten im Online-Handel
und eine verpflichtende Rechtschreibprüfung von E-Mails. Fehlerhafte Mails
sollen nicht mehr befördert werden. „Es gibt ein Recht auf ein rein
analoges Leben“, gibt sich Kiloschek dagegen kategorisch. „Und um dieses
Recht kämpfen wir.“
„Gefällt mir“, rufen einige Barbaren.
14 May 2012
## AUTOREN
Christian Bartel
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