# taz.de -- Ausstellung über das Zusammenleben: Die Freuden der Integration | |
> Eine Ausstellung in der Volkshochschule Oldenburg erzählt davon, dass | |
> Integration ganz Verschiedenes bedeuten kann. Lola Kisljanowa aus | |
> Oldenburg sieht darin keine Anstrengung, sondern "ein Vollzeitvergnügen". | |
Bild: Auch ein Freund der Integration: Niedersachsens Innenminister Uwe Schüne… | |
OLDENBURG taz | Der Titel der Ausstellung „Ich integriere mich von | |
frühmorgens bis spätabends“ klingt beinahe, als sei Integration ein | |
Vollzeitjob; einer, für den man sich abschuftet, vielleicht auch noch für | |
einen geringen Ertrag. Lola Kisljanowa sieht das anders, für sie ist | |
Integration keine Arbeit und keine Anstrengung, sondern „ein | |
Vollzeitvergnügen“, eine persönliches Weiterentwickeln, manchmal auch ein | |
Rätsel. Integration ist Alltag, manifestiert etwa im nachmittäglichen | |
Kaffee und Kuchen. So eine Mahlzeit gebe es in ihrem Herkunftsland nicht, | |
sagt die gebürtige Weißrussin, die in Russland aufgewachsen ist. Aber sie | |
konnte bereits russische Bekannte dafür begeistern. | |
Kisljanowa ist eine von rund 60 Personen, die in der Wanderausstellung | |
portraitiert werden, bei jeder Station kommen neue hinzu. Alle haben ihren | |
ganz persönlichen Migrationshintergrund, und zu ihnen zählen nicht nur | |
Angehörige jener Zuwanderergruppen, die üblicherweise im Mittelpunkt der | |
periodisch aufkommenden Integrationsdebatten stehen. Eine gebürtige | |
US-Amerikanerin ist darunter, eine auf Mallorca aufgewachsene Finnin, eine | |
brasilianische Studentin. Und Kisljanowa, die Bibliothekarin aus St. | |
Petersburg, seit 1997 in Deutschland, seit 1998 in Oldenburg. | |
Wenn sie über ihr Leben und ihre Beweggründe für die Auswanderung spricht – | |
oder man das in der Ausstellung ausliegende Interview mit ihr liest – sucht | |
man vergeblich nach großen Brüchen oder Schlüsselerlebnissen. Sie sei eher | |
zufällig ausgewandert, habe nie ernsthaft darüber nachgedacht, erzählt sie. | |
Eine alte Bekannte, die sie zufällig in Moskau getroffen hatte, wollte nach | |
Deutschland, und da die Bekannte schon mal dabei war, sich um die | |
entsprechenden Papiere zu kümmern, hat sie das für Kisljanowa gleich | |
miterledigt. | |
Das Auswandern habe sie wie ein Spiel gesehen, sagt die heute 59-Jährige, | |
aber „irgendwann kam ein Punkt, an dem ich mich entscheiden sollte“. Sie | |
entschied sich fürs Weggehen wegen der Enttäuschung über die Perestrojka | |
und wegen der ausufernden Kriminalität. „Lenin hat mal gesagt: ’Wer nichts | |
war, soll alles sein‘“, sagt sie mit einem etwas bitteren Lächeln – im | |
Russland der 90er habe sich das bewahrheitet. | |
Aber ausgerechnet Deutschland, als jüdische Russin oder russische Jüdin, | |
deren Familie beim Vormarsch der Wehrmacht alles verloren hat? Kisljanowa | |
zuckt mit den Schultern, sie habe ja gewusst, dass die Deutschen nicht mehr | |
so seien wie in den 1930er-Jahren. Ihr Jüdischsein habe im Umgang mit den | |
Deutschen auch keine besondere Rolle gespielt, eher für skurrile Reaktionen | |
gesorgt. „Oh, die erste Jüdin in meinem Leben“, bekam sie mal zu hören, | |
oder: „Echt, Jüdin?“ Kisljanowa lacht, wenn sie davon erzählt; an wirklic… | |
Probleme erinnert sie sich nicht. Genervt haben sie eher die ständigen | |
Anspielungen auf den Wodkakonsum der Russen. | |
Anderen fiel das Ankommen in Deutschland schwerer, manchen auch leichter, | |
und das ist wohl das Kernanliegen der Ausstellung: zu hinterfragen, ob es | |
überhaupt einen Sinn ergibt, von „der“ Integration zu sprechen. Entstanden | |
ist sie 2006 in einem Ort, der für ein solches Projekt nicht passender sein | |
könnte: Das heute 25.000 Einwohner zählende ostwestfälische Städtchen | |
Espelkamp ist überhaupt erst durch Migration entstanden. Nach dem Zweiten | |
Weltkrieg wurden im ehemaligen Munitionslager Vertriebene untergebracht, | |
später kamen Gastarbeiter hinzu, noch später wurde der Ort zu einem Ziel | |
von Spätaussiedlern aus Osteuropa. Es gibt viele Nationalitäten in | |
Espelkamp, viele Religionen, viele Kulturen – und noch mehr Varianten, | |
Abstufungen und Auslegungen des Begriffs „Integration“. | |
Doch bei allen Unterschieden in den Biografien der Zuwanderer ist | |
Ausstellungsmacherin Gertraud Strohm-Katzer auch auf wiederkehrende Muster | |
gestoßen. Zum Beispiel den Neid der Einheimischen auf die Zugezogenen, den | |
Vorwurf, die Neuankömmlinge würden vom Staat begünstigt – der belaste die | |
Integration von Spätaussiedlern heute genauso wie damals die der | |
Vertriebenen. „Deren Integration wird heute gerne verklärt“, sagt | |
Strohm-Katzer, „aber auch sie hatten durchaus große Probleme.“ | |
Daher habe sie ein großes Interesse daran gehabt, auch diese Generation in | |
das Projekt einzubinden, was nicht ohne Widerstände ging: Was sie denn mit | |
Migration zu tun hätten, wurde Strohm-Katzer von Vertriebenen gefragt; | |
Migranten, das seien doch die anderen, „die Asylanten, die | |
Wirtschaftsflüchtlinge“. In der Ausstellung hat sie die Portraits von | |
Vertriebenen zwischen die von Bürgerkriegsflüchtlingen und Aussiedlern | |
gehängt. | |
Bei Jugendlichen ist Kulturmanagerin Strohm-Katzer aufgefallen, dass sie es | |
zumeist nicht haben können, auf ihren Migrationshintergrund reduziert zu | |
werden. „Auch nicht, wenn es fürsorglich gemeint ist – sie wollen so anders | |
und so gleich sein wie alle anderen.“ | |
Und dann gibt es noch das Problem mit der Qualifikation, die viele | |
Migranten mitbringen, die aber in Deutschland nicht anerkannt wird. „Das | |
führt bei vielen zu Frust und Enttäuschung“, sagt Strohm-Katzer – zwar ha… | |
sich das Problem in den Jahren seit Beginn der Ausstellung durch geänderte | |
Gesetze ein wenig entspannt, aber es sei „immer noch weit davon entfernt, | |
gerecht zu sein“. | |
Auch Kisljanowa hat ein Diplom als Patent-Ingenieurin, das hier nichts | |
zählt, aber sie nimmt es locker – dafür sei eben eine perfekte Beherrschung | |
der Sprache nötig, und Deutsch sei ihr schon auf der Hochschule | |
schwergefallen. Für die hohen Hürden, die der deutsche Staat bei der | |
Anerkennung von Berufsnachweisen aufbaut, hat sie sogar Verständnis: „In | |
Russland können Sie alles kaufen. Führerscheine, Zeugnisse oder einen | |
Nachweis, dass Sie jüdisch sind – einfach alles.“ Ihr erster Abschluss, | |
eine Ausbildung zur wissenschaftlichen Bibliothekarin, wurde immerhin | |
anerkannt. Kisljanowa ist heute in diesem Beruf tätig, auch wenn sie eher | |
auf dem Niveau einer Aushilfe bezahlt wird. | |
Einig sind sich alle darin, dass die Beherrschung der Sprache von zentraler | |
Bedeutung für „erfolgreiche“ Integration ist. Andererseits sind unter den | |
in Oldenburg hinzugekommenen Migranten zwei Personen aus der jesidischen | |
Gemeinde, die im Interview mit Strohm-Katzer eingeräumt haben, Analphabeten | |
zu sein. Dennoch, sagt Brigitte Gläser von der Evangelischen Akademie, die | |
die Ausstellung nach Oldenburg geholt hat, hätten sie sich eine | |
erfolgreiche Existenz aufgebaut und einen gewissen Wohlstand erarbeitet. | |
Sind sie nun gut integriert? Oder schlecht? Und: Wer will das eigentlich | |
beurteilen? | |
Integration, das zeigt die Ausstellung, entzieht sich Schablonen und | |
Schubladen. Wer die ausliegenden Transkriptionen der Interviews liest, | |
merkt, wie viele Definitionen des Begriffs es gibt, wie unterschiedlich die | |
individuellen Ansätze sind, was der Begriff „Heimat“ alles bedeuten kann �… | |
etwas, das man verloren hat oder auch gefunden; oder auch etwas, mit dem | |
man nichts anfangen kann. Kisljanowa sagt: „Meine Heimat ist der Planet | |
Erde. Ich bin überall zuhause.“ | |
Integration, das ist ihr alltägliches Vergnügen. Außer vielleicht, wenn es | |
alle paar Jahre zu einer der periodisch wiederkehrenden Ingrationsdebatten | |
kommt. Wie sie das als Betroffene wahrnehme, Stoibers Leitkultur, Sarrazins | |
Hobbyeugenik? Kisljanowa winkt müde ab: Das sei oft nur noch lächerlich. | |
Die würden vor allem „von Leuten geführt, die sich nur theoretisch damit | |
befassen“, die Integration innerlich gar nicht begreifen. Die Leute, mit | |
denen sie damals nach ihrer Ankunft in Deutschland ein Wohnheim teilte, die | |
Zuwanderer, die könnten was darüber sagen, wie Integration funktioniert. | |
28 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Maik Nolte | |
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