# taz.de -- Flüchtlinge im Westjordanland: Aus dem, was da ist, das Beste mach… | |
> 15 junge Palästinenser nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand. Auch das | |
> Flüchtlingslager Deheishe ist Teil des Projektes, das Deutschland | |
> finanziert. | |
Bild: Ein UN-Mitarbeiter sammelt in Deheishe den Müll ein. | |
DEHEISHE taz | Der 26-jährige Qussay Abu Aker ist Student an zwei | |
Instituten: An der Offenen Universität von al-Quds lernt er | |
Betriebswirtschaft und in dem Flüchtlingslager Deheishe Methoden zur | |
Selbsthilfe. „Campus in the Camp“ heißt das Programm, bei dem 15 junge | |
Palästinenser mehr über den internationalen Status von Flüchtlingen, über | |
die Rechtslage und die Zuständigkeiten von Behörden und Organisationen | |
erfahren. Die provisorische Miniuni in Deheishe ist Teil des Projekts | |
„Raum, Zeit, Würde, Rechte: Verbesserung palästinensischer Flüchtlingslager | |
im Nahen Osten“, das von der UNRWA (United Nation Relief and Work Agency), | |
der UN-Abteilung für palästinensische Flüchtlinge, initiiert wurde und vom | |
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) | |
finanziert wird. | |
Die jungen Studenten gehören zur dritten Generation, die in den | |
Flüchtlingslagern aufwächst. „Nach mehr als 60 Jahren kann es nicht mehr | |
nur darum gehen, die grundlegendsten Bedürfnisse abzudecken“, sagt Sandi | |
Hilal, die das Projekt leitet. Über Jahrzehnte wurden die Lager gezielt von | |
der eigenen Führung vernachlässigt, um als Joker bei den | |
Friedensverhandlungen eingesetzt werden zu können. Die Lager sind | |
befristete Lösungen, so lautete die Botschaft der PLO, die fürchtete, dass | |
Investitionen in die Infrastruktur als Verzicht auf das Land der Vorfahren | |
interpretiert werden könnte. „Das Recht auf Rückkehr“, so stellt Hilal | |
hingegen fest, „kann nicht durch das Recht auf eine bessere Lebensqualität | |
ersetzt werden.“ | |
Die 39-jährige Architektin, die aus Beith Sahour bei Bethlehem stammt, | |
promovierte zum Thema Lebensqualität und Rückkehrrecht der Flüchtlinge. Vor | |
acht Jahren rief sie Vertreter der Flüchtlingslager, der Regierungen und | |
NGOs zusammen, um gemeinsam eine Entwicklung der Lager voranzutreiben. Für | |
die palästinensischen Flüchtlinge sei nach so langer Zeit die Versorgung | |
mit Nahrungsmitteln und Medikamenten nicht länger das drängende Thema, | |
schließlich sei hier nicht die Rede von frisch aus einem Katastrophengebiet | |
evakuierten Menschen. Umwelt und Recycling fällt ihr ein, was nicht heißt, | |
dass die UNRWA mit der Grundversorgung aufhöre, sagt Hilal, „aber wir | |
brauchen mehr Kreativität“. | |
Das Projekt startete 2007 in fünf Lagern im südlichen Westjordanland. Hilal | |
stolperte bei den Einladungen für ein Treffen der Partner über die | |
unterschiedlichen Empfindlichkeiten in den Flüchtlingslagern. „In einem | |
Lager reichte es, die Verwaltung über den Termin zu informieren, in einem | |
anderen wollte jede NGO direkt eingeladen werden.“ | |
## Hunderte von Ideen | |
Erstmals findet ein Nachdenken über Projekte in Zusammenarbeit mit den | |
Betroffenen statt, was nach der jahrzehntelangen Entmündigung der | |
Flüchtlinge gar nicht so einfach ist. „Alle Projekte und die gesamte | |
Finanzierung kamen immer von außerhalb“, erklärt Qussay Abu Aker. „Ich | |
wusste anfangs überhaupt nicht, wo etwas verändert werden könnte“, gibt er | |
zu. „Inzwischen habe ich hunderte Ideen.“ | |
Aus dem, was da ist, das Beste machen, ist das Prinzip. Die | |
Projektteilnehmer stellen Kartenmaterial zusammen, auch um einen Überblick | |
zu erhalten, wo es noch Potenzial für Entwicklung gibt. Die Miniuni findet | |
in Räumen statt, die von der Gemeinde selbst gebaut wurden und dann | |
jahrelang leer standen, weil es für den dort konzipierten Kindergarten | |
keinen Bedarf gab. Um die Möglichkeiten auszuschöpfen, arbeitet | |
Projektleiterin Hilal an einer Vernetzung der Hilfsorganisationen. „In | |
Deheishe sind 20 NGOs im Einsatz. Eine weiß nicht, was die andere tut.“ | |
Auch die Jüngsten werden mit einbezogen. „Die Kinder in Deheishe wollten | |
eine Ampel auf ihrem Schulweg, wo es oft Unfälle gab“, berichtet Hilal, die | |
sich die Stelle ansah. Eine Ampel sei dort nicht nötig gewesen, wohl aber | |
die Reparatur einer Abwasserleitung, aus der das schmutzige Wasser auf die | |
Straße tropfte. „Die Kinder sind deshalb auf Umwegen zur Schule gegangen, | |
die gefährlich waren.“ | |
Vorläufig finanziert das BMZ das Projekt allein mit 5 Millionen Euro und | |
weiteren 14,5 Millionen Euro bis 2014. „Es gibt viele Anfragen anderer | |
Flüchtlingslager, die bei dem Entwicklungsprogramm mitmachen wollen“, sagt | |
Hilal. „Ich glaube, wir könnten Projekte entwickeln, für die unsere | |
Vorstellungskraft im Moment noch gar nicht ausreicht.“ | |
29 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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