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# taz.de -- Kolumne Lustobjekte: Klick! Klick! Klick!
> Nicht der Moment zählt, sondern das Foto davon. Sonst ist womöglich alles
> gar nicht passiert. Und niemand könnte neidisch sein, dabei waren wir
> tatsächlich auf dem Land!
Am Wochenende wollen wir uns endlich mal nicht verabreden müssen. Also raus
aus der Stadt! Unser Ziel: die Uckermark. Dort, wo die Kanzlerin ihre Seele
baumeln lässt, ist es für uns gerade gut genug, finden wir. Mein Freund
will Nazis gucken, ich Wolken. Die Datscha liegt im Nirgendwo – nicht
einmal Internet soll es dort geben.
Als wir am Freitagabend ankommen, dämmert es schon und das Häuschen
zwinkert uns mit seinen blau gestrichenen Fensterläden einladend zu. Eine
Nachtigall veranstaltet ein Wettsingen mit einer Motorsäge, wir trinken
Campari, spielen Backgammon und gehen früh ins Bett. Was man eben alles so
macht auf dem Land.
Am nächsten Morgen hat mein Freund Frühstück gemacht und den Tisch im
Garten gedeckt. Wir sitzen draußen in der Sonne, schauen auf die
Rapsfelder, und ich fühle mich wie in der Rügenwalder-Wurst-Werbung, nur
ohne Baumhaus. Da nimmt mein Freund meine Hand, schaut mir tief in die
Augen und schenkt mir ein zuckersüßes Lächeln, eines, das ich schon lange
nicht mehr an ihm gesehen habe. Was ist denn jetzt los, denke ich.
Da höre ich im Hintergrund ein leises Geräusch. Klick! Mein Freund knipst
sein Lächeln aus, flitzt zu ein paar Backsteinen, auf denen er sein iPhone
platziert hat, und verbringt die nächsten Minuten damit, einen Filter zu
suchen, mit dem er das frisch entstandene Foto angemessen in Szene setzen
kann. Die Natur ist nicht schön genug, da kann man doch noch was machen.
Die Farben: knalliger! Die Kontraste: intensiver! „Schön“, sage ich und
schenke mir Kaffee ein, „dann haben wir ja wenigstens tolle
Erinnerungsfotos.“
Mein Freund antwortet, ohne aufzuschauen. „Ja, ich twitter das gleich mal.“
Aha, wir haben also doch Internet. So ein Glück aber auch. Also für die
anderen, die sonst gar nicht miterleben könnten, wo wir gerade sind und was
wir machen und die dann ja auch vor allem gar nicht neidisch wären, obwohl
wir es doch so schön haben hier. Zu zweit.
Den Rest des Tages informiert mich der Starfotograf stündlich über die
neuesten Reaktionen. „Schon 21 Likes!“, ruft er vom Liegestuhl zu mir
herüber, während ich eine fette Hummel beobachte, die mit 100 Dezibel an
mir vorbeibrummt. „46!“, brüllt er aus dem Bad, während ich draußen
Basilikum einpflanze.
Das Klicken hört gar nicht mehr auf an diesem Wochenende: unsere Füße vor
den Wolken, ich beim Schreiben, mein Freund vor uckermärkischer Landschaft
(Selbstauslöser!).
Am letzten Abend koche ich Spargel, decke den Tisch und besteche die
Nachtigall, uns ein Ständchen zu geben. Die untergehende Sonne spiegelt
sich in den Weingläsern, die Blätter rauschen leise im Wind – ein perfekter
Moment. Das findet auch mein Freund. „Warte“, sagt er und ordnet die Gläser
symmetrisch an, stellt sich auf den Stuhl, klettert auf den Baum. Klick.
Den Spargel essen wir kalt, aber das sieht man ja nicht auf den Fotos. Also
ist es auch nie passiert.
1 Jun 2012
## AUTOREN
Franziska Seyboldt
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