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# taz.de -- Kolumne Nullen und Einsen: Gemütlich in der Crowd-Couch sitzen
> Lanz oder Lebenszeit? Wer Twitter hat, braucht keinen Fernseher und kann
> trotzdem mitreden – aus zweiter Hand.
Am Samstagabend um 23.30 Uhr war ich eine glückliche Frau. Nach fast drei
Stunden Bayern-gegen-Chelsea-Gewürge, garniert mit Werbedröhnung plus
Elfmeterverschießen. Natürlich nicht wegen des Ergebnisses, sondern wegen
dieses kurzen Blicks auf mein Smartphone, der mich daran erinnerte, warum
ich mir so etwas eigentlich nicht anschaue.
Mir all die grandiosen Abende ins Gedächtnis rief, die ich an Seen, in
Biergärten oder im Kino verbracht habe. Aber nicht vor dem Fernseher. Weil
ich dank Twitter nicht mehr fernsehen muss.
Ganze drei Tweets hätte es gebraucht, sagte mir mein Blick aufs Smartphone,
um dieses fade Spiel völlig angemessen abzubilden. Grandiose Miniaturen
lesen wie „FC #Bayern: 20 Ecken = 0 Tore, #Chelsea: 1 Ecke = 1 Tor, Robben
und Neuer(!) schießen Elfmeter, der Rest hat Schiss“ reichen mir
Fußballbanausin als Teilhabe am TV-Ereignis völlig, wenn ich dafür einen
Abend Lebenszeit bekomme.
Genauso einen Tag später bei #Jauch: Ein paar mitgetwitterte Kernzitate von
Buchpromogast Sarrazin und Kanzlerkandidaturpromogast Steinbrück gelesen,
geschmunzelt über zynische Tweets à la „Deutschland schaltet sich ab“ oder
„Nach Schmidt und #Sarrazin: Das nächste Mal diskutiert Peer #Steinbrück
exklusiv mit Gott“ – und dann wieder der Pizza und dem Blick über die
Dächer Berlins zugewendet.
Ich habe meinen TV-Konsum in die Crowd ausgelagert. Oder besser: Ich lasse
fernsehen – und zwar meine Twitter-Timeline, also die Leute, denen ich bei
dem Dienst folge, weil ich sie ohnehin schätze oder interessant finde.
Funktioniert erstaunlich gut.
Klar bin ich damit eine ganz miese Schnorrerin. Eine, die nie selbst etwas
beisteuert – sondern die sich Sonntag für Sonntag auf der digitalen
Twitter-Couch einnistet, nur um dann am nächsten Morgen in der Redaktion so
zu tun, als hätte sie den Abend brav vor der Glotze gesessen. Meist reicht
das. Denn wenn ein Fernsehereignis wirklich nach Aufmerksamkeit schreit,
dann rappelt es in meiner Twitter-Timeline.
Egal ob Piratenpartei-Lautsprecher Christopher Lauer sich bei #Illner mit
Kurt Beck anlegt oder in Baku irgendwer über die #esc-Bühne hoppelt: Bei
Twitter wird aus den Sendungen zitiert, gescherzt, kritisch kommentiert.
Für mich lauter #Servicetweets – meine selbstgewählte kleine
TV-Filterblase. In der selbst einige echte Geeks jetzt Gähn-Fernsehen zum
Trending-Topic machen. Verrückte Welt.
Markus Lanz zum Beispiel. Dessen Talkshow fuhr bis vor Kurzem die
unfreiwillig erfolgreichste Social-Media-Strategie im deutschen TV: Einfach
in praktisch jede Sendung einen Piraten einladen, ihn etwas ungelenk zu
diesem Internet befragen. Zack. Timeline voll mit launigen #Lanz-Verrissen.
Damit wurde ich die Königin der „Gestern bei Lanz“-Smalltalks – bis
irgendwer genauer nachfragte und ich mich lieber gleich outete: Ich habe
diese Show noch nie in meinem Leben gesehen. Man sollte das „Mitreden,
obwohl ich keine Ahnung habe“-Spielchen ja nicht zu weit treiben.
Andererseits: Muss auch nicht jeder wissen, dass ich mir lieber eine dieser
US-Serien reingezogen habe. Auf DVD natürlich.
25 May 2012
## AUTOREN
Meike Laaff
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